6.1.2
Feministische Ökonomie
Ökonomische Theorien und Statistiken
sind größtenteil „gender-blind“. So werden
beispielsweise die Beiträge der Frauen zur Wirtschaft
systematisch unterschätzt: Der ausgedehnte Bereich unbezahlter
Versorgungswirtschaft, in dem Frauen einen großen Teil der
Arbeit übernehmen, um die soziale Kohäsion und
mitmenschliche Verantwortung aufrechtzuerhalten, wird nicht
sichtbar. Das heißt, dass der wirkliche Produktionsprozess vom
Leben, also alles, was notwendig ist, um Tag für Tag die
Subsistenz zu sichern, nicht als Leistung innerhalb einer
Volkswirtschaft wahrgenommen wird. Diese vorwiegend häusliche
und mütterliche Arbeit, die meistens von Frauen geleistet wird
und der Gesellschaft kostenlos zugute kommt, erfährt weder
eine breite gesellschaftliche Schätzung noch angemessene
Beachtung innerhalb der Sphären der Wirtschaft und
Wissenschaft.
Die Integration der Versorgungswirtschaft in
das makro ökonomische Denken setzt eine Analyse der
nationalen Produktionskreisläufe voraus. Es zeigt sich, dass
der na tionale Output das
Resultat einer Interaktion von vier Wirtschaftsbereichen ist. Dabei
handelt es sich erstens um die Warenwirtschaft des Privatsektors,
die aus einem formalen Sektor und einem expandierenden informellen
Sektor besteht. Der zweite Bereich umfasst die staatliche
Dienstleistungsökonomie. Drittens werden in der sogenannten
„care economy“ familien- und gemeinwesenorientierte
Güter erzeugt. Schließlich bezieht sich der vierte Sektor
auf ehrenamtliche Tätigkeiten, der sowohl bezahlte als auch
unbezahlte Tätigkeiten beinhaltet (insbesonders in dem neuen
Bereich von Nichtregierungsorganisationen).
Dieser Kreislauf von formaler und informeller
privatwirtschaftlicher Warenproduktion bis hin zu den neuen
ehrenamtlichen Tätigkeiten in Nichtregierungsorganisationen
erzeugt den Gesamtreichtum einer Gesellschaft. Der Großteil
der konventionellen makroökonomischen Theorien und Modelle
ignoriert sowohl den Sektor der unbezahlten Hausarbeit als auch den
NGO-Bereich. Ferner ist die weit verbreitete Annahme problematisch,
dass nur die private Warenwirtschaft Wohlstand schafft,
während die staatliche Dienstleistungsökonomie und die
Versorgungswirtschaft der Haushalte und Gemeinwesen vor allem
konsumieren, was in der privaten Warenwirtschaft produziert worden
ist. Insgesamt läßt sich feststellen, dass die
Ökonomie sich vor allem auf die Zirkulation der Waren- und
Geldwirtschaft auf dem Markt bezieht (UNIFEM 2000, Bakker und Elson
1998). Diese verengte Perspektive erklärt auch, dass in der
derzeitigen Diskussion um den Umbau des Sozialsystems die
Verlagerung der Familienarbeit in die Privatsphäre mit dem
Leitbild einer geschlechtsspezifischen Trennung von
Arbeitssphären verknüpft ist (Goldmann 2002).
Die feministische Ökonomik hat sich im
vergangenen Jahrzehnt als Forschungszweig auffällig rasch
entwickelt. In ihrer Kürze werden die in diesem Kapitel
dargestelltenZusammenhänge der feministischen Ökonomie
nicht gerecht, bei der es sich – trotz des pauschalierenden
Begriffs – um sehr unterschiedliche Ansätze in den
verschiedenen ökonomischen Denkrichtungen handelt. Zwar zielen
sie letztlich alle darauf, die Situation der Frau in der
Gesellschaft zu verbessern und ihre spezifische Situation in der
ökonomischen Theorie zur Geltung zu bringen. Unterschiede
bestehen jedoch bezüglich der Frage, mit welchen theoretischen
Ansätzen und Methoden bzw. welchen politischen Forderungen dieses Ziel bestmöglich
erreicht werden kann.4
4 Vgl. hierzu beispielsweise Bakker 1994, 2002, Elson
1995, Elson und Cagatay 2000, Grown, Elson und Cagatay 2000,
Peterson und Lewis 1999, Jennings und Waller 1990; Hoppe 2002,
Kuiper 1995, Nelson 1996, Ott 1992, Seiz 1995, Sen 1990, Young
2002.
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