10.5
Ausblick und offene Fragen
10.5.1 Zukünftige
Ziele von Global Governance
Für die
Enquete-Kommission „Globalisierung der Weltwirtschaft“
ist
Global Governance ein Ansatz für die Bearbeitung globaler
Probleme von zunehmender Komplexität und Interdependenz. Im
Spannungsfeld zwischen Staaten und multinationalen Institutionen,
globalisierter Wirtschaft und Finanzwelt, Medien und
Zivilgesellschaft plädiert
Global Governance für eine neue, kooperative Form der
Problembearbeitung: Für
Global Governance sind dialogische und kooperative Prozesse
zentral, die über die verschiedenen Handlungsebenen
subsidiär entlang der Achse lokal – global hinweg
reichen sowie Akteure aus den Bereichen Politik, Wirtschaft und
Gesellschaft zusammenführen und vernetzen.
Global Governance setzt damit also auf das konstruktive
Zusammenwirken von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren in
dynamischen Prozessen interaktiver Entscheidungsfindung von der
lokalen bis zur globalen Ebene. Darauf zielen die Empfehlungen
dieses Kapitels ab.
Substanziell setzt Global Governance auf eine am
Nachhaltigkeitskonzept orientierte Ordnungspolitik für die
globalisierte Marktwirtschaft und die Einbindung ökonomischer
Prozesse in umfassendere gesellschaftliche Ziele über die
Schaffung wirtschaftspolitischer, sozialer und ökologischer
Leitlinien. So unterschiedliche Aspekte wie globaler Umweltschutz,
Kampf gegen die Armut, Konfliktprävention, die Verwirklichung
von Menschenrechten, Stabilität der Finanzmärkte,
Generationen- und Geschlechtergerechtigkeit bis hin zur Bewahrung
und Weiterentwicklung sozialer Standards müssen
berücksichtigt werden. Die Vertreter dieses Konzeptes sind
mehrheitlich der Ansicht, dass Global Governance den Prozess der
Globalisierung nicht aufhalten oder gar zurückdrehen kann und
will. Jedoch soll für die sich dynamisch entwickelnden
Weltmärkte ein Ordnungsrahmen geschaffen werden, der
Fehlentwicklungen vermeidet und ggf. korrigiert. Diese
Fehlentwicklungen haben dazu geführt, dass die potenziellen
Wohlstandsgewinne der Globalisierung im Wesentlichen nur einer
Minderheit von Ländern und Menschen zugute gekommen sind und
demgegenüber der Abstand zwischen Arm und Reich, in vielen
Regionen auch die Armut oder der Raubbau an den Naturressourcen in
den 90er Jahren zugenommen haben. Globalisierung und
Global Governance sind jedoch langfristige Prozesse, die
ergebnisoffen und gestaltbar sind.
Strukturell setzt
Global Governance auf Regelungsinstitutionen und -formen
jenseits der einzelstaatlichen Ebene. Grenzüberschreitende
Probleme sollten in verflochtenen Mehr-Ebenen-Systemen bearbeitet
werden, in denen Nationalstaaten zwar eine wichtige Scharnierrolle
übernehmen, jedoch Kompetenzen „nach oben“ (inter-
und supranationale Ebenen) und „nach unten“ (lokale und
regionale Politik) abgeben. Problemlösungen müssen auf
der Ebene institutionell angesiedelt werden, die sachlich und
organisatorisch angemessen ist und auf der Probleme daher
möglichst effizient und demokratisch zu lösen sind. Die
institutionellen Empfehlungen für
Global Governance sollten sich nicht von der Frage leiten
lassen, auf welchem Wege der Selbstbehauptung der traditionellen
politischen Institutionen des Nationalstaates am besten gedient
werden kann. Vielmehr sollten sich nationalstaatliche Akteure im
Rahmen von
Global Governance immer mehr auch mit anderen „Global
Players“ verständigen, sei es mit regionalen und
internationalen Institutionen oder mit privatwirtschaftlichen und
zivilgesellschaftlichen Akteuren. Dabei kann dem
Selbstbehauptungsinteresse der öffentlichen Akteure dadurch
Rechnung getragen werden, dass sie allein das Recht auf
Kompetenzallokation behalten (vgl. Wolf 2001). Die Staaten –
vorzugsweise vertreten durch ihre Parlamente – sollten nach
wie vor über die Kriterien und Bedingungen zu entscheiden
haben, nach denen internationale Organisationen oder private
Akteure bestimmte öffentliche Aufgaben wahrnehmen können.
Auch die Kohärenz all der Politikbereiche, die sich mit
internationalen Fragen beschäftigen, muss durch die nationalen
Institutionen gewährleistet werden.
Im Rahmen des
Auf- und Ausbaus von
Global Governance spielt die Stärkung, Reform und
Demokratisierung von internationalen Institutionen eine
wesentliche Rolle.
Global Governance zielt auf die problemadäquate
Reorganisation der internationalen Institutionenlandschaft ab. Ziel
muss es sein, vorhandene ineffektive oder undemokratische
Strukturen zu überwinden.
Global Governance will dort, wo aufgrund drängender
globaler Probleme dringender Handlungsbedarf besteht, effektive und
demokratische internationale Organisationen und Regime schaffen
bzw. existierende Institutionen reformieren, um eine verbesserte
Handlungsfähigkeit und finanzielle Ausstattung zu erreichen.
Global Governance ist nicht nur eine organisatorische oder
finanzielle Frage, sondern ein politischer Prozess, bei dem auch
Machtungleichgewichte, die für gegenwärtige Probleme
mitverantwortlich sind, überwunden werden müssen.
Internationale Organisa tionen sind nur so stark, wie ihre
Mitgliedsstaaten sie machen: sowohl eine umsichtige
Übertragung von Handlungskompetenzen als auch eine ausreichende
Ressourcenausstattung ist Voraussetzung für ihre
Handlungsfähigkeit. Deutschland sollte im Verbund mit der EU
zur Stärkung internationaler Organisationen beitragen, um
deren Fähigkeiten zum Management grenzüberschreitender
Probleme und zur Bereitstellung globaler öffentlicher
Güter zu verbessern. Dort, wo bereits rechtsverbindliche
internationale Normen gesetzt werden konnten, sollte ihre Um- und
Durchsetzung befördert werden. Auch regionale
Kooperationsprojekte sind eine wichtige Stütze von
Global Governance. Die Europäische Union, die nicht nur
auf wirtschaftliche Zusammenarbeit, sondern auch auf politische
Integration und sozialen Ausgleich zielt, ist ein positives Modell,
das es weiter auszubauen und zu demokratisieren gilt. Regionen
sollten ihre Zusammenarbeit im Rahmen demokratischer
Regionalorganisationen verbessern und ihre außenpolitische
Handlungsfähigkeit stärken. So könnten sie auch die
Arbeit der UNO besser unterstützen, zu deren Demokratisierung
beitragen und im UN-Sicherheitsrat – als ein wichtiger Akteur
für global bedeutsame Entscheidungen – stärker mit
Sitz und Stimme vertreten sein. Ansätze zur Bündelung
regionaler Kräfte und Interessen könnten
Entwicklungsländer dabei unterstützen, stärker als
bisher von den Vorteilen der Globalisierung zu profitieren.
Entwicklungspolitik sollte generell im Sinne einer internationalen
Strukturpolitik konzipiert werden, um die Rahmenbedingungen
für eine sozial, wirtschaftlich und ökologisch
nachhaltige Entwicklung zu verbessern.
Im Rahmen einer
verbesserten Zusammenarbeit zwischen staatlichen und
nichtstaatlichen Akteuren sollten Politik-netzwerke und
-partnerschaften zwischen Regierungen, Parlamenten, Wirtschaft,
Gewerkschaften sowie der Zivilgesellschaft unterstützt werden.
Diese Zusammenarbeit sollte dazu beitragen, die Transparenz
internationaler Politikprozesse zu erhöhen sowie sie auf
nationaler Ebene besser vor- und nachzubereiten. Generell ist bei
der Bildung transnationaler Netzwerke wichtig, auch lokale Akteure
einzubinden und eine Balance zwischen den verschiedenen Beteiligten
zu finden, etwa zwischen Nord und Süd, Starken und Schwachen,
Globalisierungsgewinnern und -verlierern. Sowohl bei den
internationalen Institutionen wie auch bei diesen Netzwerken sollte
darauf geachtet werden, dass Frauen und Männer
gleichberechtigt vertreten sind und dass frauenspezifische Belange
berücksichtigt werden. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit
könnten freiwillige Selbstverregelungsinitiativen bestehendes
(zwischen-)staatliches Recht ergänzen und internationale
Vorbildfunktion für eine angepasste und angemessene
Standardsetzung haben.
Die Einrichtung
der Enquete-Kommission „Globalisierung der
Weltwirtschaft“ zeigt, dass sich das Parlament der
oben angesprochenen Herausforderungen bewusst ist und nach
Antworten sucht. Als demokratisch gewählter Akteur sollte das
Parlament im Rahmen einer Global Governance gestärkt werden:
Es muss seine Kontroll- und Gestaltungsfunktionen auch auf die
internationale Ebene ausdehnen. Verbesserte Mitspracherechte in der
außenpolitischen Entscheidungsfindung sowie ein
verstärkter Austausch mit anderen Parlamenten und auch
zivilgesellschaftlichen Akteuren auf europäischer und
internationaler Ebene sind erste Schritte hierzu. Eine „Task
Force“ sollte prüfen, welche weiteren organisatorischen
Verbesserungen der angemessenen parlamentarischen
Beschäftigung mit globalisierungsrelevanten Themen dienen.
Global Governance-Ansätze zeichnen sich durch einen
politisch-praktischen, perspektivischen und normativen Charakter
aus. Sie entwerfen neue Modelle der politischen Steuerung und
Kooperation, in dem bestehende politische Institutionen und Akteure
mit neuen Formen der Politikgestaltung von der lokalen bis zur
globalen Ebene und unterschiedliche Politikfelder miteinander
verbunden werden. Wo Defizite zu erkennen sind, werden Reformen
gefordert und politische Instrumentarien und Prozesse auf ihre
Funktionsfähigkeit im globalen Miteinander von Wirtschaft,
Gesellschaft und Politik überprüft. Ausgehend von der
Diagnose, dass viele grenzüberschreitende Probleme nicht mehr
mit den herkömmlichen Methoden und Instrumenten der
nationalstaatlichen Außenpolitik erfolgversprechend bearbeitet
werden können, wird Globalisierung nicht nur als
ökonomischer, sondern auch als politischer und kultureller
Prozess erkannt und wahrgenommen, den es zu gestalten gilt. Wenn
sich die Probleme globalisieren, muss auch die Politik reagieren:
Eine demokratische und handlungsfähige
Global Governance soll dazu beitragen, dass die Chancen der
Globalisierung für alle Menschen nutzbar sind, um
möglichst breiten und nachhaltigen Wohlstand zu schaffen.
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