*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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3.3.2       Kontroversen um Entwicklungsländer in der Welthandelsorganisation

3.3.2.1    Marktzugang für Entwicklungsländer33

Bislang konnten die Industrieländer am meisten von den Liberalisierungsrunden der letzten Jahrzehnte profitieren. Vor diesem Hintergrund sind die Forderungen insbesondere der NGO und der Weltbank zu sehen, die kommende Welthandelsrunde zu einer „Weltentwicklungsrunde“ zu gestalten (Weltbank 2001b). Die WTO schließt sich diesen Forderungen mittlerweile an, da sie den Bedürfnissen und Interessen der Entwicklungsländer eine zentrale Stellung im zukünftigen Arbeitsprogramm zuweist (WTO 2001a: Ziff. 2). Als wichtige Mittel zum Zweck erachtet sie einen erweiterten Marktzugang, ausgewogene und auf die Entwicklungsbedürfnisse ausgerichtete Handelsregeln, finanzielle und technische Unterstützung sowie „Capacity-Building-Programme“. Dies deckt freilich nur einen Teil der Forderungen der G77 Länder und China nach einer umfassenderen Einbeziehung entwicklungspolitischer Ziele in das Regelwerk der WTO (G77/China 2001: Ziff. 4).

Die Probleme der Entwicklungsländer mit der Umsetzung der WTO-Regeln und -Beschlüsse müssen in Zukunft konsequenter angegangen werden. Entwicklungsländer sind oft finanziell und personell überfordert, die zur Umsetzung des Regelwerks notwendigen Institutionen zu errichten und zu unterhalten. Dieses Problem muss in den kommenden Jahren auch unter finanzieller Beteiligung der Industrieländer gelöst werden.

Viele Industrieländer schützen sich immer noch durch hohe Zölle und andere nicht-tarifäre Marktzugangsschranken in vielen „sensiblen“ Bereichen vor der Konkurrenz aus Schwellen- und Entwicklungsländern. Insbesondere in den Bereichen des Agrar- und Textilhandels, aber auch in verschiedenen Bereichen der Schwerindus­ trie gelang es ihnen in der Vergangenheit, unter Hinweis auf Dumping, Produktsicherheit oder „vitale“ nationale Interessen hohe Handelsschranken aufrecht zu halten und neue zu errichten. Dieses Verhalten steht in einem krassen Konflikt zu den Liberalisierungsideen der WTO.

   Agrarpolitik und Textilhandel: Der Marktzugang von Waren wird seit 1948 durch das GATT geregelt. In den acht vergangenen Verhandlungsrunden konnten die durchschnittlichen Zölle für Handelsgüter von ca. 40 Prozent unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg auf durchschnittlich vier Prozent nach der Uruguay-Runde 1994 gesenkt werden (OECD 2001d: 73). Die durchschnittlichen Zollsätze sind allerdings recht ungleichmäßig über Produktgruppen und Wirtschaftssektoren verteilt. Auch existieren vor allem im Bereich der Landwirtschaft und im Textilhandel noch viele nicht-tarifäre Handelshemmnisse. Diese Beschränkungen treffen also jene meist arbeitsintensiven Bereiche am härtesten, in denen Entwicklungsländer komparative Vorteile gegenüber vielen In­ dus­ trieländern haben. Zum Beispiel: Knapp ein Drittel aller Textilimporte der OECD-Mitglieder sind mit Zöllen über 15 Prozent belegt. Allerdings wiegen der faktische Marktausschluss und die Wohlfahrtsverluste durch nicht-tarifäre Handelshemmnisse noch schwerer. Laut einer WTO-Studie von Anfang 2001 greifen bei ca. drei Viertel aller Textilimporte in die EU nicht-tarifäre Handelshemmnisse (FTD 14.11.2001: 15). Der Handel mit Tex­ tilien soll bis 2005 vollständig aus dem Welttextil­ abkommen herausgelöst und komplett in das GATT-System integriert werden. Als Liberalisierungsziel steht die Abschaffung der noch bestehenden Einfuhrkontingente und ein weiterer Zollabbau auf der Agenda.

Vor dem Hintergrund dieser Problematik stand bei den Beratungen der Ministerkonferenz in Doha der verbesserte Marktzugang für Entwicklungsländer, insbesondere der am wenigsten entwickelten Länder34, im Vordergrund. Die Entwicklungsländer und die Gruppe der großen Agrarexporteure, die Cairns-Gruppe, verlangen von den Industrie­ ländern einen wesentlich besseren Marktzugang zu ihren hochgradig geschützten und regulierten Agrarmärkten und eine Rückführung ihrer internen Marktregulierungen. Durch den Agrarprotektionismus der Industrieländer gehen nach Berechnungen der Weltbank den Entwicklungsländern pro Jahr rund 63 Milliarden US-Dollar verloren (Europäisches Parlament 2000: 6).

Besonders nachdrücklich wurde daher in Doha von den Industrieländern erneut das schrittweise Auslaufen von Exportsubventionen und Beihilfen für die Landwirtschaft verlangt (WTO 2001a: Ziff. 13.). Auf eine solch konkrete Liberalisierungsverpflichtung wollte sich die europäische Handelsdelegation so lange nicht einlassen, bis man sich auf die Kompromissformel „without prejudging the outcome of the negotiations“ (WTO 2001a: Ziff. 13) einigte – also ohne das Ergebnisse der Verhandlungen vorwegzunehmen. Das Ziel, jene Handelsschranken abzubauen, die spezifisch durch die EU-Agrarmarktordnung bedingt sind, bleibt somit bestehen, jedoch mit einer stark relativierenden Note. Dies ist angesichts der Interessenskonflikte innerhalb der EU im Vorfeld ihrer Osterweiterung allerdings verständlich.35

Die Landwirtschaft hat für viele Entwicklungsländer eine besondere Bedeutung. Dies betrifft sowohl die Ernährungssicherheit, als auch die Zahl der Beschäftigten in diesem Sektor. Es sollte Entwicklungsländern erlaubt sein, ihre lokalen Produzenten zu schützen, sofern damit die Ernährungssicherheit gewährleistet werden kann. Die Landwirtschaft ist allerdings kein Produktionszweig wie jeder andere. Seit jeher erfüllt die Landwirtschaft neben der Produktion von Nahrungsmitteln Aufgaben in der Landschaftsentwicklung, ihrer Pflege und im Tourismus. Diese Mehrfachfunktion der Landwirtschaft wird heute als „Multifunktionalität der Landwirtschaft“ diskutiert. Die EU umschreibt mit dem Begriff der Multifunktionalität den grundlegenden Zusammenhang von umweltgerechter Landwirtschaft, Lebensmittelsicherheit, räumlicher Ausgewogenheit, Landschafts- und Umweltschutz und Ernährungssicherheit (EU 2000).

Anti-Dumping: Anti-Dumping-Maßnahmen zur Verhinderung „unfairen“ Handels haben sich in der Vergangenheit zu einem ernsten Handelsproblem entwickelt. Unter Hinweis auf Dumping werden oft Marktabschottungen zuungunsten der Entwicklungsländer betrieben. Dies war und ist besonders ausgeprägt in jenen Bereichen, in denen Entwicklungsländer besonders große komparative Vorteile aufzuweisen haben. Häufig setzen die Entwicklungsländer allerdings Anti-Dumping-Maßnahmen als Kampfinstrument untereinander ein.

Neben der Landwirtschaft sind vor allem arbeitsintensive Branchen wie die Bekleidungs- und Textilindustrie, aber auch viele vor allem arbeitsintensive Bereiche der Schwerindustrie von Anti-Dumping-Maßnahmen betroffen. Viele Entwicklungsländer sehen in der Praxis der Anti-Dumping-Abschottung durch Industrieländer ein gewaltiges Entwicklungshemmnis und fordern mit Nachdruck die beschleunigte Implementierung der Liberalisierungen aus der Uruguay-Runde insbesondere für die Agrar- und Textilwirtschaft (G 77/China 2001: Ziff. 9 und 15). Anti-Dumping-Maßnahmen nahmen auch deshalb in der Vergangenheit sehr zu, da diese relativ leicht einzusetzen sind und direkt und diskriminierend gegenüber einzelnen Ländern oder Produzenten wirken. Es ist allerdings empirisch immer schwer nachzuweisen, ob in einem konkreten Fall ein Dumpingvorwurf tatsächlich gerechtfertigt erscheint.

In der Anti-Dumping-Problematik konnten die Entwicklungsländer in Doha einen Erfolg erzielen. Insbesondere    soll das Problem der Mengenquoten im Textilhandel verhandelt werden. Außerdem setzten sie Verhandlungen durch, dass ihrer spezifischen Situation vor der Initiierung von Anti-Dumping-Maßnahmen Rechnung getragen wird.



33 Vgl. hierzu auch das Minderheitenvotum der FDP-Fraktion in Kapitel 11.2.2.3.2.

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34 Die EU hat mit der sog. „Everything but Arms-Initiative“, die den quoten- und zollfreien Marktzugang für alle Waren aus LDC-Ländern – wenn auch mit Übergangsfristen für Zucker, Reis und Bananen – auf den europäischen Markt beinhaltet, ein wichtiges Signal gesetzt.

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35 Seitens der EU besteht das Problem darin, dass mit der Osterweiterun die landwirtschaftliche Nutzfläche um die Hälfte vergrößert und die Zahl der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft verdoppelt wird. Bei einer unreformierten EU-Agrarmarktordnung würden aufgrun der Unterschiedlichkeit der Lebensverhältnisse und Produktionsstrukturen< zwischen den Beitrittsländern und den jetzigen EU-Mitgliedern enorme Transfers fällig. Die von der EU-Kommission in der Agenda 2000 vorgestellte Strategie einer reformierten Agrarmarktordnung sieht deshalb die Heranführung der EU-Agrarpreise an das Weltmarktniveau vor, gekoppelt mit dem Instrument „direkte Einkommensbeihilfen“.

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