3.3.3
Liberalisierung von Dienstleistungen durch GATS41
3.3.3.1 Das GATS-Abkommen
Der Handel mit Dienstleistungen gilt als
dynamischer Wachstumsbereich der Weltwirtschaft. Nach Angaben der
WTO erreichte der Dienstleistungshandel im Jahr 1999 einen Wert von
1,34 Billionen US-Dollar (WTO 2000a), was rund einem Fünftel
des gesamten Welthandels entspricht. Dreiviertel der
Dienstleistungsexporte entfallen auf Industrieländer.
Größte Exporteure sind die EU und die USA. Der
Auslandsreiseverkehr und der Transport stellen die bedeutsamsten
Sektoren dar, ihre Umsätze machen 32,8 bzw. 23 Prozent des
weltweiten Dienstleis tungshandels aus (WTO 2000a). Der
Dienstleistungsanteil am Welthandel gilt jedoch als relativ gering
im Vergleich zur stetig angewachsenen ökonomischen und
beschäftigungspolitischen Bedeutung des tertiären
Sektors. In den OECD-Staaten tragen Dienstleistungen 60 bis 70
Prozent zum BIP bei und beschäftigen 64 Prozent der
Arbeitnehmer (OECD 2000i).
Entwicklungsländer haben sich
während der Uruguay-Runde zunächst gegen die Aufnahme von
Dienstleistungen in das Regime der WTO ausgesprochen. Ihre eigene
Service-Industrie sei zu schwach entwickelt, so dass sie bei
verfrühter Marktöffnung dem verschärften Wettbewerb
nicht standhalten könne. Dass es dennoch zur Einigung auf das
GATS kommen konnte, ist auch auf die Lobbyarbeit einflussreicher
Dienstleistungskonzerne der Industrieländer
zurückzuführen.
3.3.3.1.1 Wesentliche Bestimmungen
Im Rahmen des GATS wurde ein Schema
entwickelt, das Dienstleistungen in zwölf Sektoren
unterteilt:
Im Prinzip umfasst das GATS alle Dienstleistungen,
ausgeschlossen sind nur solche, die „in Ausübung
hoheitlicher Gewalt erbracht“ (Art. I) werden und
Luftverkehrsrechte. Ferner werden im Artikel I vier
Erbringungsarten (sog. „Modes“) des
Dienstleistungshandels unterschieden:
1. grenzüberschreitende
Lieferungen,
2. der Konsum von
Dienstleistungen im Ausland (z. B. Tourismus),
3. die kommerzielle Präsenz
im Ausland und
4. die zeitweise Migration von
Dienstleistungserbringern.
Damit erstreckt sich das GATS nicht nur auf
den klassischen grenzüberschreitenden Handel, sondern auf
ausländische Direktinvestitionen und befristete
Arbeitsmigration. Da gegenwärtig mehr als 50 Prozent der
weltweit getätigten ausländischen Direktinvestitionen in
die Service-Industrie fließen, kommt der Erbringungsart 3 eine
besondere Bedeutung zu (Hufbauer und Warren 1999). Das GATS gilt
daher als ein Handels- und Investitionsabkommen.
Das GATS unterscheidet zwischen allgemeinen
Verpflichtungen, die für alle WTO-Mitglieder
gleichermaßen gelten und den spezifischen Verpflichtungen, die
insoweit gelten, wie die Mitglieder konkrete Verpflichtungen
eingegangen sind. Das flexible Konzept erlaubt den Staaten, die zu
liberalisierenden Sektoren selbst zu bestimmen
(Bottom-up-Ansatz).
3.3.3.1.2 Meistbegünstigung
Meistbegünstigung verlangt, dass
Handelsvergünstigungen, die einem Land gewährt werden,
auch allen anderen WTO-Mitgliedern zugestanden werden. Allerdings
gibt es im GATS einige allgemeine Meistbegünstigungsausnahmen,
so für regionale Integrationsabkommen (Art. V). Diese Ausnahme
ist z.B. für die EU von Bedeutung, da sie verhindert, dass
Handelsvorteile des Binnenmarkts umstandslos auch Drittstaaten
gewährt werden müssen. Daneben gewährte das GATS
länderspezifische Meist begünstigungsausnahmen, die
bis zum Abschluss der Verhandlungen angemeldet werden mussten. Die
In dustrie länder, v.a. die der EU, haben
zahlreiche Meistbegünstigungsausnahmen angemeldet, so bei
Finanzdienstleistungen, Telekommunikation, audiovisuellen Diensten,
Seeverkehr und bei der Erbringungsart des
grenzüberschreitenden Personenverkehrs.
3.3.3.1.3 Transparenz
Artikel
III enthält die Verpflichtung, alle Maßnah- men, die den
Dienstleistungshandel betreffen, zu veröffentlichen. Einmal im
Jahr muss die WTO über Gesetzesänderungen, Vorschriften
oder Verwaltungsricht linien unterrichtet werden. Zwei Jahren
nach Errichtung der WTO mussten nationale Auskunftsstellen
eingerichtet werden, die andere Mitglieder über alle den
Dienstleistungshandel betreffende Maßnahmen
informieren.
3.3.3.1.4 Innerstaatliche Regulierung
Mit dem Artikel VI über die
innerstaatliche Regulierung ist ein sensibler Bereich des GATS
angesprochen. Die Brisanz der GATS-Verhandlungen liegt darin, dass
bedeutende Hemmnisse für den internationalen Handel mit
Dienstleistungen nicht in Maßnahmen der Zollpolitik, sondern
in innerstaatlichen Regelungen bestehen. Mit dem GATS wurde eine
multilaterale Verhandlungsinstanz geschaffen, die die Entwicklung
verbindlicher Disziplinen für Gesetzgebung und Regulierung
aller Dienstleis tungsmärkte zum Zweck hat. Damit greift
das GATS in die Innenpolitik der WTO-Mitglieder ein und
berührt oft zentrale Bereiche staatlicher Regelungshoheit. Mit
der Klausel, dass Dienstleistungen, die “in Ausübung
hoheitlicher Gewalt erbracht” werden (Art. 1, Abs. 3 b), von
der Liberalisierung ausgenommen sind, bleibt unklar, ob
öffentliche Dienste, die der Befriedigung grundlegender
gesellschaftlicher Bedürfnisse (Gesundheitsversorgung,
Bildung, Infrastruktur) dienen, durch handelsbezogene
Maßnahmen geschützt werden dürfen. Dies wäre
nur erlaubt, wenn ein solcher Dienst „weder zu kommerziellen
Zwecken noch im Wettbewerb mit einem oder mehreren
Dienstleistungserbringern erbracht wird“. Problematisch
könnten alle Bereiche sein, die teilprivatisiert sind oder in
denen quasistaatliche oder private Anbieter öffentliche
Aufgaben (z. B. bestimmte Gemeinwohlverpflichtungen) wahrnehmen. Es
besteht Unsicherheit, die durch zukünftige Interpretationen
dessen, was als hoheitliche Aufgabe unter dem GATS gelten soll,
noch erhöht wird. Zwar wird in der Präambel und im
Artikel VI das Recht der Mitgliedstaaten bestätigt, die
Erbringung von Dienstleistungen nach ihren politischen Zielen zu
regulieren. Liberalisierungsverpflichtungen dürfen aber nicht
eingeschränkt werden. Der Rat für den
Dienstleistungshandel wird in Artikel VI beauftragt, Disziplinen zu
entwickeln, die gewährleisten, dass nationale
Qualifikationserfordernisse, technische Normen sowie
Zulassungsverfahren keine unnötige Belastung des
Dienstleistungshandels darstellen. Welche politischen Ziele
handelsbeschränkende Maßnahmen legitimieren können,
bleibt ungeklärt.
Zur Erarbeitung sektorübergreifender
Disziplinen wurde unter dem GATS eine „Working Party for
Domestic Regulation“ eingesetzt. Das GATS erzeugt Druck,
über nationale Regelungen in einen internationalen
Beratungspozess mit interessierten Parteien einzutreten (OECD
2000f). Offen ist, wie weit nationale Politikpräferenzen
gegenüber Handelspartnern zurückgestellt werden,
insbesondere, wenn es Druckmittel seitens dieser Länder
gibt.
3.3.3.1.5 Wettbewerbsregeln und
Notstandsmaßnahmen
Der Artikel VIII über Monopole und
Dienstleistungserbringer mit ausschließlichen Rechten ist in
seiner Reichweite begrenzt. Im Fall wettbewerbsbeschränkender
Praktiken (Art. IX) verpflichtet das GATS zu wechselseitigem
Informationsaustausch und Konsultationen mit dem Ziel, die
Praktiken zu unterbinden. In Artikel X werden Verhandlungen
über sog. Notstandsmaßnahmen, d.h. die zeitlich
befristete Rücknahme von Liberalisierungsverpflichtungen,
vorgeschrieben. Gewerkschaften, aber auch Entwicklungsländer
fordern hierbei verbindliche Notstandsmaßnahmen. Während
die EU eine gewisse Aufgeschlossenheit in dieser Frage
signalisiert, sind andere Industriestaaten bisher ablehnend. Sie
verweisen auf die ihrer Ansicht nach hinreichende Flexibilität
des GATS.
Es gibt
Forderungen, dass eine Sicherheitsklausel den Schutz des
inländischen Arbeitsmarkts ermöglichen solle. Eine solche
Klausel sollte Frühwarnsysteme über die
Beschäftigungsentwicklung enthalten sowie eine flexible
Anwendung hinsichtlich der verschiedenen Erbringungsarten erlauben
(Dessewffy 1999: 10f.).
3.3.3.1.6 Zahlungen und Übertragungen
Die
Industrieländer streben eine Lockerung der in
Entwicklungsländern z.T. verbreiteten
Kapitalverkehrskontrollen an, mit denen diese sich gegen
unerwünschte Zu- und Abflüsse abzusichern versuchen.
Artikel XI verbietet die „Beschränkung internationaler
Übertragungen und Zahlungen im Rahmen laufender
Geschäfte, die mit ihren spezifischen Verpflichtungen
zusammenhängen“. Nur bei „bestehenden oder
drohenden schwerwiegenden Zahlungsbilanzstörungen oder
externen Zahlungsschwierigkeiten“ sind Ausnahmen möglich
(Mattoo 1998).
3.3.3.1.7 Öffentliches
Beschaffungswesen
Das
öffentliche Beschaffungswesen ist ein Bereich von großer
ökonomischer Bedeutung. Es wird geschätzt, dass die
weltweiten öffentlichen Aufträge jährlich einem Wert
von zehn bis fünfzehn Prozent des Welt-BIP entsprechen.
Artikel XIII nimmt die öffentliche Beschaffung
ausdrücklich vom Meistbegünstigungsprinzip, Marktzugang
und von der Inländerbehandlung aus. Es ist aber gefordert,
dass innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten der
WTO-Verträge Verhandlungen hierüber stattfinden
sollen.
Parallel besteht
schon ein Übereinkommen über das öffentliche
Beschaffungswesen im Rahmen der WTO, das die
Inländerbehandlung und Nichtdiskriminierung bei
öffentlichen Aufträgen regelt. Hierbei handelt es sich
jedoch um ein „plurilaterales“ Abkommen, das nur
für die Unterzeichner gilt, u.a. EU, USA und Japan. Die EU hat
in Sektoren Ausnahmen festschreiben lassen, so in den Bereichen
Telekommunikation, Verkehr, Elektrizitäts- und
Wasserversorgung.
Gewerkschaften
fordern, dass weitere Marktöffnungszugeständnisse bei
öffentlichen Aufträgen der EU nur bei Einhaltung der
ILO-Konventionen 94 (Regierungsaufträge), 95 (Lohnschutz) und
98 (Vereinigungsfreiheit, Kollektiv vertragsrecht) gemacht
werden dürfen. Ein zukünftiges europäisches
Vergaberecht könnte eine Orientierung für das
entsprechende WTO-Abkommen sein (Dessewffy 1999, DGB 2001a). Der
EGB fordert, dass bei der Überprüfung mehrerer
EU-Direktiven zu öffentlichen Aufträgen für die
Bereiche Lieferungen, Dienstleistungen, Bauarbeiten, Wasser,
Energie und Verkehr Sozialklauseln integriert werden. Die EU wird
aufgefordert, erst nach öffentlicher Diskussion ihrer
geplanten Mitteilungen zu den sozialen und ökologischen
Aspekten öffentlicher Beschaffung Veränderungen an den
genannten Direktiven vorzunehmen.
3.3.3.1.8 Allgemeine Ausnahmen
Artikel XIV räumt Ausnahmen von
Liberalisierungsverpflichtungen ein. Dazu gehören
Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung,
zum Schutz des Lebens und der Gesundheit. Mit Ausnahme des
Gesundheitsschutzes fehlen weitergehende Arbeits- und
Sozialstandards, die handelsbeschränkende Maßnahme
rechtfertigen könnten.
3.3.3.1.9 Subventionen
Anders als das GATT enthält das GATS
keine verbindlichen Regelungen zur Subventionierung von
Dienstleis tungen. Artikel XV enthält nur den Hinweis,
dass Subventionen zu Verzerrungen im Dienstleistungshandel
führen können und verlangt die Aufnahme von Verhandlungen
über multilaterale Disziplinen und im Falle
subventionsbezogener Konflikte. Allerdings können Subventionen
wegen der Prinzipien der Inländerbehandlung und der
Meistbegünstigung unter die GATS-Bestimmungen fallen.
3.3.3.1.10 Spezifische
Verpflichtungen
Zwar gelten für das GATS mit dem
Marktzugang (Art.XVI), der Inländerbehandlung (Art. XVII) und
der Meistbegünstigung (Art II) die gleichen Prinzipien, die
auf den Güterhandel angewendet werden. Die Prinzipien
Marktzugang und Inländerbehandlung sind nur auf diejenigen
Sektoren anwendbar, die die WTO-Mitglieder in Länderlisten
spezifischer Verpflichtungen aufgenommen haben. Während die
Industrieländer alle wichtigen Sektoren in ihren
Länderlisten zumindest abdecken, haben Entwicklungsländer
eine geringere Zahl von Sektoren liberalisiert. Aufgrund der
flexiblen Struktur des GATS, die es den Staaten
überlässt, die zu liberalisierenden Sektoren selbst zu
bestimmen, spricht man auch von einem „Bottom
Up“-Ansatz. Artikel XVI, 2 zum Marktzugang umfasst alle
quantitativen Handelshemmnisse, die untersagt sind, es sei denn, es
werden entsprechende Rechte in Länder listen
aufgenommen. Wenn ein Mitglied Verpflichtungen zur
Inländerbehandlung in seine Länderliste aufnimmt,
müssen in- und ausländische Anbieter eine gleichwertige
Behandlung erfahren.
3.3.3.1.11 Fortschreitende Liberalisierung
In Artikel XIX wird das Prinzip
fortschreitender Liberalisierung festgeschrieben. Spätestens
fünf Jahre nach Inkrafttreten des Abkommens sollen die
Mitglieder eine neue Verhandlungsrunde zum GATS starten. Damit wird
deutlich, dass mit dem GATS der institutionelle Rahmen für
weitere Liberalisierungsverhandlungen geschaffen wurde, um
schrittweise zu einem höheren Stand der Liberalisierung zu
gelangen. Neue Liberalisierungsangebote werden zum 31. März
2003 folgen.
3.3.3.1.12 Institutionelle Bestimmungen
Teil V des GATS enthält institutionelle
Bestimmungen über Streitbeilegung und Einrichtung des Rats
für den Dienstleistungshandel. Einseitige Handelssanktionen
sind unzulässig. Ausgleichsmaßnahmen dürfen im Fall
des Dienstleistungshandels allerdings nicht nur sektor
übergreifend vorgenommen werden, sondern auch auf den
Warenhandel übergreifen.
3.3.3.1.13 Struktur der EU-Verpflichtungen
Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben eine
gemeinsame Liste spezifischer Verpflichtungen (WTO 1994b). In diese
Liste sind die Beschränkungen bei Marktzugang und
Inländerbehandlung eingetragen. Die allgemeinen
Verpflichtungen erstrecken sich auf sämtliche Sektoren, die in
der Rubrik der spezifischen Verpflichtungen aufgelistet
sind.42
Bei horizontalen Verpflichtungen hat die EU
eingetragen, dass in EU-Mitgliedstaaten Dienstleistungen, die auf
nationaler oder örtlicher Ebene als öffentliche Aufgaben
betrachtet werden, staatlichen Monopolen oder ausschließlichen
Rechten privater Betreiber unterliegen können (WTO 1994b). Die
EU behält sich das Recht vor, den Marktzugang im Bereich
öffentlicher Aufgaben einzuschränken. Dies gilt
prinzipiell auch für nachgeordnete Gebietskörperschaften.
Bei der Subventionierung von Forschung und Entwicklung sind die
EU-Staaten keinerlei Verpflichtungen eingegangen, d.h. sie behalten
sich das Recht vor, staatliche Förderungen nicht auf
niedergelassene Anbieter aus Drittstaaten auszuweiten.
41 Der wissenschaftliche Input zu diesem entstammt dem
Gutachten von Fritz (2002).
42 Etwa die Meistbegünstigung, Transparenz,
verstärkte Beteiligung der Entwicklungsländer, Regionale
wirtschaftliche Integration, Abkommen über die Integration von
Arbeitsmärkten u. v. m.
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