10.3.2
Fragen der demokratischen Legitimität
Die demokratische Legitimität
nichtstaatlicher Akteure
Oft wird kritisiert, dass nichtstaatliche
Akteure keine demokratische Legitimität im streng
staatstheoretischen Sinne hätten. In der Tat haben sie kein
formelles Mandat, das aus allgemeinen, freien und geheimen Wahlen
hervorgegangen wäre. Auch intern sind
Nicht-Regierungsorganisationen nicht generell demokratisch
strukturiert, oft besteht auch keine Transparenz hinsichtlich ihrer
Finanzierung. Und selbst da, wo sie sich auf eine große
Mitgliederbasis oder auf hohe und durch Meinungsumfragen belegte
Akzeptanz in der Gesellschaft stützen können,
repräsentieren sie letztlich nur sich selbst bzw. das Anliegen
ihrer Unterstützer. Insofern besteht kein Anspruch für
nichtstaatliche Akteure, an (zwischen)staatlichen Entscheidungen
formell gleichberechtigt beteiligt zu sein; sie erheben diesen
Anspruch aber auch gar nicht (Beisheim 1997, Wahl 2001). Vielmehr
agieren etwa der BDI oder Greenpeace als Interessengruppen für
ihre Sache und versuchen, im Sinne eines pluralistischen
Wettstreits auf die Politik Einfluss zu nehmen. Neu daran ist, dass
sich heute zuvor eher unterrepräsentierte Interessen, wie etwa
menschenrechts-, umwelt-, entwicklungspolitische Interessen,
stärker artikulieren, während wirtschaftspolitische
Interessen schon länger bei den internationalen Institutionen
präsent sind.
Frauen sollten in den Führungsgremien
von nichtstaatlichen Gruppen deutlich besser repräsentiert
sein.47 Mehr als zehn
Prozent der beim Wirtschafts- und Sozialrat der UNO akkreditierten
NGOs sind mittlerweile Frauen-NGOs. Lokale, nationale, regionale
und internationale Frauen-NGOs sind recht eng miteinander
verknüpft. Mit dem „Caucus-System“ hat die
Frauenbewegung einen Verhandlungsmechanismus internationaler
NGO-Politik hervorgebracht, der als eine Art Vermittlung zwischen
den Basisbewegungen und den offiziellen Verhandlungssystemen zu
verstehen ist.48
Als öffentliches
Forum der Beratung soll dieses Caucus-System nicht nur die interne
Koordinierung des politischen Prozesses erleichtern, sondern vor
allem auch die Transparenz von Verhandlungsprozessen gegenüber
der eigenen Basis erhöhen und die Legitimationsbasis der
Vertreterinnen von Frauen-NGOs in Regierungsverhandlungen
verbreitern.
Stärkung der Legitimität
politischer Systeme durch nichtstaatliche Akteure
Nach wie vor beruht demokratische
Legitimation auf der Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger,
Körperschaften und anderer Institutionen am Zustandekommen der
Gesetze, die sie betreffen. Freilich traf und trifft die Umsetzung
dieser Volkssouveränität schon immer auf konzeptionelle
und praktische Schwierigkeiten. Faktisch ist es in allen
bestehenden liberaldemokratischen System mediatisiert durch
Verfahrensregeln und Institutionen, wie der Wahl politischer
Parteien. In einem komplexen System von
Global Governance besteht nun die Gefahr, dass solche
vorwiegend nationalen Verfahren in ihrer Bedeutung weiter sinken.
Schon heute empfinden viele Bürgerinnen und Bürger das
ihnen zustehende Wahlrecht als nicht mehr politisch relevant;
Zeichen dafür ist die wachsende Zahl von Nicht- oder
Stimmungswählern. In der Tat könnten nationale Wahlen
insbesondere in kleineren Staaten im Zuge der Globalisierung auf
die Bedeutung von Lokalwahlen zurücksinken.
Global Governance könnte damit zunehmend zu einer
autokratisch verselbständigten Expertokratie werden und den
Weg zu einer weltweiten Oligarchie der Besitz- und Bildungseliten
ebnen. Gesellschaftliche Gruppen könnten dazu beitragen,
diesen Tendenzen entgegenzuwirken.
Nichtstaatliche Akteure erfüllen mit
ihrem Engagement in einem System von „Checks and
Balances“ eine wichtige demokratische Funktion. Dies ist
besonders wichtig, wenn man davon ausgeht, dass das
„Herauswachsen“ (J.Habermas) ökonomischer Prozesse
und Strukturen aus dem Rahmen des Nationalstaates im Zuge der
Globalisierung zu einem Demokratiedefizit führt. Gerade mit
Blick auf internationale Verhandlungen besteht eine gravierende
Partizipationslücke: Unter den gegenwärtigen Bedingungen
sind internationale Entscheidungsprozesse häu fig
undurchsichtig, u.a. für die Öffentlichkeit, aber auch
für die dafür demokratisch legitimierten Akteure, die
Parlamente, und selbst für die Administrationen und
Regierungen. In diesem Demokratievakuum können NGOs dazu
beitragen, Entscheidungsprozesse öffentlicher und
transparenter zu machen. Als alleinige Legitimationsressource
reichen sie jedoch nicht aus: Im komplexen Institutionengefüge
auf den verschiedenen Ebenen einer
Global Governance sehen die meisten NGOs ihre Rolle bei
Monitoring, Information, Konsultation und kritischem Dialog –
gesamtgesellschaftlich verbindliche Entscheidungen treffen sollten
letztlich auch zukünftig nur entsprechend demokratisch
legitimierte Akteure (vgl. Birle 2002 und Beiträge in
Brunnengräber u.a. 2001).
Zivilgesellschaftliche Gruppen stellen schon
im nationalen politischen System eine größere
Öffentlichkeit her und bieten demokratische
Beteiligungsformen. Dieses bürgerschaftliche Engagement sollte
ihnen auch im Rahmen einer
Global Governance ermöglicht werden, zum Beispiel durch
einen freieren Zugang zu den Akten und Verhandlungen von
internationalen Organisationen oder rechtsförmlich
ausgestattete Eingaben- und Auskunftsrechte ihnen gegenüber,
vergleichbar den Petitionen oder den parlamentarischen Anfragen auf
nationaler Ebene. Wünschbares Ziel wäre, dass die bereits
bestehenden weltweiten Zusammenschlüsse nichtstaatlicher
Akteure sich schrittweise intern demokratisieren und mit der
zusätzlichen Legitimität gewählter Vertreter und
abgestimmter Positionen Agenda-Setting und
Problemlösungsvorschläge in ein System der
Global Governance einbringen könnten.
47 So lässt sich etwa selbst bei den NGOs im Forum
Menschenrechte eine mangelhafte Partizipation von Frauen an den
Entscheidungsstrukturen in deutschen NGOs exemplarisch aufzeigen:
fünf von 23 Organisationen sind reine Frauenorganisationen;
zwei von 18 gemischtgeschlechtlichen Organisationen haben keine
Frauen in den Führungsgremien; acht weitere Organisationen
haben einen Frauenanteil in den Führungsgremien von zum Teil
deutlich weniger als – den bei der parlamentarischen
Repräsentation in Deutschland erreichten – 30 Prozent;
fünf Organisationen haben einen Frauenanteil in den
Führungsgremien zwischen ca. 30 Prozent und 50 Prozent; drei
Organisationen haben einen Frauenanteil in den Führungsgremien
von 50 Prozent und mehr; im Forum Menschenrechte selbst
beträgt die Quote der Frauen knapp 40 Prozent (vgl. Ruppert
2002, vgl. auch Meyer und Prügl 1999, Wichterich
2001).
48 Der Begriff „Caucus“ bezeichnet eine
Versammlung, die sich mit einem bestimmten Thema befasst und
für alle Interessierten offen ist. Das
„Caucus-System“ soll vor allem als Gremium der
Absprache von Lobby-Aktivitäten und Aktionen dienen (Holthaus
und Klingebiel 1998: 55).
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