*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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11.3.3.4   Korruption und Bestechung

Wir begrüßen, dass dieses Thema als globales Problem identifiziert und in den Endbericht mit aufgenommen wurde, allerdings greifen sowohl die Ursachenanalyse wie auch die Empfehlungen zu kurz. Völlig ausgeklammert bleibt bei der Betrachtung der Korruption die umfangreiche Privatisierungswelle der Vergangenheit, die ohne ausreichende demokratische Kontrolle und Transparenz als Quelle des massiven Anstiegs von Korruption und Bestechung gewertet werden kann. Den Nährboden für Korruption bildet beispielsweise das „Verleasen“ von Fahrzeugpark und Schienenanlage mit Steuergeschäften über viele Milliarden Euro, die über Offshorezentren abgewickelt werden oder Public-Privat-Partnership-Modelle, die Garant dafür sein sollten öffentliche Aufgaben effizienter als „träge, bürokratische“ Verwaltungen zu erledigen, aber gleichzeitig intransparente Netzwerke herausbilden. Korruption und Bestechung gedeiht offensichtlich auch dort, wo es im Konkurrenzkampf von Banken und transnationalen Konzernen bei der Privatisierung um lukrative Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge geht.

   Im Endbericht wird gefordert, ein Umfeld zu schaffen, auf dem Korruption nicht gedeiht. Doch Privatisierungen und Beteiligungen werden in der Analyse der Ursache und bei den Empfehlungen völlig ausgeblendet. Transparenz wird eingefordert, aber in den Empfehlungen überwiegen Maßnahmen zur Strafverschärfung bei Korruption. Wir teilen zwar diese Empfehlungen, halten jedoch die Demokratisierung und mehr Transparenz für wesentliche Mittel, um der Korruption und Bestechung die Grundlage zu entziehen. In Ländern, wie z.B. Schweden, die hohe Transparenz und Informationsrechte gewährleisten, ist der Korruption sehr viel weitergehend die Grundlage entzogen als bei uns.

Als Vorbild gilt uns in diesem Sinne auch der „Beteiligungshaushalt“ von Porto Alegre, weil dort neben Transparenz und Information, direkte Beteiligung ermöglicht wurde. Seit 1989 entscheiden dort Bürgerinnen und Bürger der südbrasilianischen Landeshauptstadt mit über die Verwendung der kommunalen Haushaltsmittel. Jährlich finden zweiundzwanzig öffentliche Bürgerversammlungen statt, an denen jeder interessierte Einwohner der Stadt teilnehmen kann und ein Stimmrecht hat. Auf den Versammlungen werden die Prioritäten für den Haushalt festgelegt sowie Vertreter der Stadtviertel für den kommunalen Beirat des Beteiligungshaushalts gewählt. Daneben wird in thematischen Foren seit 1994 über Projekte entschieden, welche die ganze Stadt betreffen. Die Foren repräsentieren die Kernbereiche der kommunalen Aufgaben: Transport und Verkehr, Gesundheit, Bildung, Soziales, Wirtschaftsentwicklung, Stadtentwicklung und Steuern. Selbst die Ansiedlung von Konzernen wird in solchen Projekten begleitet. Je zwei Vertreter/innen der Foren und der Stadtviertel werden für ein Jahr in den Haushaltsrat gewählt. Hier wird über die Umsetzung der Beschlüsse und Vorhaben für das folgende Haushaltsjahr die Rechenschaft der Stadtverwaltung eingefordert sowie die Richtlinien, die Vergabe der Finanzmittel und die Einhaltung von Verteilungskriterien für die Haushaltsplanung überwacht. Jährlich beteiligen sich inzwischen mehr als 100000 Menschen, was rund 15 Prozent der Wahlberechtigten in Porto Alegre entspricht.

Seit 1999 werden darüber hinaus im brasilianischen Bundesland Rio Grande de Sul die Prioritäten des Landeshaushalts in einem ähnlichen Verfahren festgelegt. Einem Bundesland, das größer ist als Westdeutschland. Das partizipative Verfahren des Beteiligungshaushalts hat inzwischen Nachahmung in mehr als 200 brasilianischen Städten gefunden. Im Jahre 1999 stellten auf einer internationalen Konferenz Politiker und Wissenschaftler aus u.a. Barcelona, Montreal, Saint Denis, Stockholm und Toronto ihre unterschiedlichen Praxiserfahrungen mit Beteiligungshaushalten dar. Das Spektrum reichte von stärkerer Transparenz über Planungszellen, Konsultationsprozesse, „Runde Tische“ bis hin zur direkten Einflussnahme der Bürgerinnen und Bürger auf die Haushaltsentscheidungen. Auch einige wenige deutsche Kommunen haben inzwischen Schritte in diese Richtung unternommen und in einem Netzwerk „Kommunen der Zukunft“ (auf Initiative der Bertelsmann Stiftung) die Erfahrungen Porto Alegres der letzten zwölf Jahre aufgegriffen. Bis jetzt gilt Porto Alegres Bürgerhaushalt als das am weitesten entwickelte Modell direkter Demokratie. Auf der VN-Konferenz „Habitat II“ im Jahr 1996 wurde Porto Alegre deshalb zur Hauptstadt der Demokratie erklärt, die Weltbank lobte sie als Modell für nachhaltige Stadtentwicklungspolitik. Zahlreiche Auswertungen verweisen zudem darauf, dass die Korruption merklich zurückgegangen sei. Auch die Bürger/innen Porto Alegres teilen diese Sicht. In einer Umfrage erklärten 98 Prozent der Befragten, dass sie ihre Stadt für korruptionsfrei halten. Wir meinen, dass die Empfehlungen der Enquete-Kommission erweitert werden müssen, um einen vergleichbaren Demokratisierungsprozess zu unterstützen.

Empfehlungen

Wir fordern Bund, Länder und Gemeinden auf, die Erfahrungen mit Bürgerhaushalten zu evaluieren und Schritte zur Umsetzung der Bürgerbeteiligung auf zunächst kommunaler Ebene zu ergreifen: Dabei sollten die Kommunen von Bund und Ländern unterstützt werden. Die Erfahrungen des Netzwerks „Kommunen der Zukunft“ sind in den Prozess einzubeziehen.

Die von der Enquete-Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen zur Transparenz in der Auftragsvergabe müssen auch für Privatisierungs- und Beteiligungsvorhaben gelten. Darüber hinaus ist ein allgemeines Recht auf Akteneinsicht zu gewähren.

Unternehmen müssen über Absichtserklärungen hinaus in die Korruptionsbekämpfung durch mehr Transparenz einbezogen werden. Bei der öffentlichen Auftragsvergabe, Privatisierungs- und Beteiligungsvorhaben müssen Unternehmen eventuelle Parteispenden sowie Verträge mit Amtsträgern, die auch ehemalige Amtsträger mit ein­ schließen, offenlegen. Diese Angaben sind jährlich fortzuschreiben und zu veröffentlichen.




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