10.4
Herausforderungen für das Parlament
10.4.1 Parlamente und
Globalisierung
Nationale
Parlamente sind gegenüber den Regierungen hinsichtlich ihrer
Möglichkeiten zur Beeinflussung von Globalisierung und
Global Governance im Nachteil. Durch die Verlagerung
politischer Entscheidungsprozesse auf die Ebene der internationalen
Politik können sich Regierungen teilweise von der
parlamentarischen Kontrolle und somit von einem wesentlichen
Bestandteil des demokratischen Systems lösen. Internationale
Vereinbarungen kommen oft im Rahmen von nur mangelhaft
transparenten Verhandlungen zustande. Parlamente können sich
meist erst dann mit internationalen Abkommen ernsthaft befassen,
wenn die Verträge bereits von Regierungsseite unterschrieben
und nicht mehr verhandelbar sind (s.
Kasten 10-8).Die Abkommen sind darüber hinaus zu
vertretbaren politischen Kosten kaum revidierbar. Das Parlament wird auf diese
Weise durch – in den USA so genannte – Fast
track-Verfahren67 zum
„Exekutor“ internationaler Beschlüsse und sein
Gewicht wird im Zuge der Globalisierung durch die de facto
Stärkung der Exekutive vermindert. Gleichzeitig wird es von
den Bürgerinnen und Bürgern für die Folgen dieser
Vereinbarungen verantwortlich gemacht, da die Parlamente diese
Beschlüsse zu ratifizieren und in nationales Recht um zu
setzen haben.
Zudem dominieren
beschleunigte ökonomische Prozesse mit globaler Reichweite
gegenüber der notwendigen Langsamkeit nationalstaatlicher und
demokratisch legitimierter Politik. Ökonomische Prozesse
greifen also unter Umständen „viel schneller und
stärker in das Schicksal der Menschen ein als im Parlament
erstrittene Entscheidungen“ (Thierse 2001). Das bedeutet eine
Aushöhlung der von den nationalen Parlamenten wahrgenommenen
Volkssouveränität und stellt insofern ein erhebliches
demokratisches Problem dar.
Vielfach wird
darauf hingewiesen, dass die Diskrepanz zwischen nationaler und
internationaler Politik unvermeidlich ist, weil sich die dem
Nationalstaat eigenen majoritären, über
Parteienkonkurrenz vermittelten Formen der Demokratie nicht einfach
auf die Ebene jenseits des Staates übertragen lassen. Um so
bedeutsamer ist es aber, sich damit zu beschäftigen, welche
aktive Rolle Parlamente und Regierungen bei der Herausbildung einer
Global Governance übernehmen müssen, um durch
veränderte Organisations- und Arbeitsformen den
veränderten Rahmenbedingungen und den neuen Anforderungen
politischer Steuerung Rechnung zu tragen.
67 „Fast track“-Gesetzgebung bedeutet, dass
das Parlament über Gesetzesvorschläge nur insgesamt
entscheiden kann und nicht nachträglich bestimmte
„Package deals“ (Verhandlungspakete) aufschnüren
bzw. zusätzliche Forderungen als Preis für die
Verabschiedung eines Gesetzes stellen kann.
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