*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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11.3.5.4   Binnenmarktorientierte Steuerpolitik

Eine Stärkung der Binnenmarktorientierung setzt zusätzlich eine andere Abgaben- und Steuerpolitik voraus. Entgegen der auch von der Bundesregierung vertretenen Auffassung, dass die Globalisierung Steuer- und Sozialabgabensenkungen für Unternehmen erzwinge, wird aus dem bereits angeführten Gutachten (Scharpf 2001) und den darin aufgeführten OECD-Vergleichszahlen über Beschäftigungsquoten und Steuer- und Sozialabgabenquoten bemerkenswerter Weise deutlich, dass eine höhere Steuer- und Abgabenquote keine negativen Beschäftigungseffekte hat. Im Einzelnen geht daraus hervor:

–    Es gibt keinen statistischen Zusammenhang zwischen der Steuer- und Sozialabgabenquote und der Gesamt-Beschäftigungsquote.

–    Es gibt keinen statistischen Zusammenhang zwischen der Steuer- und Sozialabgabenquote und der Beschäftigungsquote des wettbewerbsintensiven, exportorientierten Sektors.

–    Es gibt keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Steuer- und Sozialabgabenquote und der Beschäftigungsquote im geschützten Dienstleistungssektor, der Dienstleistungen, die im wesentlich lokal erbracht und konsumiert werden.

–    Aber: Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Steuer- und Sozialabgabenquote und dem geschützten Sektor, wenn bei diesem zwischen öffentlichen und privaten Dienstleistungen unterschieden wird. Die Beschäftigungsquote bei einfachen privaten Dienstleis­ tungen ist in den Ländern höher, wo die Steuer- und Abgabenquote niedriger ist. Dagegen ist die Beschäftigungsquote bei öffentlichen Dienstleistungen in den Ländern höher, in denen auch die Steuer- und Abgabenquote höher ist.

Insofern stellen wir fest, dass eine Wirtschaftspolitik, der die grundsätzliche Annahme zugrunde liegt, durch steuerliche Entlastung der Unternehmen gestiegene Unternehmensgewinne würden in die Schaffung neuer Arbeitsplätze investiert, in mehrfacher Hinsicht gescheitert ist.

Die Steuererleichterungen für große Kapitalgesellschaften durch die Senkung der Körperschaftssteuersätze und die Steuerbefreiung der Gewinne von Beteiligungsveräußerungen führten nicht zum erhofften Wirtschaftswachstum und neuen Arbeitsplätzen, obwohl die Eigenfinanzierungsmittel der Unternehmen zunahmen. Allein die Einnahmen des Staates aus der Körperschaftssteuer sind durch die Steuerreform im Jahr 2001 fast komplett weggebrochen. Sie reduzierten sich für 2001 um 92,8 Prozent, so dass von 23,5 Milliarden im Jahre 2000 nur noch 1,7Milliarden Euro übrig blieben. Die Steuerfreistellung von Veräußerungsgewinnen der Kapitalgesellschaften wird die Steuereinnahmen 2002 um weitere 4 Milliarden Euro reduzieren. Damit wurde die Steuerpolitik der konservativ-liberalen Vorgängerregierung, die u.a. die Vermögenssteuer abgeschafft hatte, weitergeführt.

Doch warum sollten die Kapitalgesellschaften die zusätzlichen finanziellen Mittel für eine Aufstockung der Produktionskapazitäten nutzten und damit Arbeitsplätze schaffen, wenn das bestehende Warenangebot aufgrund stagnierender bzw. sinkender Massenkaufkraft bereits heute nicht abgesetzt werden kann? Schließlich haben die Unternehmen in einer solchen Marktsituation die Möglichkeit, die zusätzlichen finanziellen Mittel für eine Reduzierung ihrer Fremdverschuldung, eigene Geldanlagen, Rationalisierungsinvestitionen oder Unternehmensbeteiligungen zu verwenden. Für eine dieser Möglichkeiten haben sich die Kapitalgesellschaften wohl entschieden, denn zu einem spürbaren Stellenaufbau ist es bei ihnen nicht gekommen.

Für eine Steigerung der Binnennachfrage wurde mit der Steuer- und Finanzpolitik nichts erreicht, weil zum einen für Geringverdiener die Entlastungen durch die Erhöhung von indirekten Steuern und Gebühren kompensiert wurden. Zum anderen fehlten die Mittel für den notwendigen Ausbau der öffentlichen Infrastruktur und Daseinsvorsorge. Die Steuerfreistellung von Veräußerungsgewinnen wirkte geradezu als „Brandbeschleuniger“ für Entlassungen, weil die Unternehmen, um Übernahmen zu verhindern, sich primär an der Steigerung des Aktienwertes (shareholder-value) ausrichten. Darüber hinaus hat die Fiskalpolitik die Unternehmen durch eine sinkende Körperschafts- und Einkommenssteuerquote aus ihrer sozialpolitischen Verantwortung entlassen. Diese Finanz- und Steuerpolitik hat damit massgeblich zu den seit langem zu geringen Wachstumsraten der Binnennachfrage beigetragen und die Einnahmeseite des Staates negativ beeinflusst. Das Ergebnis ist im internationalen Vergleich ernüchternd: Deutschland hat im Vergleich zum OECD-Durchschnitt zwar eine niedrigere Steuer- und Abgabequote (der Anteil der Einkommens- und Körperschaftssteuer am Brutto­ inlandprodukt ist in der Bundesrepublik bereits vor der Steuerreform die zweitniedrigste im Vergleich zu 18OECD-Ländern gewesen), aber auch eine niedrigere Beschäftigungsquote, hohe Massenarbeitslosigkeit und niedrige Wachstumsraten des Sozialproduktes.

Die Konsequenz kann unserer Auffassung nach nur in einer auf Stärkung der Binnennachfrage zielenden Fiskalpolitik liegen:

Empfehlung: Besteuerung nach Leistungsfähigkeit

Wir fordern die Bundesregierung auf zu einer Besteuerung nach Leistungsfähigkeit zurückzukehren, d.h.:

–    Reform der Unternehmenssteuern zu Lasten größerer und ertragsstarker Unternehmen;

–    Wiedererhebung der Vermögenssteuer;

–    Rückkehr zur Besteuerung von Veräußerungsgewinnen;

–    Stärkere Bekämpfung der Steuerhinterziehung;

–    Die Einführung einer kommunalen Investitionspauschale.




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