11.3.3.3 Standards und globale Entwicklung
11.3.3.3.1 Bewertung
Wir stimmen vielen Aussagen des Endberichts
zu. Hervorzuheben ist der Versuch, die widersprüchlichen und
unterschiedlichen Facetten und Entwicklungen zu benennen. Es fehlt
jedoch die Einbindung in einen Gesamtzusammenhang von
Globalisierung und Liberalisierung auf der einen und sich
verschlechternder sozialer Entwicklung auf der anderen Seite.
Gleichfalls unterbelichtet bleibt hierbei die Rolle der
internationalen Organisationen (IWF, Weltbank und WTO) und der
transnationalen Konzerne. Unabhängig davon, dass es keine
monokausalen Zusammenhänge zwischen „der“
Globalisierung und sich verschlechternder sozialen Bedingungen
gibt, ist zu betonen, dass Lohn- und Sozialdumping eher zu- als
abnehmen. Hier liegt der zentrale Ansatzpunkt, aus dem politische
Antworten zur Verminderung der wachsenden globalen Ungleichheit
abzuleiten wären. Insofern bleiben die Mehrheitsempfehlungen
unvollständig. Für uns stellt die Erosion sozialer Rechte
der Beschäftigten sowie die Informalisierung und
Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse ein generelles
Problem dar, das sich durch die Globalisierung nicht minimiert.
Dies gilt nicht nur für die Entwicklungs- und
Schwellenländer, sondern auch für die
Industrieländer, in denen über die verschärfte
interne Standortkonkurrenz innerhalb und zwischen transnationalen
Konzernen soziale Standards und Rechte abgebaut werden.
Im Zuge der Globalisierung mag die
Aufmerksamkeit für diese schon vorher zu beobachtenden
Prozesse zugenommen haben. Nimmt man allerdings die These vom
„globalen Dorf“ ernst, so müssen die sozialen
Verwerfungen Anlass sein, politisch einzugreifen. Aus der
Integration der Märkte erwächst zugleich die
Notwendigkeit, dem Problem auf internationaler Ebene zu begegnen.
Wir stellen allerdings fest, dass die Frage von Sozialstandards und
deren Weiterentwicklung in und zwischen den Industrieländern
und im Verhältnis zu Entwicklungs- und Schwellenländern
vernachlässigt wurde. Der Verweis im Mehrheitsvotum auf die
EU-Sozialcharta und die eigenständige Reaktion der
EU-Mitgliedsstaaten auf soziale Probleme (Kapitel 3.5.2.1 Handel
und Sozialstandards) wird sowohl der Fragestellung sowie der
Erosion der sozialen Rechte im Kontext der Globalisierung nicht
gerecht.
11.3.3.3.2 Feststellung
Die negativen Effekte der Globalisierung
zeigen sich weltweit nicht nur in einer stärkeren
Einkommenspolarisation und ungleichen Entwicklung. Die Kombination
von Handelsliberalisierung und Exportorientierung verschärft
vielmehr das Problem erodierender sozialer Standards und
Arbeitnehmer/innen/rechte. Trotz der in den letzten Jahrzehnten zu
beobachtenden deutlichen Liberalisierung des Welthandels konnte die
These nicht verifiziert werden, Liberalisierung führe
grundsätzlich zu Exporterfolgen und darüber implizit zur
Verbesserung der sozialen Bedingungen und Stärkung der Rechte
von Beschäftigten, (Rodrik 2000). Ganz im Gegenteil vermelden
die Jahresberichte von Amnesty International (2000) und
der International
Confederation of Free Trade Unions (2000) eine Zunahme der
Verstöße gegen fundamentale Arbeitsrechte.
Hauptbestandteil der Globalisierung ist eine
wirtschaftspolitische Zielsetzung, die Handelsliberalisierung mit
einer weltmarktorientierten Produktion verbindet. Die
Liberalisierung durch globale Handelsverträge sowie regionale
und bilaterale Freihandelsabkommen und der damit verbundene Abbau
jeglicher Import- und Niederlassungsschranken haben zu einer
fortschreitenden Orientierung an Exportproduktion als der
wirtschaftspolitischen Maxime geführt und sukzessive alle
Länder veranlasst, sich dem Weltmarkt zu öffnen.
Verstärkt wurde dieses durch die seit Jahrzehnten bestehende
„Verschuldungskrise“ der meisten
Entwicklungsländer, die zur Devisenbeschaffung um jeden Preis
zwingt. Diese Situation hat zu einem Wettbewerb geführt, in
dem soziale Standards unterlaufen werden können. Am Beispiel
der asiatischen Länder kann die Wirkungskette verdeutlicht
werden: „In den letzten zwei Jahrzehnten nahm der Wettbewerb
unter den aufstrebenden Volkswirtschaften erheblich zu. Die
Hälfte der Weltbevölkerung lebt in fünf asiatischen
Ländern mit geringem Durchschnittseinkommen: China, Indien,
Indonesien, Pakistan und Bangladesch. Diese Volkswirtschaften waren
in den 1960er und 1970er Jahren weitgehend geschlossen, so dass
deren Arbeitskräfte nicht untereinander in der internationalen
Konkurrenz standen. Ab Mitte der 1980er Jahre öffneten sich
Indonesien und China gegenüber dem Weltmarkt, die anderen
folgten in den 1990er Jahren. Eine Analyse der Exporte asiatischer
Länder in die USA, EU und nach Japan ergab, dass deren
Exportstruktur sehr ähnlich ist (BIZ 1999: 114). Im Laufe der
1990er Jahre hatte China seinen Marktanteil in den USA auf Kosten
seiner asiatischen Wettbewerber ausdehnen können (Palley 2000;
Rosen 1999; BIZ 1999: 126-127; Noland 1998.“ (Scherrer,
Greven 2001: 15).
Die Produktionsverlagerung aus
Industrieländern in „Billiglohnländer“ wurde
ergänzt durch weitere Verlagerungen zwischen Entwicklungs- und
Schwellenländern. Der Trumpf der „weltbilligsten“
Arbeitskräfte ist immer nur von kurzer Dauer. In den 70er
Jahren kam es beispielsweise zur Verlagerung im Textilsektor vor
allem nach Südkorea, Taiwan und Hongkong. Dann folgten die
Philippinen, Thailand, Indonesien sowie Bangladesch. Die dritte
Phase umfasste schließlich China, Vietnam und Kambodscha. Mit
Gesetzen zur weiteren Deregulierung der ohnehin rudimentären
sozialen Standards konkurrieren alle diese Länder um
Produktionsstätten und ausländische Direktinvestitionen.
Das südkoreanische Arbeitsgesetz von 1996 machte z.B.
weitgehende Zugeständnisse mit der Aufweichung des
Kündigungsschutzes und Maßnahmen zur Förderung
ungeschützter und flexibler Arbeitsformen, zur
Verlängerung der Arbeitszeiten und zum Einsatz von
Streikbrechern. Begründet wurde diese Vorhaben damit, dass
sich das jährliche Wachstum verlangsamt habe und die
Exportquoten sanken.
Ergänzt wird
die Stärkung der eigenen Position im Kampf um Weltmarktanteile
durch den massiven Ausbau von Sonderwirtschaftszonen. Ihre
Ausweisung hat in den drei zuvor skizzierten Phasen explosionsartig
zugenommen. Bereits Mitte der 60er Jahre entstanden die ersten
„Maquilas“ in Mexiko an der Grenze zu den USA, es
folgten weitere in Guatemala und El Salvador. Nach Schätzungen
der OECD sind außerhalb Chinas ca. 27 Millionen Menschen in
diesen Sonderwirtschaftszonen beschäftigt, in China kommen
noch einmal 18 Millionen hinzu. Nach China ist Mexiko das Land mit
der zweitgrößten Beschäftigungsanzahl, wobei 70
Prozent der Beschäftigten Frauen sind. Die Entwicklungs- und
Schwellenländer werben mit Ausnahmeregelungen bei Zöllen
und Steuern, der kostenlosen Bereitstellung von Infrastruktur und
vor allem mit dem Fehlen von Arbeitsschutzgesetzen und
Umweltauflagen sowie dem Verbot von Gewerkschaften. Das Ausweisen
von Sonderwirtschaftszonen und die Exportorientierung sollten den
Anschluss an die Globalisierung sichern und als Entwicklungsmotor
dienen. Das Gegenteil ist der Fall. Die einheimische Produktion
– z.B. die lokale handwerkliche Bekleidungsindustrie –
wird zusätzlich von „Billigprodukten“ aus den
heimischen oder regionalen Sonderwirtschaftszonen verdrängt.
Lokale Handwerker/innen werden, wenn überhaupt, zu Zulieferern
der „Maquilas“. Oder die Menschen werden zu
Migrantinnen und Migranten für die Produktion im
„Niedriglohnbereich“ in den benachbarten
Industrieländern, wie die mexikanische Entwicklung
verdeutlicht. Nach Angaben der UNCTAD hat diese
wirtschaftspolitische Orientierung in den letzten Jahren zu
steigenden Importen und sinkenden Wachstumsraten in den
Entwicklungsländern geführt. Ansätze zur Produktion
höherwertiger Produkte wurden vielfach zurückgenommen.
Diese Entwicklung zeigt sich exemplarisch am Beispiel von
Bangladesch: Nachdem die britischen Koloniallisten die einheimische
Tuchherstellung zerstört hatten, verhängte die Regierung
nach der Unabhängigkeitserklärung
Einfuhrbeschränkungen, um den einheimischen Sektor erneut
aufzubauen. Auf Druck von Weltbank und IWF wurden diese
Beschränkungen in den 80er Jahren gelockert. Heute kauft
Bangladesch die Stoffe zur Weiterverarbeitung im Ausland und ist im
Welttextilabkommen von den Quotenbeschränkungen für den
Export ausgenommen. Auf den Druck, der aus dem Auslaufen des
Abkommens spätestens 2005 entsteht, reagierte Bangladesch mit
der weiteren Einrichtung von Freihandelszonen als Angebot an
Investoren, in denen die nationalen Arbeitsschutzgesetze nicht
gelten und die gewerkschaftliche Organisierung sowie Streiks
verboten sind.
Die skizzierte
Entwicklung wurde durch die Liberalisierung der Landwirtschaft im
Rahmen der Uruguay-Runde (GATT) forciert. In den Entwicklungs- und
Schwellenländern folgte die Umstellung auf die
Exportproduktion einer devisenorientierten Landwirtschaft
(cash-crops). Gleichzeitig wurden Einfuhrzölle gesenkt. IWF
und Weltbank drängen zum Abbau von Nahrungsmittelsubventionen,
wohingegen die subventionierten Agrarprodukte aus den USA und EU
auf die Märkte der Entwicklungs- und Schwellenländer
kommen. Die Subsistenzproduktion verschwindet, kleine Farmer werden
marginalisiert, was in Verbindung mit der Landflucht die
Arbeitslosigkeit in den Entwicklungsländern erhöht.
Weiterer Druck auf Sozialstandards und Löhne sind die Folge.
Im Ergebnis wächst lediglich
die Beschäftigung im informellen Sektor. Zwischen 1990 und
1994 betrug beispielsweise der Anteil der Arbeit im informellen
Sektor an der Beschäftigungsentwicklung in Lateinamerika 80
Prozent; in Afrika entstanden in den letzten Jahren hier mehr als
90 Prozent aller neuen Arbeitsplätze.
Gewinner und Förderer dieses Prozesses
sind transnationale Konzerne. Ihnen ist es möglich, Teile der
Produktion zum jeweils billigsten Anbieter zu verlagern und die
Wertschöpfungsketten über den Globus zu verteilen.
Scheinbar widerspricht dem die Tatsache, dass Konzerne
hauptsächlich in die dynamischen Märkte der OECD oder die
wenigen Schwellenländer investieren. Zum einen ist hier
festzuhalten, dass sie auch in den Industrie- und
Schwellenländern im Kontext von Neuansiedlungen,
Direktinvestitionen und Verlagerungen den Druck auf die sozialen
Bedingungen forciert haben. Zum anderen gehen die Investitionen in
Entwicklungs- und Schwellenländer zunehmend an Subunternehmen
aus dem informellen Sektor, dessen Entwicklung zielstrebig durch
Outsourcing gefördert wird. Ein großer Teil der
Investitionen fließt in die Sonderwirtschaftszonen.
Indem sie die öffentliche
Daseinsvorsorge und deren Dienstleistungen immer weiter
liberalisieren und privatisieren ohne dabei soziale Standards und
Leistungen für die Beschäftigten zu sichern, treiben
Regierungen, aber auch internationale Organisationen die Erosion
sozialer Standards weiter voran. Fokussiert auf den jeweils
billigsten Preis, werden auch künftig regionale oder weltweite
öffentlichen Ausschreibungen zu diesem fortschreitenden
Sozialabbau beitragen. IWF und Weltbank haben mit ihrer seit 20
Jahren primär an der Währungsstabilität für
Finanzanleger orientierten Politik entscheidend zu dieser Erosion
beigetragen. Der Abbau sozialer Leistungen, der Druck in Richtung
auf eine Exportorientierung sowie umfassende
Liberalisierungsmaßnahmen, die Privatisierung der
öffentlichen Daseinsvorsorge sind wesentliche Bestandteile
ihrer Politik, die u.a. mit den Strukturanpassungsprogrammen
durchgesetzt wurden. Derzeit lässt sich an Argentinien, dem
„Musterschüler“ dieser Politik, das Ergebnis
ablesen. Argentinien senkte die Zölle und Abgaben. Für
die Konzerne entfielen Auflagen und Kontrollen und eine massive
„Privatisierungswelle“ rollte an. Die Geldentwertung
wurde gestoppt, die internationalen Finanzmarktakteure investierten
wieder in Argentinien. Gleichzeitig schnellte die Arbeitslosigkeit
hoch und die Armut wuchs, so dass jeder dritte Mensch im Elend
lebt. Heute ist der einstige Musterschüler von IWF und
Weltbank zahlungsunfähig und befindet sich in einer schweren
sozialen Krise.
11.3.3.3.3 Perspektiven für eine
globale Sozialordnung
Um der skizzierten Erosion sozialer Standards
wirksam entgegenzutreten, ist eine konsequente Abkehr von der
neoliberalen Wirtschaftspolitik erforderlich und es sind umfassende
Maßnahmen im Sinne einer Orientierung an den Leitlinien von
sozialer Gerechtigkeit und demokratischer Entwicklung zu ergreifen.
Die Grundvoraussetzung hierfür ist eine internationale
Anerkennung von Sozialstandards als Basis für die
Globalisierung, um in einem nächsten Schritt bzw.
ergänzend die sozialen Rechte auf nationaler Ebene
weiterzuentwickeln. Mit gemeinsam anerkannten Mindeststandards
brauchen die Länder nicht zu befürchten, dass sie sich
durch die Einhaltung sozialer Normen schlechter stellen als ihre
Konkurrenten. Die ökonomischen und somit auch sozialen
Bedingungen in den meisten Ländern der Welt können
allerdings allein durch die im Endbericht empfohlenen
Maßnahmen zum Abbau von Exportsubventionen der
Industrieländern und zur Marktöffnung für Produkte
aus den Entwicklungs- und Schwellenländern kaum verbessert
werden. Handel kann die interne Entwicklung unterstützen,
ersetzen kann er sie nie. Aufgrund der bestehenden
sozioökonomischen Struktur in den Entwicklungs- und
Schwellenländern ist die besondere Rolle der Landwirtschaft,
der kleinen Farmer und des informellen Sektors bei der
Implementation von Sozialstandards zu berücksichtigen.
Folglich sind Strategien für den Aufbau einer
tragfähigen, binnenmarkt orientierten Landwirtschaft und
Industrialisierung erforderlich. Wir begrüßen daher, dass
die Mehrheit im Endbericht eine funktionierende regionale
Produktion und Vermarktung für die Landwirtschaft empfiehlt,
meinen jedoch, dass dies über den landwirtschaftlichen Bereich
hinaus verallgemeinert werden muss.
Empfehlung
Statt die weitere Liberalisierung zu
forcieren, sollten Maßnahmen und Projekte zur Stärkung
der Binnenmarkt orientierung in den Entwicklungs- und
Schwellenländern gefördert werden, Möglichkeiten der
Positiv-Diskriminierung, von Zöllen und anderer Barrieren zum
Schutz vor ruinösen Importen geschaffen und Regulierungen
für ausländische Direktinvestitionen im Hinblick der
Förderung sozialer Standards entwickelt werden.
Wie die Kommissionsmehrheit bedauern wir,
dass bei der 4. Ministerkonferenz der WTO in Doha/Quatar keine
substantielle Verbesserung hinsichtlich der Einbindung von
Sozialstandards in das Handelsregime erreicht wurden und die IAO
nach wie vor nicht als gleichberechtigter Partner angesehen wird.
In diesem Sinne unterstützen wir nachdrücklich die
Empfehlungen der Kommission (Kapitel 3.5.2.3). Allerdings kann das
gleichfalls angesprochene und kürzlich eingerichtete
„Globale Forum für soziale Entwicklung“ die
skizzierten Probleme kaum bewältigen. Natürlich
begrüßen wir, dass die soziale Dimension der
Globalisierung in einem solchen Forum diskutiert werden soll. Der
Ansatz, soziale Fragen in dem „Globalen Forum für
Soziale Entwicklung“ zu diskutieren, während
gleichzeitig die Liberalisierung in zahlreichen Bereichen ohne
Einigung auf die Implementierung von Sozialstandards und
Kernarbeitsnormen an anderer Stelle forciert wird ist für uns
allerdings kein Fortschritt. Damit setzt sich lediglich der
skizzierte Wettbewerb zu Lasten sozialer Standards und
Kernarbeitsrechten weiter durch und wird auf bisher
„ausgeschlossenen“ Bereiche ausgedehnt. Die immer
wieder angemahnten Lösungen der sozialen Probleme und der
Rechtlosigkeit der Beschäftigten rückt so in weite
Ferne.
Um die Diskussion über die Durchsetzung
internationaler Sozialstandards weiterzuentwickeln ist es unser
Ansicht nach notwendig, verschiedene Aspekte und Ebenen mit
einander zu verbinden. Nur so lassen sich die negativen Effekte so
gering wie möglich halten und die positiven Effekte
verstärken. In einem Gutachten für die Enquete-Kommission
wird ein solcher Weg skizziert, der Ausbau regionaler Abkommen
favorisiert und eine Reform der Internationalen Arbeitsorganisation
angemahnt, um Arbeitslose, Beschäftigte aus dem informellen
Sektor und der Landwirtschaft stärker in die Diskussion um
Sozialstandards mit einzubeziehen (Bullard 2001). Die im Gutachten
unterbreiteten Empfehlungen unterstützen wir
nachdrücklich und verweisen darauf, dass für eine
strategische Entwicklungsoption, die eine bessere Durchsetzung von
internationalen Sozialstandards gewährleistet, gleichzeitig
umfassende Schritte zur Reform der internationalen Organisationen
und der Kontrolle transnationalen Konzerne notwendig sind, mit
denen sich die Enquete-Kommission in der weiteren Arbeit
auseinandersetzen sollte.
Nur mit einem umfassenden Ansatz, der nicht
verkürzt wird auf die Frage, wann und wie Handelssanktionen
bei der Verletzung von Sozialstandards ausgesprochen werden, lassen
sich die sozialen Probleme minimieren. Hierfür sind allerdings
die Probleme zu benennen und in den Kontext der
wirtschaftspolitischen Strategie der letzten Jahrzehnte zu stellen.
Prekarisierung, Liberalisierung, die Zunahme der Beschäftigten
im informellen Sektor und in Sonderwirtschaftszonen sowie die
Ausrichtung auf die Produktion für den Export sind als
negative Faktoren zu identifizieren, wie auch die Rolle der
internationalen Institutionen (IWF, Weltbank und WTO) kritisch zu
hinterfragen ist. Denn was nützt der Appell an die soziale
Verantwortung oder die Finanzierung von sozialen Projekten, wenn
auf der anderen Seite durch Strukturanpassungsmaßnahmen und
Liberalisierungsdruck essentielle Bereiche der öffentlichen
Daseinsvorsorge etc. reduziert werden, um den Auflagen der
Kreditgeber und der Industrieländer nachzukommen? Gleichzeitig
muss bei der Durchsetzung von Sozialstandards verhindert werden,
dass diese als protektionistische Instrumente eingesetzt
werden.
Empfehlung
Die Bundesregierung sollte national,
in der EU und in den internationalen Organisationen dafür
eintreten, dass internationale Verhandlungen zum Aufbau regionaler
Abkommen zu Sozialstandards und Kernarbeitsnormen im Rahmen der VN
geführt werden und Mittel dafür
bereitstellen.
Empfehlung
Aufgrund der wachsenden Bedeutung
des informellen Sektors sind die Beschäftigten im informellen
Sektor und die Nicht-Beschäftigten in die IAO und die
Verhandlungen zur Verbesserung sozialer Standards einzubinden. Das
Überwachungs- und Beschwerdeverfahren der IAO ist hierfür
mit dem Streitschlichtungsverfahren der WTO wie folgt zu verbinden:
Es sollte ein Beschwerdemechanismus eingerichtet werden, der, unter
Einbeziehung der Gewerkschaften und NRO der betroffenen
Länder, die Verletzungen untersucht. In Zusammenarbeit mit der
Regierung und Organisationen der Zivilgesellschaft soll von der IAO
ein Aktionsplan erarbeitet werden, der die Voraussetzungen zur
Einhaltung der Normen schafft. Erst wenn keine Anstrengungen zur
Verbesserung getroffen werden, soll eine Verwarnung ausgesprochen
und nach weiterer Prüfung zum Instrument der Handelssanktionen
gegriffen werden. Durch Transparenz, klare Regelungen und
Beteiligung der betroffenen Regierung und der
zivilgesellschaftlichen Gruppen der Länder muss sichergestellt
werden, dass diese Maßnahmen nicht zu protektionistischen
Zwecken mißbraucht werden.
Die international und regional
vereinbarten Normen, müssen ebenso verbindlich durch WTO,
Weltbank und IWF anerkannt und unterstützt werden, wie in
internationalen, regionalen und bilateralen Verträgen und der
Entwicklungspolitik kodifiziert sein. Zur Durchsetzung und
Überwachung sollten Mechanismen unter Federführung der
IAO entwickelt werden. In Bezug auf weitergehende Standards,
müssen die Rolle und die Rechte des VN-Ausschusses für
die Überwachung des Paktes für wirtschaftliche, soziale
und kulturelle Rechte einbezogen werden, um dem VN-Ausschuss neben
Berichts- und Veröffentlichungsrechten mehr Möglichkeiten
an die Hand zu geben.
Ohne Lösung der speziellen
Problematik „Sonderwirtschaftszonen“ kann der Erosion
der sozialen Standards kaum begegnet werden. Insofern ist ein
internationales Abkommen über die Anerkennung sozialer und
ökologischer Standards und Rechte in Sonderwirtschaftszonen,
die national, international und in regionalen Abkommen vereinbart
wurden sowie Maßnahmen zu ihrer Überwachung als
Mindestgrundlage erforderlich. Auszu schließen ist die
Vorzugsbehandlung bei der Besteuerung in Sonderwirtschaftszonen.
Mit einem Aktionsplan sind darüber hinaus weitere
Maßnahmen zur schrittweisen Abschaffung der
Sonderwirtschaftszonen festzulegen.
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