7.2
Ernährung und Landwirtschaft
7.2.1
Einleitung
Die Ernährungs- und
Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) definiert
Ernährungssicherheit als „eine Situation, die eintritt,
wenn alle Menschen jederzeit physischen, sozialen und
wirtschaftlichen Zugang zu ausreichenden, sicheren und
nährstoffreichen Nahrungsmittel haben, die ihren
Nährstoffbedarf decken und ein aktives und gesundes Leben
ermöglichen“ (CIDSE u. a. 2002). Das Nahrungsangebot
muss in Menge und Qualität verfügbar und die
Stabilität der Versorgung gewährleistet sein. Der
Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften Amartya
Sen nennt als Schlüssel zur Verwirklichung von
Ernährungssicherheit die substantielle Freiheit des Einzelnen
und der Familie, sich ausreichend Nahrung zu verschaffen. Entweder
die Menschen sind in der Lage, ihre Nahrung selbst zu produzieren,
oder sie müssen über die entsprechenden Mittel
verfügen, sie auf dem Markt käuflich zu erwerben. Das
heißt, dass Menschen dann Hunger leiden, wenn sie ihr
Zugangsrecht auf eine angemessene Nahrungsmenge nicht wirksam
machen können (Sen 2002: 197ff.). Die
Weltnahrungsmittelproduktion pro Kopf ist nicht
zurückgegangen. Die größten Wachstumsraten der
Pro-Kopf-Produktion verzeichneten dichter besiedelte Regionen der
Dritten Welt, und zwar in China, Indien und in Asien insgesamt.
Einzig in Afrika, und dort insbesondere in der Sahelzone, ist die
Nahrungsmittelproduktion pro Kopf gesunken (Sen 2002: 248ff.).
Trotz dieser weltweit durchschnittlich ausreichenden Menge an
Nahrungsnitteln sind 826 Millionen Menschen von Hunger und
Unterernährung betroffen, davon 792 Millionen in
Entwicklungsländern und 34 Millionen in Ost- und Mitteleuropa
(s. 7-7), und eine weitere Milliarde von Menschen ist ständig
dem Risiko von Ernährungsproblemen ausgesetzt (von Braun:
2002: 1).
Die Ursachen sind vielschichtig und
hängen zusammen mit Politikversagen, der Armutsproblematik,
den natürlichen Umweltbedingungen und der
Bevölkerungsentwicklung (s.
Abbildung 7-8).Das heißt Unterernährung ist nicht nur
ein Problem der in einer Region, einem Land oder auch weltweit
absolut produzierten Nahrungsmittelmenge. Vielmehr ist die Frage,
inwieweit der Bevölkerung der Zugang zu Nahrung
ermöglicht wird.. Diese Zugangsrechte sind abhängig von
der Grundausstattung mit produktiven Ressourcen und
marktfähigen Gütern, von den individuellen
Produktionsmöglichkeiten, die wiederum eine Funktion der
verfügbaren Technologie und des Wissens- und
Ausbildungsniveaus sind, und funktionierender landwirtschaftlicher
und außerlandwirtschaftlicher Produkt- und Faktormärkte
(lokal, regional, global). Hinzu kommt die grundlegende Bedeutung
der Verwirklichung politischer, wirtschaftlicher und sozialer
Freiheitsrechte als notwendige Voraussetzung einer dauerhaften
Befriedigung ökonomischer Bedürfnisse.
Die Globalisierungsprozesse wirken sich
massiv auf alle den Gesamtkomplex menschlicher Ernährung
betreffende Faktoren aus. „Globalisierung meint das
erfahrbare Grenzenloswerden alltäglichen Handelns in ...
verschiedenen Dimensionen ..., und damit im Grunde genommen etwas
zugleich Vertrautes und Unbegriffenes, schwer Begreifbares, das
aber mit erfahrbarer Gewalt den Alltag elementar verändert und
alle zu Anpassungen und Antworten zwingt“ (Beck 1999: 44).
Diese Veränderungen betreffen insbesondere auch die
Ressourcen, die zur Ernährungssicherheit eingesetzt werden,
ihre Verfügbarkeit, ihre Nutzungsmöglichkeiten und ihre
Nutzungsintensität. Landwirtschaftliche Produktion,
Lebensmittelvertrieb und -verteilung sowie ländliche
Entwicklung stehen dabei naturgemäß im Mittelpunkt,
wenngleich keinesfalls vergessen werden darf, dass die Ursachen von
Unterernährung und Hunger immer auch außerhalb des
agrarischen Bereichs zu suchen sind. Obwohl die Auswirkungen der
Globalisierung auf landwirtschaftliche Entwicklungen und
Ernährungssicherheit bislang kaum quantifizierbar sind und die
Meinungen hier weit auseinandergehen, stellt sie dennoch eine
relevante Größe dar. Zu beachten sind in diesem
Zusammenhang die Auswirkungen der Handelsliberalisierung, von
Strukturanpassungsprogrammen, Konzentrationsprozesse
multinationaler Konzerne im Agrar sektor sowie von
Finanzkrisen, etwa der Asienkrise.
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