4.7.2
Beschäftigungsrelevante Aspekte der europäischen
Steuerpolitik36, 37
4.7.2.1 Direkte
Beschäftigungswirkungen
Grundsätzlich dienen Steuern dazu,
öffentliche Leistungen zu finanzieren, die wiederum Wirtschaft
und Privat haushalten zugute
kommen. Beides ist im Zusammenhang zu sehen. Für die
belasteten Bürger und Unternehmen sind Steuern daher kein
reiner Kostenfaktor und auf einzelwirtschaftlicher Ebene gilt
zumindest bei längerfristigen Standortentscheidungen, dass
Investoren oder auch zuwandernde Arbeitnehmer grundsätzlich
bereit sind, höhere Steuern zu zahlen, wenn sie dafür ein
entsprechendes Angebot an öffentlichen Gütern erhalten
(Buchanan 1950). Steuerlicher und fiskalischer Wettbewerb zwischen
Regionen und Staaten kann zwar nach verbreiteter Meinung dazu
beitragen, dass der Staat sparsam wirtschaftet und bei seinem
Angebot an öffentlichen Leistungen die Präferenzen der
Bürger und Unternehmen optimal berücksichtigt. Auf der
anderen Seite sorgt der Steuerwettbewerb durch sinkende
Steuersätze auf den mobilen Produktionsfaktoren zunächst
einmal für eine Reduzierung der staatlichen Einnahmen. Ohne
eine Erhöhung der Staatsverschuldung müssten deshalb als
Folge des fiskalischen Steuerwettbewerbs die öffentlichen
Leistungen eingeschränkt werden, was insbesondere die
Lebensqualität derjenigen beeinträchtigt, die auf Grund
ihres geringen Einkommens auf ein funktionsfähiges Angebot an
staatlicher Leistungen angewiesen sind. Ein wichtiger Aspekt in
diesem Zusammenhang ist die kostenlose Bereitstellung von
öffentlichen Gütern durch den Staat. Öffentliche
Güter haben die Eigenschaft, dass man niemanden von ihrer
Nutzung ausschließen kann. Damit wird tendenziell
strategisches „Trittbrettfahrer“-Verhalten
ausgelöst – sowohl bei den Unternehmen und Bürgern,
als auch durch die einzelstaatlichen Steuer- und Finanzpolitiken,
wenn sie um florierende Unternehmen und leistungsstarke Bürger
konkurrieren. Auch wenn steuerlicher und fiskalischer Wettbewerb
als grundsätzlich sinnvoll erachtet wird, gefährdet ein
ausgeprägter Steuersenkungswettlauf langfristig das Angebot an
öffentlichen Leistungen, und damit auch die für die
Standortqualität wichtigen staatlichen Angebote im Bereich
wirtschaftsnaher Infrastruktur, die allgemeine und berufliche
Bildung, die technologische Leistungsfähigkeit und
längerfristig auch die soziale und politische Stabilität.
Eine schlechte Standortqualität hätte jedoch unmittelbar
negative Beschäftigungswirkungen.
Die genaue Definition, welcher
Steuerwettbewerb „ruinös“ und welcher
„grundsätzlich sinnvoll“ ist, konnte seitens der
geladenen Experten nicht geklärt werden (vgl. auch Tanzi
1995, 1998b, OECD 1998). Dieser
theoretische Kenntnisstand rechtfertigt jedenfalls keine
politischen Handlungsempfehlungen in Richtung eines noch
größeren Steuerwettbewerbs. Die empirische Tatsache, dass
sich die Struktur des Steueraufkommens kontinuierlich zu
Gunsten der mobilen Produktionsfaktoren verschiebt, spricht eher
für einen politischen Handlungsbedarf in Richtung
internationaler Steuerharmonisierung, damit die Steuergerechtigkeit
innerhalb der Gesellschaft nicht weiter erodiert.
Weitere direkte Beschäftigungswirkungen
von Steuermaßnahmen sind nur sehr begrenzt festzustellen. Bei
Standortentscheidungen steht zumeist die Erschließung von
Marktpotenzialen der Zielländer im Vordergrund. Die konkreten
Produktionskosten im Ausland weisen insgesamt eine geringere
Bedeutung auf. Auch innerhalb der Kosten werden die Lohnkosten
höher gewichtet als die Besteuerung. Zugleich legen die
Investoren ebenso großen Wert auf
produktivitätssteigernde Standortfaktoren wie
Infrastrukturausstattung, Humankapital, FuE-Umfeld etc. Wichtig
erscheinen nicht zuletzt die Infrastrukturangebote in den Bereichen
Gesundheitsversorgung, Bildung und Kultur – etwa wenn es
darum geht, spezialisierte Arbeitskräfte zum Wohnortwechsel zu
bewegen. Auch hierbei zeigt sich, dass Steuerlasten und
öffentliche Leistungen tendenziell im Zusammenhang zu sehen
sind. Beschäftigungseffekte können jedoch politisch
initiiert sein, wenn mehr oder weniger gezielt
Steuervergünstigungen zur Wirtschaftsförderung eingesetzt
werden. Dies geschieht offen im Rahmen der regionalen
Gebietsförderung.
Bei „Standortentscheidungen“ von
Arbeitnehmern bzw. privaten Haushalten spielt die Besteuerung
allenfalls bei hochspezialisierten und gutverdienenden
Fachkräften eine gewisse Rolle. Manche Einkommensteuersysteme
gewähren vor diesem Hintergrund Nachlässe bei der
Besteuerung von ausländischen Arbeitnehmern, die aufgrund
ihrer Fachkenntnisse ins Land geholt werden. Gesamtwirtschaftlich
fallen diese Aspekte bisher kaum ins Gewicht, im Zuge der
demografischen Alterung und der damit verbundenen Engpässe auf
bestimmten Arbeitsmarktsegmenten könnten sie aber künftig
eine größere Rolle spielen (Bach 2002: 7, 20f.).
36 Dieses Kapitel basiertauf auf einem Gutachten von
Bach (2002).
37 Vgl. hierzu auch das abweichende Minderheitenvotum
von der PDSFraktion in Kapitel
11.3.5.
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