3.3.2.2 Wettbewerb und
Entwicklungsländer
Die klassische Außenhandelstheorie des
„komparativen Kostenvorteils“ folgert, dass freier
Handel zu einer Steigerung der gesellschaftlichen Wohlfahrt
für alle Handels partner führen würde. Deshalb
werden Handel und Liberalisierung, transantionale Konzerne und
internationale Institutionen als hilfreich zur Überwindung des
Rückstandes und der Armut in Entwicklungsländern
angesehen.
Die Gegenmeinung geht indes davon aus, dass
nachhaltig positive Auswirkungen der Beteiligung am Handel und dem
internationalen Wettberwerb einen gewissen bereits vorhandenen
Stand der Entwicklung der heimischen Wirtschaft voraussetzen. Die
früher verfolgte Spezialisierung von unterentwickelten
Ländern auf Produktion und Export von unverarbeiteten
Primärgütern verstärke ihre Abhängigkeit von
schwankenden Weltmarktpreisen sowie das vorhandene
Technologiegefälle. Diese Situation hemme eine Entwicklung,
die zu einer höheren Produktivitätsentwicklung
führt.37
Ob günstigere Erwartungen begründet
seien, wenn im internationalen Wettbewerb ein Entwicklungsland den
Zuschlag als dezentraler Produktionsstandort eines transnationalen
Unternehmens zur Weiterverarbeitung industrieller Produkte
erhielte, könne dahingestellt bleiben. Auf der einen Seite
ließe sich argumentieren, dass transnationale Unternehmen im
Rahmen ihrer globalen Wertschöpfungskette i.d.R. überall
den aktuellen Stand der Technik einsetzen. Dieser erfordere eine
Höherqualifizierung der lokalen Arbeitskräfte. Dadurch
entstehen verschiedene positive Spill-over-Effekte in der lokalen
Wirtschaft hinsichtlich Produktivität, Ausbildung, Arbeits-
und Sozialstandards. Die Ausschöpfung dieses Potenzials durch
die Entwicklungsländer gelingt umso besser, je höher
bereits der Stand der heimischen Wirtschaft sowie der
sozioökonomischen Infrastruktur ist. Im Idealfall eines
„Wettbewerbs auf gleicher Augenhöhe“ komme es zu
einer fairen Aufteilung der Außenhandelsgewinne auf die
Beteiligten. Diese Entwicklung ergebe sich jedoch nicht
zwangsläufig. Wie entwicklungspolitische Analysen
zeigten38, komme die
Realisierung der erwarteten „spill-over-Effekte“ nur
unter günstigen Bedingungen zustande. Es bestehe die Gefahr,
dass Projekte transnationaler Unternehmen keine weitergehenden
Effekte auf die Gesamt ökonomie des betreffenden Landes
ausüben, wenn deren lokale, regionale oder nationale
Vernetzung so gering ausgeprägt ist, dass sie einen
Entwicklungsprozess nicht zu tragen oder nur zu initiieren in der
Lage sind.
Auch die Probleme der
ökonomisch-politischen Vermachtung zeigen sich in besonderer
Weise in den Entwicklungs- und Schwellenländern.
Multinationale Unternehmen, die in Entwicklungsländern
agieren, haben dort in der Regel eine ungleich stärkere
Position als in den OECD-Ländern. Auch wenn die
grenzüberschreitenden M&A-Aktivitäten vor allem auf
Unternehmen in den ent wickelten Ländern konzentriert waren, ist doch
auch in den Schwellenländern eine beträchtliche
Merger-Aktivität zu verzeichnen, an denen hauptsächlich
multinationale Unternehmen aus den Industrieländern beteiligt
sind (Singh, Dhumale 1999; Singh 2001).
Die internationale Handelspolitik mit ihren
Voraussetzungen von Meistbegünstigung, Gegenseitigkeit und
Gleichbehandlung inländischer und ausländischer Firmen
entspricht nach Meinung vieler Autoren (z.B. Ajit Singh und Walden
Bello) nicht der Interessenlage der
Entwicklungsländer.39 Sie wird als Ausdruck einer für
Entwicklungsländer schädlichen Machtmanifestation (Singh)
angesehen, dem durch ein „Special and Differential
Treatment“ der Entwicklungsländer entgegen gewirkt
werden könne: Letztlich geht es bei der Diskussion um das
„Special and Differential Treatment“ der
Entwicklungsländer darum, grenzüberschreitende
Solidarität und die konstitutiven Elemente der
Welthandelsordnung – Meistbegünstigung,
Reziprozität und Inländerbehandlung – in ein
ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Ein Vorschlag, der in
diese Richtung zielt, ist die von Pakistan auf der
Ministerkonferenz von Doha eingebrachte Forderung nach einem
Rahmenabkommen zum „Special and Differential
Treatment“. Hier geht es darum, den Entwicklungsländern
ihren Entwicklungsbedürfnissen entsprechende grund
sätzlich abweichende Regelungen im Rahmen der WTO zu
ermöglichen, so wie sie in der Präambel zur WTO mit der
Erklärung von Marrakesch, als Bestandteil des GATT und auch
bereits in der Havanna Charta enthalten waren. Die EU z.B. betreibt
mit ihrer „Everything but Arms“-Ini tiative oder
auch mit der Gewährung von Präferenzen an die AKP-Staaten
nichts anderes als ein eigenes „Special and Differential
Treatment“. Angesichts
des Ausbleibens von Wohlstandserfolgen für zumindest
ein Drittel der Menschen (Weltbank 2002) halten viele
Entwicklungsländer im Rahmen der WTO befristete und degressiv ausgestaltete,
entwicklungsförderliche Ausnahmen bei der
Reziprozität und der Inländerbehandlung für erforderlich. Sie berufen
sich dabei im Grunde auf das „Infant
Industry“-Argument, das den heutigen Industrieländern
erst ihre Entwicklung ermöglicht habe.
Dem wird entgegengesetzt, dass die
Argumentationslinien von Singh und Bello für ein
„Special and Differential Treatment“ auf eine markt-
und wettbewerbskritische Grundhaltung zurückzuführen
sind. Im Ergebnis wird den Entwicklungsländern nahe gelegt,
Wettbewerb selektiv nur dort zuzulassen, wo ihnen dies vermeintlich
vorteilhaft erscheint, im übrigen aber die Kartellierung und
sons tige Wettbewerbsbeschränkung nicht nur zu erlauben,
sondern sogar strategisch zu praktizieren. Die Gefahren einer
solchen Strategie dürfen aber nicht übersehen werden:
Neben dem letztlich nicht lösbaren Problem einer Definition
der jeweils optimalen Wettbewerbsintensität muss bedacht
werden, dass auch eine bloß zeitweilige oder auch nur
teilweise Abschottung von Märkten Unternehmensstrukturen
fördert, die an Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit
verlieren und so das entwicklungspolitisch erwünschte Aufholen
dieser Länder behindert.
Das viel zitierte „Level Playing
Field“ ergibt sich gerade aus der grundsätzlichen
Akzeptanz der gleichen Spielregeln von allen für alle. Dass
sich im Wettbewerb Spieler unterschiedlicher Qualität messen
(und dabei gegenseitig stimulieren), ist vorgegeben und gewollt,
damit auch das Transparentwerden von Stärken und
Schwächen. Wettbewerbspolitik, die richtig verstanden
Rechtsrahmen setzende Ordnungspolitik ist, kann deshalb in Fragen
des Regelwerks für alle nur in engen Grenzen „Special
and Differential Treatment“ gewähren.
Eine wirksame Wettbewerbspolitik setzt zu
ihrer Durchsetzung einen gefestigten Rechtsstaat voraus (so auch
Singh). Hauptmanko einer Vielzahl von Entwicklungsländern sind
aber eher zu schwache rechtsstaatliche und administrative
Strukturen. Viele Entwicklungsländer haben bisher keine
ausdifferenzierten Wettbewerbsordnungen entwickelt, keine
wettbewerbspolitischen Institutionen aufgebaut und wünschen
dies derzeit auch nicht.
37 Schon im 19. Jahrhundert hat Friedrich List für
eine aktive Rolle des Staates im nachholenden Entwicklungsprozess
plädiert. Zeitweise sollte es sogar möglich sein, eine
„nationale Ökonomie“ gegenüber
unerwünschten Weltmarkteinflüssen (durch Einführung
von „Erziehungszöllen“) abzusichern
(temporäre und partielle Dissoziation). Eine solche Strategie
jedoch, die noch in den 70er Jahren viele Fürsprecher unter
Entwicklungspolitikern fand, ist seit den 80er Jahren infolge der
finanziellen Öffnung der meisten Entwicklungsländer (ein
Effekt der Schuldenkrise) nicht mehr umsetzbar. Daher sind
komplexere Entwicklungsstrategien, die sich weder einseitig auf den
Markt und die durch ihn herbeigeführte globale Arbeitsteilung
noch auf die staatliche Regulierung verlassen, erforderlich: Es
geht letztlich darum, die gesellschaftlichen Ressourcen zur
Steigerung der „systemischen“ Wettbewerbsfähigkeit
zu mobilisieren.
38 Dies betrifft vor allem die Analysen von
Rosenstein-Rodan, Nurkse, Hirschman und in neuerer Zeit auch
Krugman, die gezeigt haben dass Entwicklungsprozesse nicht zuletzt
auf Koppelungseffekten („linkages“) und
Ausstrahlungseffekten („spill-over“) beruhen (Krugman
1986).
39 Allerdings projizieren diese Autoren jene
Sachverhalte oft auf die Wettbewerbspolitik. Dieses Vorgehen ist
allerdings systemwidrig.
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