11.3.3.2 Handel und Wettbewerb in der
Globalisierung
11.3.3.2.1 Bewertung
Wir nehmen zur
Kenntnis, dass die Konzentration im Unternehmenssektor für
alle Parteien ein Problem darstellt. Allerdings greifen sowohl die
Beschreibung als auch die politischen Empfehlungen zu kurz.
Einerseits ist dies durch die Konzentration auf das Problem des
fehlenden internationalen ordnungspolitischen Rahmens bedingt. Im
Zentrum steht damit zwangsläufig nur die Frage nach der
„richtigen“ Wettbewerbspolitik. Andererseits wird
versäumt, die sozialen Wirkungen der jüngsten
Fusionswelle zu betrachten. Es wird zwar festgestellt, dass die
meisten Fusionen nicht von Erfolg gekrönt sind. Wichtiger ist,
dass es vor, während und nach Fusionen zu Massenentlassungen,
zur Einschränkung der Mitbestimmung und einem weiteren Druck
auf Sozialstandards kommt. In dieser Kombination liegt für uns
das zentrale Problemfeld, aus dem direkte und indirekte negative
soziale Wirkungen für die Beschäftigten und
Veränderungen der in nerbetrieblichen Demokratie
abzuleiten sind. Folglich resultiert der politische Handlungsdruck
nicht allein aus den negativen Effekten der
„Megafusionen“ für den technischen Fortschritt,
aus der steigenden Abhängigkeit des Mittelstandes und
„allgemeinen“ gesellschaftspolitischen Problemen, die
durch die wachsenden Einflußmöglichkeiten der Unternehmen
verursacht werden.
Die Problemfelder sind im Endbericht zwar
richtig beschrieben, doch die unterstellte Beeinträchtigung
des technischen Fortschritts durch wettbewerbsbeschränkende
Wirkungen ist zu hinterfragen. Gerade weil die steigenden Kosten
des technischen Fortschritts bei hoher Kapitalintensität ein
zentraler Fusionsgrund sind wäre demnach zu fragen, welcher
technische Fortschritt so verhindert und welcher auch in
„vermachteten“ Strukturen befördert wird. Welcher
gesellschaftliche Bedarf wird nicht befriedigt, weil Mittel
gebunden und für Übernahmen und Rationalisierung
eingesetzt werden? Mit der steigenden Macht der Unternehmen wachsen
die gesellschaftspolitischen Risiken, während die
demokratische und soziale Teilhabe sowie die Entscheidungskompetenz
nicht nur für die Politik, sondern auch in den Betrieben
eingeschränkt wird. Wettbewerbspolitik allein wird diesen
Problemen allerdings genau so wenig gerecht werden, wie
hierüber der Interessenausgleich zwischen den ungleich
entwickelten Volkswirtschaften stattfinden kann.
11.3.3.2.2 Feststellung
Wir stellen fest, dass im Mehrheitsvotum
einer der zentralen ökonomischen Gründe der jüngsten
Fusionswelle fehlt: Sie ist Produkt der Wachstumskrisen auf den
Binnenmärkten. Denn trotz steigender Gewinne ist es nicht
rentabel, in neue Produktionskapazitäten zu investieren.
Stattdessen wird das interne Wachstum über eine Stärkung
der eigenen Position auf dem Weltmarkt und die massive
Kostenreduktion durchgesetzt. Dieser Ansatz forciert zum einen den
Kauf bestehender Unternehmen auf dem Weltmarkt. Zum anderen wird
mit Übernahmen/Fusionen die Ausgangsbasis für die Abwehr
gegen Übernahmen durch andere Unternehmen verstärkt.
Ausschlaggebend für alle ausländischen
Direktinvesti tionstätigkeiten (ADI) sind vor allem das
Wachstum des Binnenmarktes (Zielland der Investition) bzw. die
Absatzmöglichkeiten auf den angestammten Märkten. Die
Kontraktion auf dem heimischen Markt verstärkt immer die
Tendenz zur Erschließung neuer Märkte. Was u.a. als
Unterkonsumption be zeichnet wird und betriebswirtschaftlich
als Absatzproblem im Unternehmen auftaucht, soll so
grenzüberschreitend gelöst werden. Die Lohnhöhe
spielt als Investitionsmotiv eine untergeordnete Bedeutung
(Wortmann 2000:165ff). Jedoch übersetzt sich die
Kostenkonkurrenz zwischen den einzelnen Standorten in Lohn- und
Sozialdumping.
Trotz der Investition im Ausland und der
steigenden Bedeutung transnationaler Konzerne sind klare
Einschränkungen bezüglich des Inter
nationalisierungsgrades und ihrer weltweiten Mobilität zu
treffen: Obwohl sich Unternehmen internationalisieren liegt ihr
Hauptaktionsrahmen in der OECD, mit einem deutlichen Bezug zum
angestammten nationalen Standort. Hier werden die zentralen
Entscheidungen für sämtliche Aktivitäten getroffen,
da sich dort die Konzernzentralen befinden. Dies betrifft sowohl
die Produktionsstruktur, den Handel mit Waren und Dienstleistungen, die
Investitionstätigkeit und den Rückfluß der Gewinne
sowie die getätigten Forschungs- und Entwicklungs
ausgaben (Doremus, Kellner, Pauly, Reich 1998). Folglich
ergänzen die ADI den Trend, der auf den Waren-, Güter-
und Dienstleistungsmärkten generell zu verzeichnen ist: Sie
sind regional konzentriert, und in die Mehrheit der Länder auf
der Welt fließen in Relation hierzu kaum Investitionen. Auf
der anderen Seite bedeutet dies eine Konzentration in den
Industrienationen über alle Branchen hinweg. Mit diesen
Strukturveränderungen bilden sich Unternehmensnetzwerke
heraus, in denen Unternehmen unterschiedlicher
Größenordnung mit klaren Abhängigkeiten und
Hierarchien verbunden werden.
Den im Endbericht angemahnten
wettbewerbsrechtlichen Entscheidungen zur Minimierung der
„Vermachtung der Märkte“ kann zugestimmt werden.
Aber eine allein auf die Herstellung besserer Rahmenbedingungen
für den Wettbewerb und eine darauf abzielende Kontrolle von
Fusionen, sich abzeichnenden Kartellen und ihre Zerschlagung
zentrierte Lösungsperspektive wird dem Problem nicht gerecht.
Zurückzuführen ist diese verkürzte Sicht auf das dem
Endbericht zugrundeliegende, aber der Realität widersprechende
Verständnis vom „vollkommenen“ Wettbewerb als
normale Marktform. Wir teilen nicht die Auffassung, dass der Trend
zur „Vermachtung“ der Märkte zwar zu beobachten
ist, aber die Probleme noch nicht gänzlich sichtbar sind und
erst in der Zukunft eine Gefahr darstellen. Diese Einschätzung
abstrahiert von den realen Marktgrößen und der
Marktaufteilung, da im Prozess der Globalisierung die gesamte Welt
oder große Regionen als Wettbewerbsfeld gelten. In Anbetracht
des Gewichts von Unternehmen aus der OECD, die unter sich bereits
die heimischen als auch die anderen Märkte aufgeteilt haben,
ist der Zeitpunkt des Handelns längst überschritten.
Gleichfalls unterbelichtet bleibt die
Abhängigkeit in Netzwerkstrukturen, die KMU an einen oder
wenige große Unternehmen binden. Folgen und
Begleitumstände von Fusionen sind fast immer Entlassungen,
dauerhafte Arbeitsplatzvernichtung und Arbeitsverdichtung durch
massive Rationalisierungen und der Abbau sozialer und tariflicher
Leistungen und Schutzrechte. Verstärkt wird dieser Prozess
durch Ausgliederungen und Verkäufe, da die Durchsetzung des
„shareholder values“ im Rahmen von
Fusionen/Übernahmen eine Konzentration auf das
Kerngeschäft verlangt. Wirtschaftliche und damit politische
Macht organisiert sich neu und verschwindet nicht durch den
Wettbewerb in einer „globalisierten Wirtschaft“ oder
durch „neue Unternehmen“. Die steigende
unternehmerische Macht führt somit nicht nur zu den im
Endbericht angeführten gesellschaftspolitischen Risiken, sie
entwertet zunehmend auch die Mitbestimmung in den Betrieben, so
dass sich die Fragen nach innerbetrieblicher Demokratie und
sozialer Gestaltung vor einem veränderten Hintergrund stellen.
In dieser Hinsicht sind die Instrumente auf nationaler und
europäischer Ebene zu stärken, die den Beschäftigten
ihre sozialen Rechte sichern und im Zeitalter von
„Megafusionen“ auf die neuen Bedingungen reagieren.
Informationsrechte allein helfen kaum, hier bedarf es neuer,
effektiver Einflussmöglichkeiten auf nationaler und
europäischer Ebene.
Empfehlung
Angesichts der sozialen Dimension
von Fusionen und Unternehmensübernahmen sind die Aspekte der
sozialen Sicherungen in den entsprechenden Gesetzen und
Verordnungen (Übernahmegesetz und EU-Übernahmericht
linie) stärker zu verankern bzw. durch Erweiterungen zu
flankieren. Zur Sicherung der Interessen von Öffentlichkeit
und Belegschaften sollen Regelungen für Übernahmen
vorsehen, dass sie nur nach intensiver Information der
Belegschafts- und Gewerkschaftsvertreterinnen und -vertretern und
in besonderen Fällen nur mit Zustimmung der
Belegschaften/Gewerkschaften erfolgen dürfen. Gesetzliche und
tarifvertragliche Regelungen sollten ein befristetes Verbot von
Massenentlassungen und Betriebsschließungen als Folge von
Fusionen enthalten und vorsehen, dass die sozialen Kosten von
Folgemaßnahmen durch die Unternehmen zu tragen
sind.
11.3.3.2.3 Wettbewerbsordnung
Der im Endbericht
thematisierte beitrittsoffene plurinationale Ansatz
(Clublösung) als „Keimzelle einer globalen
Wettbewerbsordnung“ erscheint uns problematisch. Richtig und
wichtig ist die angemahnte bessere Absprache und globale Kontrolle
von Unternehmenszusammenschlüssen vor allem in den
Industriestaaten. Allerdings kann die Konstitution eines
internationalen „Wettbewerbsregimes“ nicht allein durch
die Bedürfnisse und Interessen der Industrieländer
bestimmt werden, die mit einer „Clublösung“ die
weitere Debatte vorgeben. Ein vergleichbares Ansinnen unterliegt
dem ebenfalls angeführten Vorschlag der EU-Kommission, das
Thema „Handel und Wettbewerb“ in der WTO zu behandeln
und zu verankern. Wir erachten zwar eine künftige
multilaterale Vereinbarung über wettbewerbspolitische
Mindeststandards als notwendig, halten aber die WTO nicht für
den geeignete Ort, um das Thema „Wettbewerb“ zu regeln.
Multi- und plurinationale Regelungen müssen an die Einhaltung
international gültiger Sozial- und Umweltstandards sowie
menschenrechtlicher und demokratischer Normen gebunden,
darüber hinaus jedoch auch mit entwicklungspolitischen und
strukturpolitischen Zielsetzungen verbunden werden. Das Regelwerk
der WTO umfasst aber genau diese Ziele und Regelwerke nicht (siehe
oben). Offensichtlich wird die Diskrepanz zwischen der im
Endbericht skizzierten quantitativen und qualitativen Ungleichheit
in der Globalisierung (Volkswirtschaften und Unternehmen), die sich
einerseits in der Behandlung von Fragestellungen in der WTO unter
dem Aspekt des „special and differential treatment“
niederschlägt. Andererseits wird genau diese Differenzierung
mit dem Hinweis, ein „level playing field“ durch eine
gemeinsame Wettbewerbs- und Ordnungspolitik zu schaffen, in Abrede
gestellt oder stark begrenzt (Kapitel 3.3.2. Wettbewerb und
Entwicklungsländer).
Im Kern sind die
wettbewerbsrechtlichen Fragen trotz aller fehlenden Regelungen in
den Entwicklungs- und Schwellenländern sowie den dortigen
personellen und finanziellen Unzulänglichkeiten ein Problem
der OECD-Nationen. Denn hier sind die „global player“
im wesentlichen beheimatet, werden sie hofiert und zur guten
Aufstellung des
heimischen Standortes im „globalen Wettbewerb“ für
notwendig erachtet. Aus den daraus abgeleiteten wirtschafts- und
sozialpolitischen Strategien ergeben sich die Probleme der
Oligopolisierung und Monopolisierung auf den internationalen
Märkten, die häufig den Entwicklungsanstrengungen im Rest
der Welt zuwiderlaufen und auch hierzulande zu sozialen Problemen
führen.
Unabhängig
davon sehen wir die Notwendigkeit, über die bisherigen
bilateralen Abkommen und internationalen Vereinbarungen
hinauszukommen, um das Problem der Konzentration zu minimieren.
Internationale Vereinbarungen über Mindeststandards des
internationalen Wettbewerbsrechts, die parallel zum Ausbau der
bilateralen Zusammenarbeit geschlossen werden könnten,
würden einen Beitrag zur Vermeidung von
Durchsetzungs-Konflikten leisten, ohne dass eine Aufweichung des
erreichten Schutzniveaus – z.B. bei der Fusionskontrolle
– zu befürchten wäre. Der im Endbericht
angeführte plurilaterale Ansatz kann somit höchstens die
Aufgabe übernehmen, so lange kein multilaterales Regelwerk
unter VN-Hoheit exis tiert, die bestehenden Probleme zu
minimieren.
Empfehlung
Angesichts der unzureichenden
Zielsetzung und Struktur der WTO ist die Behandlung der Frage
„Handel und Wettbewerb“ auf die Ebene der VN zu
verlagern. Mit allen relevanten Institutionen sind hier die Themen
Wettbewerb und Investitionen zu behandeln, wobei die
gleichberechtigte Teilnahme der betroffenen Länder, sozialen
Gruppen und Parlamenten zu gewährleisten ist.
Empfehlung
Ein plurinationaler Ansatz sollte
zunächst nur verbindliche Schritte für die Länder
beinhalten, die eine entwickelte Wettbewerbsordnung sowie eine
effiziente Fusionskontrolle besitzen und entsprechende
Institutionen aufgebaut haben. In Anbetracht dessen, dass die
überwiegende Zahl der Konzerne aus dem Gebiet der OECD stammen
und die überwiegende Zahl von Über nahmen/Fusionen
sich in diesen Staaten abspielen, könnte damit ein Schritt
gegen die weitere „Vermachtung der Märkte“
erreicht werden, ohne die zwischen den Staaten getroffenen
Vereinbarungen als „globalen Ordnungsrahmen“
vorzugeben.
Empfehlung
Angesichts der ökonomischen
Unterschiede, der speziellen Bedürfnisse und der Unzahl
bilateraler Abkommen empfehlen wir auf regionaler Ebene –
z.B. im Rahmen der UNCTAD – ähnliche plurinationalen
Ansätze zwischen Entwicklungs- und Schwellenländer zu
fördern, die sich auf die spezielle Situation der nachholenden
Entwicklung beziehen und kooperative Lösung von Problemen
finden und im Sinne einer gemeinsamen Interessenvertretung
(capacity building) gegenüber transnationalen Konzernen und
den OECD Staaten agieren. Diese sind in Handelsverträgen auf
jeder Ebene anzuerkennen und nicht als
„Wettbewerbsbeschränkungen“
aufzufassen.
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