11.3.5.4 Binnenmarktorientierte
Steuerpolitik
Eine
Stärkung der Binnenmarktorientierung setzt zusätzlich
eine andere Abgaben- und Steuerpolitik voraus. Entgegen der auch
von der Bundesregierung vertretenen Auffassung, dass die
Globalisierung Steuer- und Sozialabgabensenkungen für
Unternehmen erzwinge, wird aus dem bereits angeführten
Gutachten (Scharpf 2001) und den darin aufgeführten
OECD-Vergleichszahlen über Beschäftigungsquoten und
Steuer- und Sozialabgabenquoten bemerkenswerter Weise deutlich,
dass eine höhere Steuer- und Abgabenquote keine negativen
Beschäftigungseffekte hat. Im Einzelnen geht daraus
hervor:
– Es gibt keinen statistischen Zusammenhang
zwischen der Steuer- und Sozialabgabenquote und der
Gesamt-Beschäftigungsquote.
– Es gibt keinen statistischen Zusammenhang
zwischen der Steuer- und Sozialabgabenquote und der
Beschäftigungsquote des wettbewerbsintensiven,
exportorientierten Sektors.
– Es gibt keinen eindeutigen Zusammenhang
zwischen der Steuer- und Sozialabgabenquote und der
Beschäftigungsquote im geschützten Dienstleistungssektor,
der Dienstleistungen, die im wesentlich lokal erbracht und
konsumiert werden.
– Aber: Es gibt einen Zusammenhang zwischen
der Steuer- und Sozialabgabenquote und dem geschützten Sektor,
wenn bei diesem zwischen öffentlichen und privaten
Dienstleistungen unterschieden wird. Die Beschäftigungsquote
bei einfachen privaten Dienstleis tungen ist in den
Ländern höher, wo die Steuer- und Abgabenquote niedriger
ist. Dagegen ist die Beschäftigungsquote bei öffentlichen
Dienstleistungen in den Ländern höher, in denen auch die
Steuer- und Abgabenquote höher ist.
Insofern stellen
wir fest, dass eine Wirtschaftspolitik, der die grundsätzliche
Annahme zugrunde liegt, durch steuerliche Entlastung der
Unternehmen gestiegene Unternehmensgewinne würden in die
Schaffung neuer Arbeitsplätze investiert, in mehrfacher
Hinsicht gescheitert ist.
Die Steuererleichterungen für große
Kapitalgesellschaften durch die Senkung der
Körperschaftssteuersätze und die Steuerbefreiung der
Gewinne von Beteiligungsveräußerungen führten nicht
zum erhofften Wirtschaftswachstum und neuen Arbeitsplätzen,
obwohl die Eigenfinanzierungsmittel der Unternehmen zunahmen.
Allein die Einnahmen des Staates aus der Körperschaftssteuer
sind durch die Steuerreform im Jahr 2001 fast komplett
weggebrochen. Sie reduzierten sich für 2001 um 92,8 Prozent,
so dass von 23,5 Milliarden im Jahre 2000 nur noch 1,7Milliarden
Euro übrig blieben. Die Steuerfreistellung von
Veräußerungsgewinnen der Kapitalgesellschaften wird die
Steuereinnahmen 2002 um weitere 4 Milliarden Euro reduzieren. Damit
wurde die Steuerpolitik der konservativ-liberalen
Vorgängerregierung, die u.a. die Vermögenssteuer
abgeschafft hatte, weitergeführt.
Doch warum
sollten die Kapitalgesellschaften die zusätzlichen
finanziellen Mittel für eine Aufstockung der
Produktionskapazitäten nutzten und damit Arbeitsplätze
schaffen, wenn das bestehende Warenangebot aufgrund stagnierender
bzw. sinkender Massenkaufkraft bereits heute nicht abgesetzt werden
kann? Schließlich haben die Unternehmen in einer solchen
Marktsituation die Möglichkeit, die zusätzlichen
finanziellen Mittel für eine Reduzierung ihrer
Fremdverschuldung, eigene Geldanlagen,
Rationalisierungsinvestitionen oder Unternehmensbeteiligungen zu
verwenden. Für eine dieser Möglichkeiten haben sich die
Kapitalgesellschaften wohl entschieden, denn zu einem
spürbaren Stellenaufbau ist es bei ihnen nicht gekommen.
Für eine Steigerung der
Binnennachfrage wurde mit der Steuer- und Finanzpolitik nichts
erreicht, weil zum einen für Geringverdiener die Entlastungen
durch die Erhöhung von indirekten Steuern und Gebühren
kompensiert wurden. Zum anderen fehlten die Mittel für den
notwendigen Ausbau der öffentlichen Infrastruktur und
Daseinsvorsorge. Die Steuerfreistellung von
Veräußerungsgewinnen wirkte geradezu als
„Brandbeschleuniger“ für Entlassungen, weil die
Unternehmen, um Übernahmen zu verhindern, sich primär an
der Steigerung des Aktienwertes (shareholder-value)
ausrichten. Darüber hinaus hat die Fiskalpolitik die
Unternehmen durch eine sinkende Körperschafts- und
Einkommenssteuerquote aus ihrer sozialpolitischen Verantwortung
entlassen. Diese Finanz- und Steuerpolitik hat damit massgeblich zu
den seit langem zu geringen Wachstumsraten der Binnennachfrage
beigetragen und die Einnahmeseite des Staates negativ beeinflusst.
Das Ergebnis ist im internationalen Vergleich ernüchternd:
Deutschland hat im Vergleich zum OECD-Durchschnitt zwar eine
niedrigere Steuer- und Abgabequote (der Anteil der Einkommens- und
Körperschaftssteuer am Brutto inlandprodukt ist in der
Bundesrepublik bereits vor der Steuerreform die zweitniedrigste im
Vergleich zu 18OECD-Ländern gewesen), aber auch eine
niedrigere Beschäftigungsquote, hohe Massenarbeitslosigkeit
und niedrige Wachstumsraten des Sozialproduktes.
Die Konsequenz
kann unserer Auffassung nach nur in einer auf Stärkung der
Binnennachfrage zielenden Fiskalpolitik liegen:
Empfehlung: Besteuerung nach Leistungsfähigkeit
Wir fordern die
Bundesregierung auf zu einer Besteuerung nach
Leistungsfähigkeit zurückzukehren, d.h.:
– Reform der Unternehmenssteuern zu Lasten
größerer und ertragsstarker Unternehmen;
–
Wiedererhebung der Vermögenssteuer;
– Rückkehr zur Besteuerung von
Veräußerungsgewinnen;
–
Stärkere Bekämpfung der Steuerhinterziehung;
– Die
Einführung einer kommunalen Investitionspauschale.
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