7.7.3.1 Technologietransfers
als strategisches Arbeitsfeld
Das Thema „Technologietransfer“
hat einen außerordentlichen Stellenwert in den Agenden der
internationalen Organisationen. Von EU, OECD, UNCTAD sowie den
umwelt- und entwicklungsrelevanten Organisationen des UN-Systems
wird es mitunter fast als Zauberformel angesehen. Überall wird
die Notwendigkeit einer Steigerung der technischen
Leistungsfähigkeit, insbesondere der Entwicklungsländer,
durch wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit betont, und das
heißt insbesondere der Austausch von Know-how und
fortgeschrittener Technologie. So soll Technik dazu beitragen, dass
auch in Fällen großer Armut wirtschaftliche Entwicklung
und Umweltentlastung Hand in Hand gehen. Generell – so die
optimistischen Einschätzungen – könne die Technik
eine relative, in Einzelfällen sogar eine sehr weitgehende
Entkopplung zwischen Wirtschaftswachstum und Umweltbelastung
herbeiführen und damit eine Entwicklung einleiten, die
Schwellen- und Entwicklungsländer an die Industrieländer
heranführt, ohne deren ressourcen- und umweltintensiven
Lebensstil zu übernehmen. Die Empfängerländer
modernster Technologien sollen teure und umweltintensive
Entwicklungsstufen der Industrieländer quasi überspringen
und den Prozess ihrer wirtschaftlichen Stärkung von Anfang an
unter dem Leitbild der Nachhaltigkeit gestalten.
Daher greift die Agenda 21 an vielen Stellen,
insbesondere in Kapitel 34127,die Notwendigkeit eines verstärkten
Transfers von Technologien und Wissen als wichtige Ansatzpunkte zur
Überwindung des globalen Entwicklungsgefälles sowie zur
Bewältigung nationaler und globaler Umweltprobleme heraus.
Gemäß der Kommission der Vereinten Nationen für
nachhaltige Entwicklung (CSD) soll zur Entwicklungsförderung
und zur Umweltvorsorge in Kooperation beim Transfer das
„gesamte Technologiespektrum“ zum Einsatz kommen, das
umweltschonend und ressourcensparend ist.
Zur Ambivalenz des
Technologietransfers
Die außerordentlich hohe
Wertschätzung von Wissenstausch und Technologietransfer in den
Agenden der internationalen Organisationen und die großen
Hoffnungen, die – von Seiten der Industrieländer und
vieler Entwicklungsländer – in einen umfassenden
Austausch von Know-how und Technologie auch und gerade unter dem
Aspekt der nachhaltigen Entwicklung gesetzt werden, sind die eine
Seite der Medaille. Die andere Seite ist die sehr viel weniger
rühmliche Rolle, die der Export von Know-how und Technik in
der Vergangenheit gespielt hat. Selbst in den Fällen, in denen
der Transfer von Wissen und Technik nicht an unmittelbar
wirtschaftlichen Interessen der Urheberländer orientiert war,
ist in aller Regel von der selbstverständlichen Voraussetzung
ausgegangen worden, dass am Ende einer auch mittels
Technologietransfer betriebenen Entwicklungshilfe leidlich
industrialisierte und in ihrer Wirtschafts- und Sozialstruktur mit
den „Geberländern“ vergleichbaren Staaten stehen
müssten. Die besonderen Gegebenheiten in den
Entwicklungsländern sind – wenn sie überhaupt
wahrgenommen worden sind – lediglich als Hemmnisse angesehen
worden, die es so schnell wie möglich zu überwinden galt.
Dabei wurde nur unzureichend Rücksicht auf die
natürlichen Gegebenheiten und die soziokulturellen
Rahmenbedingungen in den Zielländern genommen.
Technologietransfer und
Wissensaustausch – Die richtige Mischung
Die Erfahrungen
der vergangenen Jahrzehnte zeigen, dass ein Technologietransfer
ohne umfassenden Wissensaustausch scheitern muss. Bei der
Überwindung globaler Entwicklungsunterschiede und
Umweltprobleme kommt es nicht nur auf den Transfer von Kenntnissen
über das engere Technologiesystem oder auf die Vermittlung von
Wissen über technische Handlungsmöglichkeiten an. Zum
Wissenstransfer zählt vor allem auch die Vermittlung von
Kenntnissen über ökonomische und gesellschaftspoltische
Facetten des Technologietransfers. Insofern müssen
Technologien in aller Regel an die im weitesten Sinne
sozio-ökonomischen und sozio-kulturellen Bedingungen in den
Zielländern angepasst werden (Appropriate Technologies). Ein
Teil dieser Anpassungen geschieht sinnvollerweise zusammen mit den
Menschen vor Ort, mittelfristig in den Zielländern selbst, so
dass auf die Dauer dort Produktions- und
Instandhaltungskapazitäten, entsprechende Teilmärkte und
vor allem das erforderliche Know-how sich entwickeln. Eine enge
Auslegung des Technologietransfers führt zwangsläufig zu
einem Übergewicht der Hardware (der technischen
Ausrüstung) gegenüber der Software (der
wissenschaftlichen und technischen Kompetenz), zu einem
Übergewicht an Fremdbestimmung und zu einer Unterbewertung
dessen, was Menschen in den Empfängerländern selbst zu
leisten imstande sind.
Inzwischen
beginnt sich die Auffassung durchzusetzen, zu transferierende
Technologie als zu optimierende Dienstleis tungsbündel
zu betrachten, die die technische Komponente, das Know-how im Sinne
breiter Wissensvermittlung, Organisation und Produkt umfassen. Der
Technologietransfer soll vor allem dem Aufbau informeller und
organisatorischer Kapazitäten dienen und soll die
Empfängerländer in die Lage versetzen, Innovationen
schneller und effektiver in den eigenen Entwicklungsprozess zu
integrieren und dabei selbst innovativ tätig zu werden. Nur so
kann der Substanzverlust an wissenschaftlichem Know-how durch
Abwanderung von Experten in die Industrieländer aufgehalten
werden (Stichwort „Green Card“).
Bei Fördermaßnahmen ist auch darauf
zu achten, dass beispielsweise Projekte einen
Demonstrationscharakter haben. Die bi- und multilateralen
Fördermittel sind im Vergleich zum gesamten Investitionsbedarf
sehr gering. Daher ist es besonders
wichtig, dass die Maßnahmen einen nachhaltigeren Effekt haben
und geeignet sind, als Beispiel für weitere Anwendungen zu
dienen (Impuls- oder Katalysatorfunktion,
Demonstrationscharakter).
Ein
ausschließlich langfristiger, software-orientierter Ansatz des
Technologietransfers birgt hingegen das Risiko, dass die
Beteiligten mangels in absehbarer Zeit erzielter konkreter
Ergebnisse Lust und Interesse verlieren. Auch bestehen bei
Softwaremaßnahmen (einschließlich der
Forschungsförderung, Messprojekten, Konzeptstudien etc.)
oftmals Legitimationsprobleme, die in demokratischen
Zielländern in der Öffentlichkeit diskutiert werden.
Verantwortliche in den Zielländern müssen sich sehr bald
und zu recht den ungeduldigen Fragen aus der betroffenen
Bevölkerung stellen: Was habt ihr erreicht mit eurer Politik?
Wie wurden die ausländischen Fördergelder und Kredite
verwendet? Wie wurde damit beispielsweise konkret die Umwelt
verbessert?
Rahmenbedingungen und Restriktionen im Wissens- und
Technologietranfer
Die praktischen
Erfahrungen mit Technologietransfer zeigen, dass er sinnvollerweise
als Projekt organisiert werden sollte, für dessen
erfolgreichen Verlauf in aller Regel eine Reihe konkreter
Grundvoraussetzungen vorliegen müssen. Wichtig ist in vielen
Fällen die Einbindung des Transferprojektes in ein Programm
der bi- oder multilateralen Zusammenarbeit. Bei der Auswahl von
Projekten ist nicht nur auf die Beurteilung der maßgeblichen
Akteure zu achten, sondern auch auf den Stand der Vorbereitung des
Projektes. Insbesondere ist die Berücksichtigung sozialer und
kultureller Aspekte von vorneherein in Projekten zu integrieren und
ihr ist eine wesentliche Bedeutung beizumessen. Wichtig für
den Anschub gemeinsamer Projekte ist eine Anschubfinanzierung. Die
Finanzierung hat insgesamt große Bedeutung. Sie ist die Basis
einer dauerhaften konkreten Zusammenarbeit, die über den
Rahmen eines allgemeinen Informationsaustauschs hinausgeht. Ein
aktives Projektmanagement und -controlling muss sichergestellt
werden. Dabei ist die Trennung zwischen operativ-fachlichen und
strategisch-politischen Aufgaben frühzeitig einzuleiten.
Gerade unter dem Gesichtspunkt sozialer und ggf. gewünschter
polititscher Effekte muss der Förderung dezentraler
Kleinprojekte außerhalb von Regierungsabkommen – oder in
diese global eingebettet – großes Gewicht gegeben
werden. Auch hier ist auf Demonstrationscharakter, ein gutes
Projektmanagement und -controlling zu achten, die Vergabe von
Mitteln für solche Projekte sollte jedoch möglichst
unkompliziert sein.
Ein beachtlicher
Teil des Wissenstransfers vollzieht sich im Rahmen von Markt- und
Wettbewerbsprozessen bei gleichzeitiger Gewährung von
Verfügungs- bzw. Zugangsrechten zu bestehendem und neu
hinzukommendem Wissen. Der Ausschluss anderer von neuem
Wissenszuwachs, etwa über Patentanmeldungen, ist in Grenzen
möglich und löst im regionalen Umfeld bzw. bei
Ländern, die mit innovativen Gütern und Techniken
handeln, Anreize für technischen Fortschritt aus. Für
potenzielle Empfängerländer solcher in den
Industrieländern entwickelten Technologien stellt die mit dem
Patentwesen verbundene Zugangsbeschränkung demgegenüber
zumindest ein finanzielles Problem dar.
Wissensaustausch und Technologietransfer sind
an einige wichtige Prämissen gebunden. Hierzu zählt als
Mindestvoraussetzung die Vermittlung einer soliden Grundausbildung,
um einen besseren Informationsaustausch zu ermöglichen. Vor
allem der nicht marktdeterminierte Transfer von Wissen und
technischem Know-how kann durch die Hochschulen und Fachhochschulen
geleistet werden. Sie sind eine wichtige Basis für den Aufbau
der eigenen Forschung, die stärker am regionalen Umfeld und
seinen Problemen orientiert ist. Hinzu treten in der Regel die
Notwendigkeit des raschen Ausbaus der Telekommunikations- und
Verkehrsinfrastruktur, um die individuellen
Kontaktmöglichkeiten zu stärken, die Unterstützung
des Forscheraustauschs und die Gewährleistung an
Eigentumsrechten an neuem Wissen.
Akteure des Technlogietransfers in
Deutschland
Wissens- und Technologietransfer
beispielsweise zur Umwelttechnik stützt sich in Deutschland
vor allem auf wirtschaftliche Beziehungen, die
Entwicklungszusammenarbeit, auf bilaterale Umweltabkommen und auf
Forschungs- und Bildungskooperationen mit Drittländern. Eine
Übersicht über die deutschen Institutionen und deren
Aktivitäten zum Umwelttechnologietransfer bietet die
Publikation „Umwelttechnologietransfer in Nichtindus
trieländer“ (Seidensticker 1999).
Voraussetzungen für den
Technologietransfer
Ein entscheidender Faktor für den
Technologietransfer ist die erfolgreiche Anwendung der zu
transferierenden Technologien in den Ursprungsländern selbst.
Hier kommt den Industrieländern eine wichtige Vorbildfunktion
zu. Die Entwicklung in Schwellen- und Entwicklungsländern
vollzieht sich nicht autonom, d. h. unab hängig vom
Wohlstandsmodell in den Industrieländern. Vielmehr sind die zu
transferierenden Technologien, Hardware wie Software, von den Wert-
und Zielvorstellungen der Geberländer geprägt. Die
Empfängerländer sind zwar in der Pflicht,
selbständige Strategien einer nachhaltigen Entwicklung zu
definieren und in ihre nationale Politik umzusetzen. Konkrete
Beispiele der Geberländer für eine nachhaltige
Entwicklung wären jedoch am ehesten dazu in der Lage, eine
solche Entwicklung auch in den Empfängerländern
anzuregen. Daher kommt beispielsweise einer Intensivierung von
Nachhaltigkeit in Deutschland und in der EU eine hohe Bedeutung
für den Übergang zu einer nachhaltigen Entwicklung in den
Schwellen- und Entwicklungsländern zu. Ein Beispiel für
die Verknüpfung dieser Aspekte und zugleich einer
Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen stellt das
Transferzentrum für angepasste Technologien in
Nordrhein-Westfalen dar.
127 Kapitel 34 der Agenda 21: Transfer
umweltverträglicher Technologien, Kooperationen und
Stärkung von personellen und institutionellen Kapazitäten
(BMU 1993: 248ff.).
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