7.5.3
Chancen und Grenzen marktwirt-schaftlicher Instrumente zur
Umsetzung des Rechts auf Wasser
7.5.3.1 Grundlagen
Bereits im
Zwischenbericht ist die Enquete-Kommission der Frage nachgegangen,
wie Wasser zum Wohle der einzelnen Nutzerinnen und Nutzer und
gleichzeitig im Interesse des Gemeinwohls zu bewirtschaften ist.
Dabei wurde auch erörtert, welche ökonomischen
Instrumente zur Sicherstellung des Rechts auf Wasser geeignet
erscheinen und welche Rahmenbedingungen dabei beachtet werden
sollten. Angesichts der vorangeschrittenen Liberalisierung der
Energieversorgung, der Telekommunikation und zum Teil auch der
Verkehrsnetze sowie der geplanten Entwicklungen beispielsweise im
Dienstleistungssektor im Rahmen der GATS-Verhandlungen der
Welthandelsorganisation (WTO) wird von vielen Verantwortlichen mit
ähnlichen Argumenten auch ein stärkeres
privatwirtschaftliches Engagement in der Wasserwirtschaft
gefordert. Dem wird entgegengehalten, dass Wasser kein Gut wie
jedes andere sei. Von der sorgfältigen Prüfung jedes
privaten Engagements bis zur strikten Ablehnung der Privatisierung
in diesem Sektor reichen die Positionen. Zur Erreichung der
hochgesteckten Ziele bis 2015 (s. 7.5.1) ist eine umfassende Reform
des Wassersektors in Entwicklungsländern dringende
Voraussetzung. Eine stärkere Beteiligung des Privatsektors
findet schon aus Finanzierungsgründen statt, auch wenn sie
kein Allheilmittel sein kann.
Öffentliche Wasserversorgung ist der
Normalfall
Bis heute wird die Wasserversorgung und
Abwasserentsorgung weltweit in der Regel von öffentlichen
Unternehmen durchgeführt. Privatisierung und
Public-Private-Partnership (PPP) stellen eher die Ausnahme dar.
Selbst in den Städten werden gegenwärtig weniger als 10
Prozent der Bevölkerung von privaten Unternehmen versorgt.
Abbildung 7-16 zeigt die Situation in Europa. Lediglich in
Großbritannien und Frankreich beziehen mehr Menschen ihr
Trinkwasser von privaten Unternehmen. Auch in den USA ist die
große Mehrheit der über 4000 Wasserbetriebe in kommunaler
Hand (Schiffler 2001: 7). Ähnlich stellt sich die Situation in
Kanada, Japan, Australien und Neuseeland dar (Hall 2001: 7).
In Lateinamerika, Osteuropa, Afrika und Asien
betrug der Privatisierungsgrad 1997 weniger als 5 Prozent (Hall
1999a: 11). 42 Prozent der weltweiten privaten Wasserversorgungs-
und Abwasserentsorgungs-Projekte sind jedoch in Lateinamerika
realisiert und 31 Prozent entfallen auf Ostasien und den
Pazifik.
Der Privatisierungsanteil steigt
Es ist davon
auszugehen, dass der Privatisierungsanteil weltweit steigen wird.
Vivendi, das größte Wasserunternehmen weltweit, rechnet
für 2010 mit einem privaten Marktanteil von 60 Prozent in
Lateinamerika, von bis zu 35Prozent in Westeuropa und Afrika und
lediglich ca. 20Prozent in Nordamerika und Asien (Hall 1999a: 11).
Auch wenn diese Zahlen mit einiger Vorsicht zu betrachten sind, da
sie Interessen der Wasserkonzerne berücksichtigen, so gibt z.
B. allein die Umsatzsteigerung von Vivendi Water, dem
weltgrößten Wasserversorgungsunternehmen, in den letzten
Jahren einen Hinweis darauf, wie dynamisch sich dieser Markt
entwickelt. Vivendi Water erreichte mit einem Umsatz von 14
Milliarden Euro im Jahr 2001 eine Steigerung von 50Prozent
gegenüber 1998.
Verschiedene Formen der Beteiligung des Privatsektors
Da häufig
Missverständnisse im Zusammenhang mit dem Begriff der
„Privatisierung“ auftreten, soll im Folgenden ein
kurzer Überblick über die verschiedenen Formen der
Beteiligung der Privatwirtschaft bei der Wasserversorgung und
Abwasserentsorgung gegeben werden.82 Die vollständige Privatisierung von
staatlichen Unternehmen ist im Wassersektor eher die Ausnahme.
Meistens kommen weniger umfassende Formen der privaten Beteiligung
wie beispielsweise Management-Verträge, Leasing-Verträge
und Konzessionen zum Einsatz.
„Im Rahmen
von Management-Verträgen verbleiben das Eigentum an den
Anlagen und die Einnahmen aus Wassergebühren bei der
öffentlichen Hand. Dem privaten Betreiber werden lediglich
bestimmte Aspekte des Betriebs und der Wartung des Systems für
einen begrenzten Zeitraum (meist 4–5 Jahre) übertragen.
Die Bezahlung des Betreibers wird von der Erreichung der gesetzten
Ziele abhängig gemacht. Etwas weiter gehen
Leasing-Verträge, bei denen der Betreiber über
einen längeren Zeitraum (meist 8–10 Jahre) einen
bestimmten Anteil der Betriebskosten trägt und einen Teil der
Einnahmen erhält, so dass er stärker am betrieblichen
Erfolg und Risiko betei- ligt wird. Konzessionen gehen noch
einen Schritt weiter. In ihrem Rahmen muss der Betreiber
umfangreiche In vestitionen finanzieren, wofür ihm die
gesamten Gebühreneinnahmen für einen längeren
Zeitraum (meist 25–30Jahre) zugestanden werden. Eine
besondere Form der Konzession für einzelne Anlagen sind
Build-Operate-Transfer (BOT)-Projekte. In einem BOT-Projekt steht
der Betreiber in keinem direkten Kontakt mit den Endverbrauchern,
sondern er schließt einen Vertrag mit einem städtischen
Wasserunternehmen ab, dem gegen Bezahlung von Gebühren Wasser
in großen Mengen geliefert oder Abwasser abgenommen
wird“ (Schiffler 2001: 7).
Tabelle 7-3 gibt einen Übersicht über die
verschiedenen Vertragstypen im Wasser- und Abwassersektor und 7-17
illustriert das jeweilige Ausmaß der Privatisierung.
Die
Abbildung 7-18 zeigt die Art der abgeschlossenen Verträge
mit privaten Unternehmen im Rahmen von Public-Private-Partnership
(PPP)-Projekten in Ländern mit mittlerem und niedrigem
Einkommen Ende der 90er Jahre.
Preisgestaltung
Wasser ist ein
unersetzbares Lebensmittel und deshalb ein öffentliches Gut,
das jedem Menschen im notwendigen Maße zur Verfügung
stehen muss. Die Bereitstellung bleibt im originären
Aufgabenbereich der öffentlichen Daseinsvorsorge, selbst wenn
einzelne Elemente der Bereitstellung privatisiert werden. Im
Gegensatz zu einem Unternehmen, das sich aus Verlustbereichen
zurückziehen kann, kann oder sollte dies ein funktionierender
Staat bei der existenziellen Versorgung seiner Bevölkerung
nicht. Auch wenn Wasser ein öffentliches Gut ist, hat die
Produktion von sauberem Trinkwasser einen hohen Preis. Zu
klären ist, wer ihn zu bezahlen hat.
Bei der Forderung
nach Umsetzung des Prinzips der Kos tendeckung gehen viele
Umweltschützer und Wasserindus trie, gestützt durch
IWF und Weltbank Hand in Hand. Erstere sehen darin ein
Lenkungsmittel zur Senkung des Wasserverbrauches, letzere
darüber hinaus eine Absicherung ihrer Rentabilität. Dabei
bestehen jedoch insbesondere zwei Probleme: Eine tatsächliche
Kostendeckung müsste nicht nur die Betriebskosten, sondern
auch die Bereitstellung des Wassers, die Sicherung der
Wassereinzugsgebiete und weitere Umweltkosten abdecken. Aber dann
kann das Wasser für die Normalbevölkerung in
Entwicklungsländern unbezahlbar werden. Das heißt, die
Wasserversorgung müsste dann über einen Sozialetat
o.ä. subventioniert werden. Zum anderen wäre die
Zusicherung von Kostendeckung in einem monopolisierten Bereich
– ob es nun ein staatliches oder ein privates Monopol ist
– ohne eine funktionierende Aufsicht der Freibrief für
Ineffizienz, Korruption und Fehlinvestitionen. Hier spräche
die Kos tendeckung eher gegen eine Privatisierung des
Monopols, denn
während es dem privaten Unternehmen egal ist, ob die
kostendeckenden Preise auf anderem Wege wieder vom Staat
subventioniert werden, gibt es für den staatlichen Betreiber
zumindest theoretisch einen größeren Anreiz zur
Kostenminimierung, weil an anderer Stelle die Preissubventionen
eingespart werden können.
Partizipation
In der
Vergangenheit wurde im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit
häufiger die Erfahrung gemacht, dass der Aufbau einer
nachhaltigen Wasserversorgung nur dann richtig funktionieren kann,
wenn die Nutzerinnen und Nutzer in die Planungs- und
Entscheidungsprozesse involviert werden. So können z. B.
solche Ansätze scheitern, die auf die Versorgung von
Trinkwasser für Menschen abzielen, wenn sie innerhalb von
nomadischen Gesellschaften angewendet werden, in denen unter
Umständen das Wasser für das Vieh als wichtiger empfunden
wird als das für den Menschen. Folgerichtig verlangt
inzwischen auch die Weltbank Partizipation. Die von der Weltbank
zur Umsetzung des PRSP-Prozesses erstellten JSA-Richtlinien83 legen entsprechende
Grundkriterien für die Partizipation der Zivilgesellschaft
dar. Dazu gehören Standards für die Transparenz der
Abläufe in den Regierungen und Parlamenten, Kriterien für
die Zivilgesellschaft einschließlich Frauengruppen, ethnischen
Minderheiten, des privaten Sektors sowie die Einbeziehung
bilateraler und multilateraler Entwicklungspartner. Im
PRSP-Sourcebook der Weltbank (Weltbank 2002c) werden praktische
Ratschläge für die Umsetzung dieser Partizipation
erörtert.
Eine
Förderung der Einbindung der Öffentlichkeit beginnt bei
der Information. Aus diesem Grunde enthält das Protokoll
über Wasser und Gesundheit der Konvention zum Schutz
und zur Nutzung grenzüberschreitender Wasserläufe und
internationaler Seen als ein wichtiges Element sehr weitgehende
Informationspflichten.84
In der neuen deutschen Trinkwasserverordnung85 von 2001 finden sich z. B. Vorschriften
über die Information der Öffentlichkeit durch die
Unternehmen und sonstige Betreiber. Erstmals
verpflichten sich die Wasserversorger verbindlich, über die
Qualität des Wassers und geeignete Materialien für
Leitungen zu informieren. Defizite gibt es in Deutschland und
anderenorts hinsichtlich der Informationen über „das
Zustandekommen von Wasserpreisen, Zielvorstellungen der
Unternehmen, anstehende Entscheidungen und in deren Rahmen
bestehende Mitwirkungsmöglichkeiten“ (UBA 2001b:
183).
Der private Wassermarkt
Mit derzeit über 100 Millionen
versorgten Menschen stehen weltweit die beiden französischen
Konzerne Vivendi und Suez-Lyonnaise des Eaux an der Spitze der
privaten Anbieter. RWE/Thames Water folgt mit 35 Millionen
Verbraucherinnen und Verbrauchern (Peck: 7). Einen Über
blick über die weltgrößten Wasser-Unternehmen gibt
Tabelle 7-4.
Abbildung 7-19 zeigt die Regionen, in denen sie
hauptsächlich aktiv sind. Der Umsatz privater Anbieter wird
nach Schätzungen von RWE von 90 Milliarden Euro 1999 auf
430Milliarden Euro im Jahr 2010 steigen (Peck 2001: 7f.). Im
Vordergrund dieser Interessen stehen dabei die zu erwartenden
über 650 Millionenstädte weltweit, die für die
Bevölkerungsmehrheiten über völlig unzureichende
infrastrukturelle Angebote verfügen (Petrella 2000: 113). Bei
den deutschen Großunternehmen im Wassermarkt handelt es sich
um die großen Energieversorger, die ihre Kapitalbildung
über Jahrzehnte in einem monopolisierten Markt vorgenommen
haben.86
Der deutsche Markt ist europaweit mit 17
Milliarden Euro Gesamtumsatz (Wasser und Abwasser) der
größte. Mit 16000 durch Gebietsmonopole geschützte
Unternehmen ist dieser „Markt“ sehr fragmentiert und
damit eher unattraktiv für große Anbieter (Peck 2001: 7).
Allerdings fördern die größten 140 Anbieter
über 50 Prozent der Wassermenge, während die kleinsten
3500 lediglich einen Anteil von 2,5
Prozent aufweisen (BMZ 1999: 116). Nach Schätzung der
Deutschen Bank Research werden davon allenfalls 100 Unternehmen
übrig bleiben (Peck 2001: 7). In Ostdeutschland wurden ehemals
16 großräumige Einheiten nach westdeutschem Muster mit
„erheblichen Kosten und häufig zu Lasten der
Bürgerinnen und Bürger“ (BMZ 1999: 117) auf 1000
kleine und kleinste Wasserversorgungsunternehmen aufgeteilt.
82 Weiterführende Literatur siehe z. B. Breithaupt
u. a. (1998).
83 Guidelines for Joint Staff Assessment (JSA) of a
Poverty Reduction Strategy Paper (PRSP) (Weltbank 2002b).
84 UN-ECE (1992). Das Protokoll über Wasser und
Gesundheit wurde 1999 im Rahmen der UNECE in London auf der Dritten
Ministerkonferenz Umwelt und Gesundheit angenommen.
85 Verordnung zur Novellierung der Trinkwasserverordnung
vom 21.05.01, Bundesgesetzblatt I, Nr. 24, 959-980 vom 28.05.01
(TrinkwV).
86 Hinzu kommt, dass die großen deutschen
Energieversorger über das Instrument der steuerfreien
Rückstellungen für die spätere Entsorgung
radioaktiver Abfälle eine Kapitalliquidität in
zweistelliger Milliardenhöhe anhäufen konnten, die es in
keiner anderen Branche gibt und die zu einer enormen und vielfach
beklagten Wettbewerbsverzerrung führt.
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