Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 49 / 29.11.2004
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Carla Fritz

Amtliche Statistik auf festem Boden

Der Teufel steckt im Detail - Dichtung und Wahrheit

Schöngefärbt, frisiert, manipuliert. Statistikfälscher am Werk. Zweifelhafte Zahlen oder unlautere Zweifel? - Wenn es um die Beweiskraft von Zahlen geht, steigen die politischen Kontrahenten nur zu gern in den Ring. Siehe jüngster Schlagabtausch um den Arbeitsmarkt und seine Statistik. Oder den Dauerclinch um die Gesundheitsreform und ihre Kosten für den Bürger. Aber wer kann dem Zahlenpingpong überhaupt noch folgen? Bei der Fülle sich teils widersprechender Zahlen quer durch alle Lebensbereiche, die Schlagzeilen in den Medien und die Runde in einschlägigen Polittalkshows machen? Der Normalbürger kommt da schon ins Grübeln: Seriös recherchiert? - Bei amtlichen Zahlen dürften jedenfalls die Voraussetzungen dafür gegeben sein. Dafür sorgt ein ganzes Arsenal von Gesetzen und Verordnungen. Dort ist von A bis Z durchbuchstabiert, was die amtlichen Zahlensammler wie abfragen sollen. Und das jeweils extra für jede einzelne statistische Erhebung: angefangen vom Außenhandel, über Finanzen, Steuern und Versicherungen bis hin zu Wirtschaftsrechnungen und Zeitbudget.

Den roten Faden gibt dabei das Bundesstatistikgesetz vor, das die amtliche Statistik zu Neutralität, Objektivität und wissenschaftlicher Unabhängigkeit verpflichtet und die Aufgaben des Statistischen Bundesamtes als obere Bundesbehörde im Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums festschreibt. Die Entscheidung darüber, welchen Fragen die amtliche Statistik nachgehen soll, liegt folglich beim Gesetzgeber, der sich dabei auf den im Statistischen Beirat versammelten Sachverstand stützen kann. Mit den Bundesministerien, dem Bundesrechnungshof, den statistischen Ämtern der Länder, dem Bundesbeauftragten für Datenschutz, den kommunalen Spitzenverbänden, der gewerblichen Wirtschaft, der Landwirtschaft, Wissenschaft, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften sind dort Auftraggeber, Datenproduzenten, Nutzer und Befragte vertreten.

Einen immer größeren Einfluss auf die Zahlen, die hierzulande von Amts wegen erhoben werden, hat die Europäische Union. Weit über die Hälfte der amtlichen Statistiken in Deutschland - insbesondere im Bereich der Wirtschafts- und Arbeitsmarktstatistiken - gehen mittlerweile auf verbindliche EU-Vorgaben zurück. Eine Zahl, die das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW) nennt.

So kommt beispielsweise beim Mikrozensus - der jährlichen Befragung von etwa 800.000 Personen in rund 370.000 Privathaushalten der Bundesrepublik - das Gros der Vorgaben von der Europäischen Union.

Und wenn jetzt ab 2005 - parallel zum Zahlenwerk der Bundesagentur für Arbeit - in Regie des Statistischen Bundesamtes eine zweite monatliche Arbeitsmarktstatistik geschrieben wird, hat das wiederum genau damit zu tun. Gezählt wird dabei nach ILO-Standard, wie er in der Europäischen Union verlangt wird. Nach Maßgabe der Internationalen Arbeitsorganisation gilt als erwerbslos, wer weniger als eine Stunde pro Woche arbeitet, in den vergangenen vier Wochen aktiv auf Arbeitssuche war und sofort - das heißt innerhalb von zwei Wochen - verfügbar ist. 30.000 Haushalte werden dazu ab jetzt bundesweit telefonisch befragt.

Die Bundesagentur für Arbeit holt ihre monatlichen Zahlen aus den Akten: Als arbeitslos eingestuft wird demnach, wer beim Arbeitsamt entsprechend registriert ist, weniger als 15 Stunden wöchentlich arbeitet und der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht.

Amtliche Erhebungen sind in der Mehrzahl für die befragten Bürger, Unternehmen und Behörden "Pflichtveranstaltungen". Wer seiner gesetzlichen Auskunftspflicht nicht nachkommt, kann gegebenenfalls mit Bußgeld belegt werden.

Das geht manchmal unter im tagtäglichen Papierkrieg und wirft bei den Befragten zugleich immer wieder die Frage nach Sinn und Zweck der Übung auf. Vor allem kleinere und mittlere Unternehmen klagen über die wachsende Auskunftslast und bekommen dabei Beistand auch von anderer Seite. Durch einen nachhaltigen Abbau von überflüssigen Statistiken könnten Bürger und Wirtschaft erheblich finanziell entlastet und von "Frondiensten" für die amtliche Statistik befreit werden, urteilt etwa der Rechnungshof Baden-Württemberg im Ergebnis einer Untersuchung. Die Rechnungshöfe des Bundes und von elf Ländern hatten dabei in einer konzertierten Aktion das öffentliche Statistikwesen in Deutschland kritisch unter die Lupe genommen.

Zwar gab es in den vergangenen Jahren schon mehrere "Statistikbereinigungsrunden", wie der Bund-Länder-Ausschuss Statistik in seinem Bericht zu weiteren Möglichkeiten des Bürokratieabbaus in der Wirtschaftsstatistik vom März dieses Jahres feststellt. Aber die spürbare Entlastung der Wirtschaft von statistischen Berichtspflichten bleibe eine ständig wiederkehrende Forderung an die amtliche Statistik. Die häufig nur schwer miteinander zu vereinbarenden Interessen und Anforderungen von Politik, Wirtschaft, Tarifpartnern, Wissenschaft und Öffentlichkeit seien dabei gegeneinander abzuwägen. "Maß und Mitte" müssten hierbei den Ausschlag geben.

Die mit hohem Aufwand erhobenen statistischen Daten über Leben und Arbeit in Deutschland sollen zudem besser als bisher für Wissenschaft und Politik erschlossen werden. Von dem Anfang November berufenen Nationalen Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten werden dabei entscheidende Impulse erwartet. Auch unnötige Doppelbefragungen könnten so vermieden werden. Als Beispiel für eine effektivere Zusammenarbeit von Sozialwissenschaft und Statistik nannte Forschungsministerin Bulmahn in diesem Zusammenhang den Ersatz aufwändiger Volkszählungen durch die Nutzung vorhandener Behördenregister. Diese könnten mit stichprobenartigen Erhebungen in größeren Gemeinden ergänzt werden. Damit ließen sich die Kosten der eine Milliarde Euro teuren klassischen Volkszählung um zwei Drittel senken.

Familie und Demographie, Bildung und Arbeit, Einkommen und Vermögen, soziale Sicherung sowie Gesundheit und Pflege. Amtliche Zahlen dazu spielen in der Reformdiskussion in Deutschland eine entscheidende Rolle. Gleichzeitig ist das öffentliche Statistikwesen selbst im Wandel begriffen, wie nicht zuletzt das Duell um die Arbeitsmarktzahlen gezeigt hat.

Mehr Flexibilität und eine bessere Abstimmung des gesamten Systems der statistischen Infrastruktur stehen auf der Agenda. Interessant, was das DIW unter diesem Aspekt bereits vor einiger Zeit in die Debatte geworfen hat: "Für gesellschaftlich interessante Fragestellungen kommen aber auch nichtamtliche statistische Erhebungen in Frage. Sie liefern vielfach aufgrund ihrer in der Sache liegenden Flexibilität für punktuelle Fragestellungen wichtigere Ergebnisse als amtliche Daten und sollten deshalb in die Koordinierung einbezogen werden."


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.