6.1.1
Geschlechtsspezifische Problemlage3
Zur
Veranschaulichung von geschlechtsspezifischen Ungleichheiten
können die beiden im UN-System akzeptierten
Geschlechterindizes, die das Entwicklungsprogramm der Vereinten
Nationen (UNDP) zur Messung der geschlechtsbezogenen Entwicklung
von den allgemeinen Entwicklungsindizes ableitet, herangezogen
werden. Dabei handelt es sich um den Gender Development Index (GDI)
und das Gender Empowerment Measure (GEM).
Der GDI beruht auf den
gleichen Messgrößen wie der allgemeine Index menschlicher
Entwicklung (HDI). Im Gegensatz zum Gini-Koeffizienten ist der im
Jahre 1990 von der UNDP eingeführte HDI ein zusammengesetzter
Index, der die durchschnittlichen Errungenschaften eines Landes
nicht nur in Bezug auf das Einkommen, sondern darüber hinaus
auch in den beiden grundlegenden Bereichen menschlicher
Entwicklung, Gesundheit und Wissen, erfasst. Aus dem HDI-Wert eines
Landes geht hervor, in welchem Maße die drei vorgegebenen
Ziele – eine hohe durchschnittliche Lebenserwartung, einem
Zugang zu Bildung für alle und einem angemessenen
Lebensstandard – erreicht wurden. Gemessen wird der
Gesundheitszustand also anhand der Lebenserwartung, die
Bildungschancen anhand der Analphabetismusrate und den
Einschulungsquoten in allen Schulstufen sowie der Lebensstandard
anhand des im Hinblick auf die Kaufkraftparität bereinigte
Pro-Kopf-Einkommens. Der GDI differenziert diese Werte
geschlechtsspezifisch (s. UNDP 1995: 72ff., UNDP 2000d: 23). Je
größer die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind,
umso niedriger fällt der GDI-Wert aus. Generell lassen sich
aus der Analyse der GDI-Entwicklung folgende Schlussfolgerungen
ziehen:
– In allen Ländern der Welt liegt der
GDI deutlich unter dem HDI, d. h. in keiner Gesellschaft der Welt
haben Frauen die gleichen Chancen auf ein „gutes Leben“
wie Männer. In vielen Ländern erleben Frauen die
prekäre Situation erheblicher Benachteiligung gegenüber
Männern vor dem Hintergrund ohnehin niedriger Gesamtergebnisse
bei der menschlichen Entwicklung. Nach dem Bericht über die
menschliche Entwicklung weisen 33 von 146 Ländern einen
GDI-Wert von unter 0,500, d.h. von weniger als der Hälfte des
sehr niedrigen HDI-Wertes dieser Länder auf (UNDP 2001:
242ff.).
– Die Gleichstellung der Geschlechter kommt
in den letzten Jahren nur zögerlich voran. Nur 43 von
146Ländern weisen 2001 einen GDI-Wert von mehr als 0,800 auf.
Während für die Zeit vor der
Weltfrauenkonferenz
von 1995 im Weltdurchschnitt ein merklicher Anstieg des GDI zu
verzeichnen war, ist seitdem trotz der Selbstverpflichtung der
Staatengemeinschaft auf zahlreiche Maßnahmen zur Verbesserung
der Lebenssituation von Frauen in der Aktionsplattform von Peking
eine Stagnation bzw. ein leichter Rückgang der Werte
festzustellen (s.
Abbildung 6-1,vgl. auch Ruppert 2001).
– Geschlechtsspezifische Disparitäten
stehen häufig in Zusammenhang mit menschlicher Armut. Seit
Jahren weisen Länder wie Sierra Leone, Niger und Burkina Faso,
die beim GDI am niedrigsten eingestuft werden, auch beim Human
Poverty Index (HPI) die niedrigsten Werte auf.
– Gleichwohl lässt sich mehr
Gleichberechtigung grundsätzlich auch bei niedrigem
Pro-Kopf-Einkommen und geringen HDI-Werten erreichen. Deutlich wird
dies z. B. daran, dass etliche Länder im mittleren Bereich des
HDI-Rankings, wie Sri Lanka oder die Republik Moldawien, ebenso wie
einige Länder im unteren Bereich des HDI-Ranking, wie Haiti
oder Tansania, deutlich bessere Positionen im GDI-Ranking
aufweisen.
Noch plastischer als mit dem
GDI wird das Ausmaß der Geschlechterungleichheit über den
zweiten geschlechtsspezifischen Index GEM. Im Unterschied zum
gewissermaßen rudimentären, die Grundlagen menschlicher
Entwicklung bemessende GDI erfasst das Gender Empowerment Measure
bestimmte Aspekte der Geschlechterverhältnisse in Wirtschaft
und Politik. Als Kennzahl wird dabei der Anteil von Frauen in der
Legislative, in den Führungsebenen der Wirtschaft, von
Facharbeiterinnen und der Anteil von Frauen am nationalen
Privateinkommen herangezogen. Der Vergleich von GDI und GEM zeigt,
dass die Partizipationsmöglichkeiten von Frauen am
öffentlichen Leben weltweit noch wesentlich geringer ausfallen
als ihre Chancen auf Gesundheit, Einkommen und Bildung (s.
Abbildung 6-2,vgl. auch Ruppert 2001).
3 Dieses Kapitel basiertauf einem Gutachten von Ruppert
(2002).
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