7.2.2 Ausgewählte
Teilaspekte
Die Dimension globaler
Ernährungssicherheit erfordert insbesondere in den folgenden
Bereichen Anpassungen und Antworten:
7.2.2.1 Grundausstattung mit
produktiven Ressourcen
Der Zugang zu
produktiven Ressourcen ist weltweit, aber auch innerhalb der
Entwicklungsländer, ungleich verteilt. Oftmals ist die eigene
Arbeitskraft die einzige Ressource, die den Menschen zur
Verfügung steht. Bedingt durch infrastrukturelle Mängel
in ländlichen Räumen und einer auf den Weltmarkt
ausgerichteten Modernisierung der Landwirtschaft, die auf
Substitution von Arbeit durch Kapital setzt, entsteht gerade dort
Massen-Arbeitslosigkeit, wo laut International Fund for
Agricultural Development (IFAD) 75 Prozent der Armen leben:
nämlich in ländlichen Gebieten (IFAD 2001). Deshalb
„kann die Bedeutung der menschlichen Arbeit bei der
Lösung des Hungerproblems nicht genug unterstrichen
werden“ (Woytila: 2001).
Der
Strukturwandel in der Landwirtschaft ist weltweit von großen
Produktivitätsunterschieden geprägt, deren Ursachen
vorwiegend in den unterschiedlichen Betriebsgrößen zu
finden sind. Auf den größeren Betrieben und
Betriebseinheiten wird durch eine intensive Nutzung aller
technischen Möglichkeiten eine Optimierung der Gewinne
angestrebt. Negative Konsequenzen für die Qualität der
produzierten Nahrungsmittel, das ökologische Gleichgewicht und
die Zerstörung der natürlichen Ressourcen sind
häufig die Folge. Die Bedeutung von Familienbetrieben geht
zurück, wenngleich in Afrika und Asien weiterhin
kleinbäuerliche Strukturen vorherrschen. Dennoch kommt dem
Agrobusiness eine immer größere Bedeutung zu. Vielerorts
– v.a. in Lateinamerika – herrscht der
großflächige Landbesitz mit markt- bzw.
weltmarktorientierter Ausrichtung vor, der teilweise zudem
staatlich gefördert wird. Charakteristisch ist dabei eine
starke Konzentration auf Monokulturen und damit der Verlust von
Agrobiodiversität sowie die Zerstörung von
multifunktional bedeutsamen Kulturlandschaften.
Im Zuge des
Strukturwandels verliert in Entwicklungs- und Schwellenländern
der Faktor menschliche Arbeit als wichtige umweltschonende
Ressource immer mehr an Bedeutung. Die damit verbundene soziale
Ausgrenzung mit einer Abdrängung in Arbeitslosigkeit und
Marginalität führt zu Überlebensstrategien, die
einen rücksichtslosen Umgang mit natürlichen Ressourcen
zur Folge haben: Raubbau bei in der Natur vorhandenen, der
Ernährung dienenden Gewächsen, Abholzung,
Übernutzung und Verschmutzung von Gewässern etc.. Ein
Abdrängen in Schattenwirtschaft, Subsistenzwirtschaft und
Landflucht sind die Folgen.
Der fehlende
Zugang von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern zu den produktiven
Ressourcen (Land, Kredite, Betriebsmittel und Agrarberatung bzw.
-vermarktung) stellt
ein großes Entwicklungshemmnis in vielen Ländern dar.
Innerhalb der Gesellschaften sind wiederum die Frauen, die z. B. in
Afrika 70 bis 90 Prozent der Arbeitskräfte in der
Landwirtschaft stellen, am stärksten betroffen. Ihre
wirtschaftlichen Potenziale sind durch zahlreiche rechtliche,
agrarpolitische und soziokulturelle Hindernisse
beschränkt.9 Hierzu
zählen Schwierigkeiten beim Landzugang, Beeinträchtigung
im Erbrecht und die in der Entwicklungsplanung sich hartnäckig
haltende Vorstellung von kleinbäuerlichen Familienbetrieben
unter männlicher Leitung (Schäfer 2002: 31).10 Die extreme Ungleichverteilung
von Landbesitz kann verhindern, dass Menschen ihre
Grundnahrungsmittel selbst anbauen können. Insoweit ist
dafür Sorge zu tragen, dass Art. 11 des Internationalen Paktes
über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in der Praxis effektive Bedeutung
erlangen kann.11
Konsequente
Agrar- und Landreformen sind Grundvo raussetzungen für
die Entfaltung von sozialem und ökonomischem Fortschritt.
Leider sind viele Agrarreformansätze in ihren Anfängen
stecken geblieben. Notwendige Maßnahmen zur Umstrukturierung
stoßen oft auf die Ablehnung der wirtschaftlich mächtigen
Gesellschaftsschichten und die Umsetzung weist Mängel auf. So
wurden z. B. bei Umsiedlungsaktionen die jeweiligen kulturellen und
politischen Differenzen nicht berücksichtigt (Beispiel:
Indonesien) und/oder für Neuansiedlungen qualitativ
minderwertige Böden für den Anbau bzw. kaum Mittel
für den Aufbau von Infrastrukturen zur Verfügung gestellt
(z. B. Südliches Afrika). Das führte schnell zur
Übernutzung der Ackerböden und Weideflächen.
Die Weltbank
ignorierte jahrzehntelang das Thema der ungerechten Landverteilung
und die Notwendigkeit einer umfassenden Agrarreform in zahlreichen
Ländern des Südens. Aufgrund der starken Kritik an ihrer
Strukturanpassungspolitik änderte die Weltbank Mitte der
neunziger Jahre ihren Kurs und stellte Programme zur
Bekämpfung der Armut in den Vordergrund. Propagiert wird das
Modell einer „marktorientierten Agrarreform“ als
Alternative, die wirksamer und weniger konfliktreich als die
traditionelle Agrarreformpolitik sei. Die Idee ist einfach: Bauern
kaufen mit Hilfe von bereitgestellten Krediten Land von
verkaufswilligen Landbesitzern. Diese Offensive eröffnet
einerseits Chancen, beinhaltet jedoch andererseits auch große
Gefahren. Beispielsweise waren brasilianische Kleinbauern, die
Ländereien über Kredite aus dem Projekt gekauft haben,
schon nach kurzer Zeit nicht mehr in der Lage, Zins und Tilgung zu
bezahlen. Da die Nachfrage häufig das Angebot übersteigt,
steigen die Bodenpreise und es werden ähnliche Entwicklungen
z. B. auf den Philippinen und in Honduras erwartet. Das
größte Problem des „marktorientierten
Ansatzes“ der Weltbank ist, dass sie die existierenden
Agrarreformprogramme ersetzen will statt sie sinnvoll zu
ergänzen.
Eine wachsende
Bedrohung für die Welternährung stellt die zunehmende
Überfischung der Gewässer dar, womit die
Verfügbarkeit und der Zugang zu einer wichtigen Proteinquelle
eingeschränkt wird. Der Einsatz immer effektiverer
Kühltechnik und größerer Schiffe verbunden mit einem
immer höheren Energieeinsatz für Fangtechniken, haben
diesen Trend gefördert. Angesichts der Tatsache, dass in
Entwicklungsländern 300 bis 500 Millionen Menschen in ihrer
wirtschaftlichen Existenz direkt oder indirekt von der
Fischereiwirtschaft abhängig sind, wird die Bedrohlichkeit
dieser Entwicklung deutlich (Entwicklung + Ländlicher Raum
1/2001: 35). Nach Schätzung der FAO ist angesichts der
demographischen Entwicklung eine zusätzliche Produktion von
110 bis 120 Millionen Tonnen Fisch erforderlich, um das
gegenwärtige Versorgungsniveau zu halten (Entwicklung +
Ländlicher Raum 1/2001: 35). Dem gegenüber steht die
Tatsache, dass schon heute ca. 75 Prozent aller Fischbestände
erschöpft oder überfischt sind (FAO 2000b). Eine
nachhaltige internationale Fischereipolitik sollte dieser
Entwicklung Rechnung tragen.
Die Ressource Umwelt ist durch die
landwirtschaftliche Produktion, aber auch durch andere
Einflüsse erheblich betroffen. Die Themenbereiche biologische
Vielfalt und Wasser sind ausführlich in den Kapiteln 7.3 und
7.5 behandelt.
9 „Afrika gilt mittlerweile als ein Kontinent,
dessen landwirtschaftliche Produktion und Ernährungssicherung
in Frauenhand liegt, denn über 90 Prozent der
Grundnahrungsmittel und über 30 Prozent der Marktfrüchte
werden von Frauen produziert“ (Schäfer 2002:
31).
10 „Obwohl seit einigen Jahrzehnten immer mehr
Haushalte von Frauen geführt werden, bilden diese nur selten
die Zielgruppe von Projekten“ (Schäfer 2002:
31).
11 Art. 11 Absatz 1 Satz 1 des Internationalen Paktes
über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte lautet:
„Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf einen
angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie an,
einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und
Unterbringung, sowie auf eine stetige Verbesserung der
Lebensbedingungen.“
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