Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 28 - 29 / 11.07.2005
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Robert Luchs

Aids ist wie ein Buschfeuer

Nur mit Prävention besteht noch Hoffnung für Tansania

General Lupogo ist ein alter Kämpfer außer Dienst. Aber als die Regierung in Daressalam erfahrene Männer im Kampf gegen die Aids-Epidemie suchte, schickte sie Hermann Lupogo aus dem Ruhestand noch einmal an die vorderste Front. Heute ist der Haudegen Leiter der tansanischen Aids-Behörde Tacaid und stellt im Frage-und-Antwort-Spiel mit deutschen Journalisten unter Beweis, dass er mit leichtem Florett ebenso umgehen kann wie mit schwerem Säbel.

Aids ein Produkt afrikanischer Kultur? Diese Frage kommt ihm gerade recht: "Wie sieht es denn beispielsweise bei Euch in Italien aus?" Da predige der Papst Enthaltsamkeit und lehnt die Benutzung von Kondomen rigoros ab, zugleich würden ja wohl zwischen Mailand und Neapel christliche Sittenstrenge und Moral nicht gerade hoch gehalten. Und in anderen Teilen Europas? Da sehe es auch nicht anders aus.

Lupogo reagiert empfindlich, weil er weiß, dass Eu-ropäer dazu neigen, mit dem Begriff "afrikanische Kultur" Verhaltensweisen zu umschreiben, die Aids verbreiten helfen. Im Gegenteil, früher sei in den Stammesverbänden streng darauf geachtet worden, dass es vor der Ehe keinen Sex gegeben habe. Lupogo weiß aber auch, wie realitätsfremd es ist, das Rad zurück-drehen zu wollen. Heute komme es entscheidend darauf an, die Armut zu bekämpfen: "Alles was der Lebensqualität dient, dient der Bekämpfung von Aids." Listig erinnert Lupogo an den Blackout in New York, wo neun Monate später die Geburtenrate nach oben geschnellt war. "In Gegenden ohne Strom haben wir 365 Tage im Jahr solche Blackouts." Das Ergebnis ist zu besichtigen.

1983 ist die Stunde Null in Tansania; damals wurden die ersten Aids-Kranken behandelt. Seitdem hat sich die Seuche rasant ausgebreitet, beginnend in den Städten, nun auch in den ländlichen Regionen des 36 Millionen Menschen zählenden ostafrikanischen Landes. Die durchschnittliche Infektionsrate bei der Bevölkerung zwischen 15 und 49 Jahren liegt bei sieben Prozent, wie eine in 2004 durchgeführte Untersuchung ergab. Dass es in umliegenden Ländern erheblich schlechter aussieht - von Malawi mit 14,3 bis Botswana mit 38 Prozent - ist kein Trost für die Tansanier.

HIV/Aids ist mittlerweile die hauptsächliche Todesursache. Es wird damit gerechnet, dass die Lebenserwartung auf 47 Jahre sinken wird - zehn Jahre weniger als ohne Aids. Zwei Millionen Menschen sollen seit Ausbruch der Epidemie zwischen Daressalam und Mbeya, zwischen Arusha und Masasi gestorben sein. Gelingt es nicht, die Bugwelle der Epidemie zu brechen, dann werden ihre Folgen kaum mehr zu bewältigen sein. Die Familien in einem Land, das zu den ärmsten der Welt gehört, sind nicht länger in der Lage, auch noch die Kinder von verstorbenen Verwandten zu betreuen. Die Zahl der Kinder und Jugendlichen unter 15 Jahren, die beide Elternteile verloren haben, hat sich innerhalb von drei Jahren verdoppelt. Die Anzahl der Waisen wird auf 1,5 Millionen geschätzt.

Statistiken können nicht das Leid erfassen, das mit Aids verbunden ist. Da vor allem Jugendliche betroffen sind, steht die Zukunft Tansanias auf dem Spiel. Gelingt es, die Altersgruppe zwischen 14 und 24 frühzeitig zu beeinflussen, sie über die Dimensionen der Katastrophe aufzuklären, ihnen die Risiken des ungeschützten Sexualverkehrs ebenso zu vermitteln wie vorbeugende Maßnahmen, dann besteht noch Hoffnung für Tansania. Immerhin sind 93 Prozent der Bevölkerung noch nicht mit dem Virus infiziert. "Um unsere Gesellschaft zu ändern, muss bei jedem Einzelnen angefangen werden." General Lupogos Strategie ist zweifellos richtig, doch auch er weiß, dass Tansania viel Zeit verloren hat.

Bergis Schmidt-Ehry, der in Tansania im Auftrag der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) die Aktivitäten im Bereich HIV/Aids koordiniert, ist davon überzeugt, dass keine afrikanische Regierung das Ausmaß der Epidemie rechtzeitig erkannt hat. Das gelte auch international, da trotz entsprechender Signale aus der Fachwelt "die Problematik der Epidemie lange heruntergespielt" worden sei. Nachdem Präsident William Mkapa von einem nationalen Desaster gesprochen habe, seien in Tansania energische Schritte zur Eindämmung von HIV/Aids ergriffen worden.

400 Kilometer weiter nördlich. In Tanga blitzt mich Donan Nichombe mit klugen Augen an. Ob er und seine Klassenkameraden von den Lehrern ausreichend informiert werden über die Gefahren von Aids, ob in der Schule über Übertragungswege und Vorbeugung gesprochen wird? Der 14-Jährige antwortet prompt: Er sei derjenige, der seine Lehrer "unterrichtet", sie korrigiert, wenn sie falsche Angaben machten über Infektionsmöglichkeiten oder die Auswirkungen von Aids.

Im Jugendzentrum "Novelty" nimmt Donan an locker organisierten Diskussionsrunden teil, in denen er umfassender über sexuell übertragbare Krankhei-ten informiert wird als in der Schule. Das von der deutsch-tansanischen Entwicklungszusammenarbeit unterstützte Zentrum bietet nicht nur Diskussionen an, in einem kleinen Nebenraum finden auch Beratungsgespräche statt. Hier geht es meist um HIV/Aids, aber auch um Probleme mit den Eltern oder im Zusammenhang mit Drogen. Neben einer kleinen jugendfreundlichen Klinik stehen außerdem Computer zur Verfügung, die die Jugendlichen kostenlos benutzen dürfen.

Als wir das Jugendzentrum verlassen, kommt uns singend und tanzend eine Gruppe entgegen, die überwiegend aus Frauen besteht. Mit fröhlichem Gesang holen sie uns ab und begleiten uns zu einem von mächtigen Mangobäumen umsäumten Platz. Nach einigen Rollenspielen, die wiederum das Thema Prävention zum Inhalt haben, entwickelt sich schnell eine Diskussion mit den freiwilligen Gesundheitshelfern, genannt "Community Based Distributors" (CBD), also von den Gemeinden gestützte Dienste. CBD werden in dreiwöchigen Kursen darin ausgebildet, mit ihren Nachbarn (etwa 100 Haushalte) über Familienplanung, sexuell übertragbare Krankheiten und HIV/Aids-Prävention zu sprechen sowie Kondome und orale Verhütungsmittel zu verteilen.

Diese Themen, mit denen in Europa zumeist wie selbstverständlich umgegangen wird, sind vor allem auf dem Lande ein Tabu. Entsprechend schwierig ist die Aufklärungsarbeit der Gesundheitshelfer, die im Umkreis von 200 Kilometer in sechs Distrikten der Tanga-Region tätig sind. Die Pille? Davon bekomme man Geschwüre im Bauch oder man könne nie mehr Kinder gebären. Kondome? Diese seien erstens nicht sicher und, so die auch von Heilern und Medizinmänner genährte Fehlinformation, sie übertragen Infektionen. Dass Kondome genau das Gegenteil bewirken und gegen die Ansteckung der Seuche schützen, muss den Dorfbewohnern in geduldiger Überzeugungsarbeit vermittelt werden.

150.000 Kondome sind bisher pro 100 Gesundheitshelfer verteilt worden, was allein wenig über den Erfolg aussagt. Das Wichtigste scheint zu sein, dass die Helfer Menschen erreichen, die sonst keinen Zugang zu Informationen über Verhütung und HIV-Prävention haben. Und das in Gebieten, wo es heute immer noch vorkommt, dass Frauen, die den Virus in sich tragen, aus der Familie und oft sogar aus der Dorfgemeinschaft verstoßen werden. Dass es zumeist der eigene Mann ist, der seine Frau angesteckt hat, spielt dabei keine Rolle. Die Infektion wird von etwa 30 Prozent der schwangeren Frauen auf die Kinder übertragen, die unbehandelt nicht lange nach der Geburt sterben. Neben der Prävention sprechen die Helfer aber auch über gesunde Ernährung, Durchfallerkrankungen und über Schutz vor Malaria.

"Aids ist wie ein Buschfeuer, das unser Haus bedroht. Aids ist aber auch tückisch wie die Schlange im Busch." Im 900 Kilometer südwestlich gelegenen Mbeya beschwört Tuli Mtatiro in eindringlichen Bil-dern die Gefahren der Epidemie. Er ist Sprecher von Kihumbe, einer vor zwölf Jahren mit Unterstützung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit ins Le-ben gerufenen Selbsthilfegruppe. Die Gäste werden mit stampfenden Tanzrhythmen und fröhlichen Gesängen begrüßt, die nicht ahnen lassen, dass viele in der Gruppe an Aids erkrankt sind. Schon bei den ersten Klängen, die schnell in ohrenbetäubenden Lärm übergehen, ist die starke Solidarität zu spüren, die die Menschen trägt, die Kranke und Gesunde miteinander verbindet.

Da sind zum einen die Waisenkinder, die von Kihumbe aufgefangen werden. Nicht selten werden sie aus den Hütten geholt, wo sie nach dem Tod ihrer Eltern noch unter Schock und wie paralysiert gelebt haben. Die Gruppe begann ihre Arbeit mit freiwilligen Helfern aus den verschiedenen Stadtteilen Mbeyas, die chronisch Kranke aufsuchten. Heute unterstützen sie vor allem Patienten, die mit lebensverlängernden (antiretro-viralen) Medikamenten behandelt werden. Die Helfer achten auf die regelmäßige und exakte Einnahme der Mittel, wodurch sich der Kontakt untereinander festigt. Mehrere Frauen von Kihumbe haben sich zusammengetan, um mit Töpfer- und Webarbeiten zur Finanzierung der Selbsthilfegruppe beizutragen.

Kihumbe ist ein Projekt, das Hoffnung ausstrahlt. Eine Hoffnung, die den Kranken von Mbeya das Leben mit Aids leichter ertragen lässt.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.