*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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11.3.3.3   Standards und globale Entwicklung

11.3.3.3.1  Bewertung

Wir stimmen vielen Aussagen des Endberichts zu. Hervorzuheben ist der Versuch, die widersprüchlichen und unterschiedlichen Facetten und Entwicklungen zu benennen. Es fehlt jedoch die Einbindung in einen Gesamtzusammenhang von Globalisierung und Liberalisierung auf der einen und sich verschlechternder sozialer Entwicklung auf der anderen Seite. Gleichfalls unterbelichtet bleibt hierbei die Rolle der internationalen Organisationen (IWF, Weltbank und WTO) und der transnationalen Konzerne. Unabhängig davon, dass es keine monokausalen Zusammenhänge zwischen „der“ Globalisierung und sich verschlechternder sozialen Bedingungen gibt, ist zu betonen, dass Lohn- und Sozialdumping eher zu- als abnehmen. Hier liegt der zentrale Ansatzpunkt, aus dem politische Antworten zur Verminderung der wachsenden globalen Ungleichheit abzuleiten wären. Insofern bleiben die Mehrheitsempfehlungen unvollständig. Für uns stellt die Erosion sozialer Rechte der Beschäftigten sowie die Informalisierung und Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse ein generelles Problem dar, das sich durch die Globalisierung nicht minimiert. Dies gilt nicht nur für die Entwicklungs- und Schwellenländer, sondern auch für die Industrieländer, in denen über die verschärfte interne Standortkonkurrenz innerhalb und zwischen transnationalen Konzernen soziale Standards und Rechte abgebaut werden.

Im Zuge der Globalisierung mag die Aufmerksamkeit für diese schon vorher zu beobachtenden Prozesse zugenommen haben. Nimmt man allerdings die These vom „globalen Dorf“ ernst, so müssen die sozialen Verwerfungen Anlass sein, politisch einzugreifen. Aus der Integration der Märkte erwächst zugleich die Notwendigkeit, dem Problem auf internationaler Ebene zu begegnen. Wir stellen allerdings fest, dass die Frage von Sozialstandards und deren Weiterentwicklung in und zwischen den Industrieländern und im Verhältnis zu Entwicklungs- und Schwellenländern vernachlässigt wurde. Der Verweis im Mehrheitsvotum auf die EU-Sozialcharta und die eigenständige Reaktion der EU-Mitgliedsstaaten auf soziale Probleme (Kapitel 3.5.2.1 Handel und Sozialstandards) wird sowohl der Fragestellung sowie der Erosion der sozialen Rechte im Kontext der Globalisierung nicht gerecht.

11.3.3.3.2  Feststellung

Die negativen Effekte der Globalisierung zeigen sich weltweit nicht nur in einer stärkeren Einkommenspolarisation und ungleichen Entwicklung. Die Kombination von Handelsliberalisierung und Exportorientierung verschärft vielmehr das Problem erodierender sozialer Standards und Arbeitnehmer/innen/rechte. Trotz der in den letzten Jahrzehnten zu beobachtenden deutlichen Liberalisierung des Welthandels konnte die These nicht verifiziert werden, Liberalisierung führe grundsätzlich zu Exporterfolgen und darüber implizit zur Verbesserung der sozialen Bedingungen und Stärkung der Rechte von Beschäftigten, (Rodrik 2000). Ganz im Gegenteil vermelden die Jahresberichte von Amnesty International (2000) und    der International Confederation of Free Trade Unions (2000) eine Zunahme der Verstöße gegen fundamentale Arbeitsrechte.

Hauptbestandteil der Globalisierung ist eine wirtschaftspolitische Zielsetzung, die Handelsliberalisierung mit einer weltmarktorientierten Produktion verbindet. Die Liberalisierung durch globale Handelsverträge sowie regionale und bilaterale Freihandelsabkommen und der damit verbundene Abbau jeglicher Import- und Niederlassungsschranken haben zu einer fortschreitenden Orientierung an Exportproduktion als der wirtschaftspolitischen Maxime geführt und sukzessive alle Länder veranlasst, sich dem Weltmarkt zu öffnen. Verstärkt wurde dieses durch die seit Jahrzehnten bestehende „Verschuldungskrise“ der meisten Entwicklungsländer, die zur Devisenbeschaffung um jeden Preis zwingt. Diese Situation hat zu einem Wettbewerb geführt, in dem soziale Standards unterlaufen werden können. Am Beispiel der asiatischen Länder kann die Wirkungskette verdeutlicht werden: „In den letzten zwei Jahrzehnten nahm der Wettbewerb unter den aufstrebenden Volkswirtschaften erheblich zu. Die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in fünf asiatischen Ländern mit geringem Durchschnittseinkommen: China, Indien, Indonesien, Pakistan und Bangladesch. Diese Volkswirtschaften waren in den 1960er und 1970er Jahren weitgehend geschlossen, so dass deren Arbeitskräfte nicht untereinander in der internationalen Konkurrenz standen. Ab Mitte der 1980er Jahre öffneten sich Indonesien und China gegenüber dem Weltmarkt, die anderen folgten in den 1990er Jahren. Eine Analyse der Exporte asiatischer Länder in die USA, EU und nach Japan ergab, dass deren Exportstruktur sehr ähnlich ist (BIZ 1999: 114). Im Laufe der 1990er Jahre hatte China seinen Marktanteil in den USA auf Kosten seiner asiatischen Wettbewerber ausdehnen können (Palley 2000; Rosen 1999; BIZ 1999: 126-127; Noland 1998.“ (Scherrer, Greven 2001: 15).

Die Produktionsverlagerung aus Industrieländern in „Billiglohnländer“ wurde ergänzt durch weitere Verlagerungen zwischen Entwicklungs- und Schwellenländern. Der Trumpf der „weltbilligsten“ Arbeitskräfte ist immer nur von kurzer Dauer. In den 70er Jahren kam es beispielsweise zur Verlagerung im Textilsektor vor allem nach Südkorea, Taiwan und Hongkong. Dann folgten die Philippinen, Thailand, Indonesien sowie Bangladesch. Die dritte Phase umfasste schließlich China, Vietnam und Kambodscha. Mit Gesetzen zur weiteren Deregulierung der ohnehin rudimentären sozialen Standards konkurrieren alle diese Länder um Produktionsstätten und ausländische Direktinvestitionen. Das südkoreanische Arbeitsgesetz von 1996 machte z.B. weitgehende Zugeständnisse mit der Aufweichung des Kündigungsschutzes und Maßnahmen zur Förderung ungeschützter und flexibler Arbeitsformen, zur Verlängerung der Arbeitszeiten und zum Einsatz von Streikbrechern. Begründet wurde diese Vorhaben damit, dass sich das jährliche Wachstum verlangsamt habe und die Exportquoten sanken.

Ergänzt wird die Stärkung der eigenen Position im Kampf um Weltmarktanteile durch den massiven Ausbau von Sonderwirtschaftszonen. Ihre Ausweisung hat in den drei zuvor skizzierten Phasen explosionsartig zugenommen. Bereits Mitte der 60er Jahre entstanden die ersten „Maquilas“ in Mexiko an der Grenze zu den USA, es folgten weitere in Guatemala und El Salvador. Nach Schätzungen der OECD sind außerhalb Chinas ca. 27 Millionen Menschen in diesen Sonderwirtschaftszonen beschäftigt, in China kommen noch einmal 18 Millionen hinzu. Nach China ist Mexiko das Land mit der zweitgrößten Beschäftigungsanzahl, wobei 70 Prozent der Beschäftigten Frauen sind. Die Entwicklungs- und Schwellenländer werben mit Ausnahmeregelungen bei Zöllen und Steuern, der kostenlosen Bereitstellung von Infrastruktur und vor allem mit dem Fehlen von Arbeitsschutzgesetzen und Umweltauflagen sowie dem Verbot von Gewerkschaften. Das Ausweisen von Sonderwirtschaftszonen und die Exportorientierung sollten den Anschluss an die Globalisierung sichern und als Entwicklungsmotor dienen. Das Gegenteil ist der Fall. Die einheimische Produktion – z.B. die lokale handwerkliche Bekleidungsindustrie – wird zusätzlich von „Billigprodukten“ aus den heimischen oder regionalen Sonderwirtschaftszonen verdrängt. Lokale Handwerker/innen werden, wenn überhaupt, zu Zulieferern der „Maquilas“. Oder die Menschen werden zu Migrantinnen und Migranten für die Produktion im „Niedriglohnbereich“ in den benachbarten Industrieländern, wie die mexikanische Entwicklung verdeutlicht. Nach Angaben der UNCTAD hat diese wirtschaftspolitische Orientierung in den letzten Jahren zu steigenden Importen und sinkenden Wachstumsraten in den Entwicklungsländern geführt. Ansätze zur Produktion höherwertiger Produkte wurden vielfach zurückgenommen. Diese Entwicklung zeigt sich exemplarisch am Beispiel von Bangladesch: Nachdem die britischen Koloniallisten die einheimische Tuchherstellung zerstört hatten, verhängte die Regierung nach der Unabhängigkeitserklärung Einfuhrbeschränkungen, um den einheimischen Sektor erneut aufzubauen. Auf Druck von Weltbank und IWF wurden diese Beschränkungen in den 80er Jahren gelockert. Heute kauft Bangladesch die Stoffe zur Weiterverarbeitung im Ausland und ist im Welttextilabkommen von den Quotenbeschränkungen für den Export ausgenommen. Auf den Druck, der aus dem Auslaufen des Abkommens spätestens 2005 entsteht, reagierte Bangladesch mit der weiteren Einrichtung von Freihandelszonen als Angebot an Investoren, in denen die nationalen Arbeitsschutzgesetze nicht gelten und die gewerkschaftliche Organisierung sowie Streiks verboten sind.

Die skizzierte Entwicklung wurde durch die Liberalisierung der Landwirtschaft im Rahmen der Uruguay-Runde (GATT) forciert. In den Entwicklungs- und Schwellenländern folgte die Umstellung auf die Exportproduktion einer devisenorientierten Landwirtschaft (cash-crops). Gleichzeitig wurden Einfuhrzölle gesenkt. IWF und Weltbank drängen zum Abbau von Nahrungsmittelsubventionen, wohingegen die subventionierten Agrarprodukte aus den USA und EU auf die Märkte der Entwicklungs- und Schwellenländer kommen. Die Subsistenzproduktion verschwindet, kleine Farmer werden marginalisiert, was in Verbindung mit der Landflucht die Arbeitslosigkeit in den Entwicklungsländern erhöht. Weiterer Druck auf Sozialstandards und Löhne sind die Folge. Im Ergebnis    wächst lediglich die Beschäftigung im informellen Sektor. Zwischen 1990 und 1994 betrug beispielsweise der Anteil der Arbeit im informellen Sektor an der Beschäftigungsentwicklung in Lateinamerika 80 Prozent; in Afrika entstanden in den letzten Jahren hier mehr als 90 Prozent aller neuen Arbeitsplätze.

Gewinner und Förderer dieses Prozesses sind transnationale Konzerne. Ihnen ist es möglich, Teile der Produktion zum jeweils billigsten Anbieter zu verlagern und die Wertschöpfungsketten über den Globus zu verteilen. Scheinbar widerspricht dem die Tatsache, dass Konzerne hauptsächlich in die dynamischen Märkte der OECD oder die wenigen Schwellenländer investieren. Zum einen ist hier festzuhalten, dass sie auch in den Industrie- und Schwellenländern im Kontext von Neuansiedlungen, Direktinvestitionen und Verlagerungen den Druck auf die sozialen Bedingungen forciert haben. Zum anderen gehen die Investitionen in Entwicklungs- und Schwellenländer zunehmend an Subunternehmen aus dem informellen Sektor, dessen Entwicklung zielstrebig durch Outsourcing gefördert wird. Ein großer Teil der Investitionen fließt in die Sonderwirtschaftszonen.

Indem sie die öffentliche Daseinsvorsorge und deren Dienstleistungen immer weiter liberalisieren und privatisieren ohne dabei soziale Standards und Leistungen für die Beschäftigten zu sichern, treiben Regierungen, aber auch internationale Organisationen die Erosion sozialer Standards weiter voran. Fokussiert auf den jeweils billigsten Preis, werden auch künftig regionale oder weltweite öffentlichen Ausschreibungen zu diesem fortschreitenden Sozialabbau beitragen. IWF und Weltbank haben mit ihrer seit 20 Jahren primär an der Währungsstabilität für Finanzanleger orientierten Politik entscheidend zu dieser Erosion beigetragen. Der Abbau sozialer Leistungen, der Druck in Richtung auf eine Exportorientierung sowie umfassende Liberalisierungsmaßnahmen, die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge sind wesentliche Bestandteile ihrer Politik, die u.a. mit den Strukturanpassungsprogrammen durchgesetzt wurden. Derzeit lässt sich an Argentinien, dem „Musterschüler“ dieser Politik, das Ergebnis ablesen. Argentinien senkte die Zölle und Abgaben. Für die Konzerne entfielen Auflagen und Kontrollen und eine massive „Privatisierungswelle“ rollte an. Die Geldentwertung wurde gestoppt, die internationalen Finanzmarktakteure investierten wieder in Argentinien. Gleichzeitig schnellte die Arbeitslosigkeit hoch und die Armut wuchs, so dass jeder dritte Mensch im Elend lebt. Heute ist der einstige Musterschüler von IWF und Weltbank zahlungsunfähig und befindet sich in einer schweren sozialen Krise.

11.3.3.3.3  Perspektiven für eine globale Sozialordnung

Um der skizzierten Erosion sozialer Standards wirksam entgegenzutreten, ist eine konsequente Abkehr von der neoliberalen Wirtschaftspolitik erforderlich und es sind umfassende Maßnahmen im Sinne einer Orientierung an den Leitlinien von sozialer Gerechtigkeit und demokratischer Entwicklung zu ergreifen. Die Grundvoraussetzung hierfür ist eine internationale Anerkennung von Sozialstandards als Basis für die Globalisierung, um in einem nächsten Schritt bzw. ergänzend die sozialen Rechte auf nationaler Ebene weiterzuentwickeln. Mit gemeinsam anerkannten Mindeststandards brauchen die Länder nicht zu befürchten, dass sie sich durch die Einhaltung sozialer Normen schlechter stellen als ihre Konkurrenten. Die ökonomischen und somit auch sozialen Bedingungen in den meisten Ländern der Welt können allerdings allein durch die im Endbericht empfohlenen Maßnahmen zum Abbau von Exportsubventionen der Industrieländern und zur Marktöffnung für Produkte aus den Entwicklungs- und Schwellenländern kaum verbessert werden. Handel kann die interne Entwicklung unterstützen, ersetzen kann er sie nie. Aufgrund der bestehenden sozioökonomischen Struktur in den Entwicklungs- und Schwellenländern ist die besondere Rolle der Landwirtschaft, der kleinen Farmer und des informellen Sektors bei der Implementation von Sozialstandards zu berücksichtigen. Folglich sind Strategien für den Aufbau einer tragfähigen, binnenmarkt­ orientierten Landwirtschaft und Industrialisierung erforderlich. Wir begrüßen daher, dass die Mehrheit im Endbericht eine funktionierende regionale Produktion und Vermarktung für die Landwirtschaft empfiehlt, meinen jedoch, dass dies über den landwirtschaftlichen Bereich hinaus verallgemeinert werden muss.

Empfehlung

Statt die weitere Liberalisierung zu forcieren, sollten Maßnahmen und Projekte zur Stärkung der Binnenmarkt­ orientierung in den Entwicklungs- und Schwellenländern gefördert werden, Möglichkeiten der Positiv-Diskriminierung, von Zöllen und anderer Barrieren zum Schutz vor ruinösen Importen geschaffen und Regulierungen für ausländische Direktinvestitionen im Hinblick der Förderung sozialer Standards entwickelt werden.

Wie die Kommissionsmehrheit bedauern wir, dass bei der 4. Ministerkonferenz der WTO in Doha/Quatar keine substantielle Verbesserung hinsichtlich der Einbindung von Sozialstandards in das Handelsregime erreicht wurden und die IAO nach wie vor nicht als gleichberechtigter Partner angesehen wird. In diesem Sinne unterstützen wir nachdrücklich die Empfehlungen der Kommission (Kapitel 3.5.2.3). Allerdings kann das gleichfalls angesprochene und kürzlich eingerichtete „Globale Forum für soziale Entwicklung“ die skizzierten Probleme kaum bewältigen. Natürlich begrüßen wir, dass die soziale Dimension der Globalisierung in einem solchen Forum diskutiert werden soll. Der Ansatz, soziale Fragen in dem „Globalen Forum für Soziale Entwicklung“ zu diskutieren, während gleichzeitig die Liberalisierung in zahlreichen Bereichen ohne Einigung auf die Implementierung von Sozialstandards und Kernarbeitsnormen an anderer Stelle forciert wird ist für uns allerdings kein Fortschritt. Damit setzt sich lediglich der skizzierte Wettbewerb zu Lasten sozialer Standards und Kernarbeitsrechten weiter durch und wird auf bisher „ausgeschlossenen“ Bereiche ausgedehnt. Die immer wieder angemahnten Lösungen der sozialen Probleme und der Rechtlosigkeit der Beschäftigten rückt so in weite Ferne.

   Um die Diskussion über die Durchsetzung internationaler Sozialstandards weiterzuentwickeln ist es unser Ansicht nach notwendig, verschiedene Aspekte und Ebenen mit­ einander zu verbinden. Nur so lassen sich die negativen Effekte so gering wie möglich halten und die positiven Effekte verstärken. In einem Gutachten für die Enquete-Kommission wird ein solcher Weg skizziert, der Ausbau regionaler Abkommen favorisiert und eine Reform der Internationalen Arbeitsorganisation angemahnt, um Arbeitslose, Beschäftigte aus dem informellen Sektor und der Landwirtschaft stärker in die Diskussion um Sozialstandards mit einzubeziehen (Bullard 2001). Die im Gutachten unterbreiteten Empfehlungen unterstützen wir nachdrücklich und verweisen darauf, dass für eine strategische Entwicklungsoption, die eine bessere Durchsetzung von internationalen Sozialstandards gewährleistet, gleichzeitig umfassende Schritte zur Reform der internationalen Organisationen und der Kontrolle transnationalen Konzerne notwendig sind, mit denen sich die Enquete-Kommission in der weiteren Arbeit auseinandersetzen sollte.

Nur mit einem umfassenden Ansatz, der nicht verkürzt wird auf die Frage, wann und wie Handelssanktionen bei der Verletzung von Sozialstandards ausgesprochen werden, lassen sich die sozialen Probleme minimieren. Hierfür sind allerdings die Probleme zu benennen und in den Kontext der wirtschaftspolitischen Strategie der letzten Jahrzehnte zu stellen. Prekarisierung, Liberalisierung, die Zunahme der Beschäftigten im informellen Sektor und in Sonderwirtschaftszonen sowie die Ausrichtung auf die Produktion für den Export sind als negative Faktoren zu identifizieren, wie auch die Rolle der internationalen Institutionen (IWF, Weltbank und WTO) kritisch zu hinterfragen ist. Denn was nützt der Appell an die soziale Verantwortung oder die Finanzierung von sozialen Projekten, wenn auf der anderen Seite durch Strukturanpassungsmaßnahmen und Liberalisierungsdruck essentielle Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge etc. reduziert werden, um den Auflagen der Kreditgeber und der Industrieländer nachzukommen? Gleichzeitig muss bei der Durchsetzung von Sozialstandards verhindert werden, dass diese als protektionistische Instrumente eingesetzt werden.

Empfehlung

Die Bundesregierung sollte national, in der EU und in den internationalen Organisationen dafür eintreten, dass internationale Verhandlungen zum Aufbau regionaler Abkommen zu Sozialstandards und Kernarbeitsnormen im Rahmen der VN geführt werden und Mittel dafür bereitstellen.

Empfehlung

Aufgrund der wachsenden Bedeutung des informellen Sektors sind die Beschäftigten im informellen Sektor und die Nicht-Beschäftigten in die IAO und die Verhandlungen zur Verbesserung sozialer Standards einzubinden. Das Überwachungs- und Beschwerdeverfahren der IAO ist hierfür mit dem Streitschlichtungsverfahren der WTO wie folgt zu verbinden: Es sollte ein Beschwerdemechanismus eingerichtet werden, der, unter Einbeziehung der Gewerkschaften und NRO der betroffenen Länder, die Verletzungen untersucht. In Zusammenarbeit mit der Regierung und Organisationen der Zivilgesellschaft soll von der IAO ein Aktionsplan erarbeitet werden, der die Voraussetzungen zur Einhaltung der Normen schafft. Erst wenn keine Anstrengungen zur Verbesserung getroffen werden, soll eine Verwarnung ausgesprochen und nach weiterer Prüfung zum Instrument der Handelssanktionen gegriffen werden. Durch Transparenz, klare Regelungen und Beteiligung der betroffenen Regierung und der zivilgesellschaftlichen Gruppen der Länder muss sichergestellt werden, dass diese Maßnahmen nicht zu protektionistischen Zwecken mißbraucht werden.

Die international und regional vereinbarten Normen, müssen ebenso verbindlich durch WTO, Weltbank und IWF anerkannt und unterstützt werden, wie in internationalen, regionalen und bilateralen Verträgen und der Entwicklungspolitik kodifiziert sein. Zur Durchsetzung und Überwachung sollten Mechanismen unter Federführung der IAO entwickelt werden. In Bezug auf weitergehende Standards, müssen die Rolle und die Rechte des VN-Ausschusses für die Überwachung des Paktes für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte einbezogen werden, um dem VN-Ausschuss neben Berichts- und Veröffentlichungsrechten mehr Möglichkeiten an die Hand zu geben.

Ohne Lösung der speziellen Problematik „Sonderwirtschaftszonen“ kann der Erosion der sozialen Standards kaum begegnet werden. Insofern ist ein internationales Abkommen über die Anerkennung sozialer und ökologischer Standards und Rechte in Sonderwirtschaftszonen, die national, international und in regionalen Abkommen vereinbart wurden sowie Maßnahmen zu ihrer Überwachung als Mindestgrundlage erforderlich. Auszu­ schließen ist die Vorzugsbehandlung bei der Besteuerung in Sonderwirtschaftszonen. Mit einem Aktionsplan sind darüber hinaus weitere Maßnahmen zur schrittweisen Abschaffung der Sonderwirtschaftszonen festzulegen.




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