10.4.2.4 Vermittlung von
Globalisierungsfragen an die lokale Ebene im Wahlkreis
Aufgabe des
Parlaments ist es, die Sorgen und Bedürfnisse der
Bürgerinnen und Bürger im Zusammenhang mit der
Globalisierung aufzunehmen. Wenn Globalisierung in den Wahlkreisen
jedoch kaum Thema ist und bei den Bürgerinnen und Bürgern
vor Ort noch nicht als politisch gestaltbare Aufgabe wahrgenommen
wird, kann das dreierlei bedeuten. Entweder wird Globalisierung
nicht zur Kenntnis genommen, ihr wird mit Resignation begegnet oder
die Parlamentarier erscheinen den Bürgerinnen und Bürgern
als die falschen Ansprechpartner. Auch hier könnte ein
Schulterschluss mit NGOs hilfreich sein, um Auswirkungen der
Globalisierung zu thematisieren und positive
Handlungsmöglichkeiten aufzeigen zu können.
In diesem
Zusammenhang ist an den Vorschlag zu erinnern, Ausschusssitzungen
des Parlaments öffentlich abzuhalten.71 Um den Charakter der Ausschusssitzungen
als parlamentarische Arbeitsgremien zu erhalten, muss eine
sinnvolle Mischung zwischen öffentlichen und
nicht-öffentlichen Sitzungen gefunden werden. Im Rahmen
öffentlicher Sitzungen könnte vor einer breiteren
Öffent lichkeit und im engen
Kontakt mit den Wählerinnen und Wählern diskutiert
werden, auf welche weltweiten Interdependenzen in welcher Form
reagiert werden sollte. Parlamentarierinnen und Parlamentarier
müssen ihren Auftrag als demokratische Mittler zwischen den
Bürgerinnen und Bürgern auf der einen und den
internationalen Institutionen auf der anderen Seite wahrnehmen, um
Misstrauen, Ohnmachtsgefühle und Unzufriedenheit abzubauen.
Sie können auf diese Weise auch dazu beitragen, dass
internationale Kooperation nicht als ein Null-Summenspiel bzw. als
Wettbewerb um nationale Standortvorteile verstanden wird.
Globalisierungsprozesse müssen in ihrer ganzen
Komplexität diskutiert und die Notwendigkeit internationaler
Kooperation verdeutlicht werden.
Daraus ergeben
sich folgende Empfehlungen:
Empfehlung 10-15
Stärkere Einbindung des Parlaments in die
internationale Politik
Der Deutsche
Bundestag sollte als nationales Parlament von der Regierung eine
frühzeitige Informationspolitik und ein verbessertes
Mitspracherecht verlangen, damit seine Kontroll- und Gestaltungsfunktion
auch auf die internationale Ebene ausgedehnt werden kann. Schon bei
der Vorbereitung und während internationaler Verhandlungen ist
eine rechtzeitige, sachgerechte und hinreichende sowie ggf.
vertrauliche Unterrichtung der Mitglieder des Deutschen Bundestages
– und ggf. des Europäischen Parlaments – geboten, ohne dass damit die
Verhandlungsposition gegenüber möglichen Vertragspartnern
geschwächt wird. Vor der Unterzeichnung von Verträgen
sollten Regierungen ihren Parlamenten Informationen über das
erzielte Ergebnis vorlegen, versehen mit dem Hinweis auf
voraussichtlich notwendig werdende nationale
Gesetzesänderungen auf allen möglicherweise betroffenen
Gesetzgebungsebenen. Die Bundesregierung wird außerdem dazu
aufgefordert, die Vorsitzenden parlamentarischer
Fachausschüsse in geeigneter Weise an internationalen
Verhandlungen zu beteiligen, wie es die USA trotz einer strikter
gehandhabten Gewaltenteilung bereits praktizieren.
Empfehlung 10-16
Systematische Nutzung und Vernetzung von Kontakten und
Informationen für das Parlament
Das Parlament braucht
Informationen und Austausch auf europäischer und
internationaler Ebene, über herkömmliche Medien,
über Internet und über Reisen. Absprachen und
Ergebnisaustausch sollen zur systematischen Nutzung und Vernetzung
der Kontakte führen. Verbesserte Koordinierung und
gegenseitige Information über die Auslandsreisen von
Parlamentariern, Ausschüssen und Parlamentariergruppen
können dazu beitragen, Auslandskontakte optimal zu nutzen,
einen ressortübergreifenden, innerparlamentarischen
Informationsaustausch sicherzustellen und die Einbindung des
Parlaments in internationale Politikprozesse zu verbessern. Eine
Datenbank internationaler Gesprächspartner zu
globalisierungsrelevanten Fachthemen sollte erwogen
werden.
In Kontakten mit
Parlamentarierinnen und Parlamentariern auf EU-Ebene wie auf
internationaler Ebene soll der Austausch über Parlamentsarbeit
und Demokratieerfahrungen erleichtert und ermöglicht werden.
Vor allem für Abgeordnete aus Entwicklungsländern und
jungen Demokratien soll dieser Austausch auch durch Reisen zum
Deutschen Bundestag und zu europäischen Parlamenten
gefördert werden. Die Teilnahme von Parlamentarierinnen und
Parlamentarier an einem „Exposure und Dialogprogramm“
in Verbindung mit Auslandsreisen ist zu empfehlen und sollte von
der Verwaltung unterstützt werden. Die Arbeit bestehender
internationaler parlamentarischer Versammlungen (IPU, EP) sowie
internationaler Netzwerke zwischen Parlamentariern und
internationaler Parlamentarierkonferenzen zu sektoralen oder
regionalen Themen sollte ausgewertet, ausgebaut und intensiv durch
den Deutschen Bundestag genutzt werden.
Das Parlament
benötigt größere Transparenz und Öffentlichkeit
der Parlamentsarbeit auch über das Internet, also eine
Stärkung von Parlamentsrechten und von
Öffentlichkeitsrechten. Der Austausch über Themen kann
e-vernetzt erfolgen. Das Parlament kann und soll eigene
Erkenntnisse und gewonnene Beratungs- und
Informationsergebnisse der
Öffentlichkeit zur Verfügung stellen und so mit der
Zivilgesellschaft in Dialog treten. Ein
e-Parliament flankiert alle anderen Ansätze zur
Intensivierung und Verbesserung der internationalen
Parlamentsarbeit und ermöglicht Abgeordneten, zu spezifischen
Themen „Parliamentary Intergroups“ zu bilden, die z.B.
gemeinsame Politikansätze, internationale Harmonisierung von
Gesetzesinitiativen oder das Aufspüren und Überwinden
von nationalen Interessendifferenzen beraten und so auch im
Vorfeld von Verhandlungen Lösungsvorschläge beitragen
können.
Empfehlung 10-17
Einsetzung einer „Task Force
Globalisierung“
Die
Enquete-Kommission empfiehlt dem Bundestag, in der kommenden
Legislaturperiode eine zeitlich befristete „Task Force
Globalisierung“ einzurichten, die prüfen soll, wie eine
angemessene parlamentarische Befassung mit globalen
Querschnittsfragen organisatorisch gefes-tigt werden kann. Dabei
soll sie auch die Einrichtung neuer parlamentarischer Gremien
prüfen, sei es die Einrichtung eines ständigen
„Querschnittsausschusses Globalisierung“ (etwa parallel
zum Europaausschuss) oder die Einrichtung eines hochrangigen
Koordinationsgremiums, dessen Aufgabe in der Herstellung einer
ressort-übergreifenden Verzahnung über die
Ausschussgrenzen hinweg besteht. Auch die Einrichtung
themenbezogener „Task Forces“, die sich für eine
begrenzte Zeit speziell mit ausgewählten globalen
Fragestellungen beschäftigen und etwa die Organisation
gemeinsamer Anhörungen mit den betroffenen
Fachausschüssen zu globalisierungsrelevanten Themen
übernehmen, sollte erwogen werden. Es sollte auch geprüft
werden, wie im Rahmen der parlamentarischen Beschäftigung mit
Globalisierungsfragen sichergestellt werden kann, dass
Genderaspekte angemessen berücksichtigt werden, z.B. über
institutionelle Einrichtungen wie Gender-Audits oder einen sog.
„Genderdesk“ (s. Kasten 6.2).Um die federführenden
Ausschüsse in diese Arbeit der „Task Force
Globalisierung“ einzubinden, ist die Doppelmitgliedschaft der
Mitglieder der „Task Force“in einem regulären
Bundestagsausschuss und dem neuen Gremium sinnvoll.
Empfehlung 10-18
Intensivierung des Dialogs mit NGOs
Parlamente haben im
Dialog mit nichtstaatlichen Akteuren bereits positive Erfahrungen
sammeln können. Daher empfiehlt die Enquete-Kommission dem
Parlament, sich diesen gegenüber weiter zu öffnen und
hinsichtlich internationaler Politikprozesse den Dialog und die
Kooperation zu intensivieren. Über Netzwerke kann ein
dauerhafter Dialog mit gesellschaftlichen Gruppen, Organisationen,
Institutionen wie Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften,
Kirchen, NGOs, der Wissenschaft, der Kultur oder auch einzelnen
Berufsvereinigungen entstehen. Während EU-interner oder
internationaler Verhandlungen sollten betroffene nichtstaatliche
Akteure, v.a. die Sozialpartner, von Regierung und Parlament
aufgrund meist umfangreicher wirtschafts-, struktur-,
arbeitsmarkt-, sozial- und umweltpolitischer Auswirkungen der
Ergebnisse informiert und zu Stellungnahmen aufgefordert
werden.
71 Dieser Vorschlag wird auch vom
Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse unterstützt
(Thierse 2001). Nach der Geschäftsordnung des Bundestages sind
in der Ausschussarbeit zwei Arten von öffentlichen Sitzungen
möglich: die so genannte Erweiterte öffentliche Beratung
und die öffentliche Anhörung. In der 13. WP gab es
insgesamt drei Erweiterte öffentliche Ausschussberatungen im
Sinne des § 69 a GOBT. Ferner gab es insgesamt 209
Ausschusssitzungen mit öffentlichen Anhörungen. In 127
öffentlichen Anhörungen wurden insgesamt 169
Gesetzentwürfe beraten.
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