Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 28 - 29 / 11.07.2005
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Michael Martens

Ringen um eine stabile Koalition

Nach den Wahlen in Bulgarien

Diesmal haben es die Wähler in Bulgarien ihren Parteien nicht leicht gemacht. Anders als in der Vergangenheit gab es bei den vermutlich letzten Parlamentswahlen vor dem für 2007 geplanten EU-Beitritt des Landes keinen eindeutigen Sieger. Das ist ungewöhnlich in der jungen demokratischen Geschichte des Landes seit dem Zerfall des Kommunismus.

Als die Bulgaren im Dezember 1994 aufgerufen waren, ihre parlamentarischen Vertreter zu wählen, erhielt die Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) 43,5 Prozent der Stimmen und die absolute Sitzmehrheit im Sofioter Parlament. Bei den Wahlen vom April 1997 - sie mussten nach der wirtschaftlichen Krise des Landes im Winter 1996/97 wie schon die vorige Abstimmung vor der regulären Frist abgehalten werden - verschafften die Wähler dem Bündnis der Vereinigten Demokratische Kräfte (ODS) eine noch deutlichere Mehrheit als zuvor den Sozialisten. Und vor vier Jahren gelang es der nur gut zwei Monate vor dem Wahltermin gegründeten Nationalen Bewegung Simeon II. (NDSW) des früheren Zaren Simeon (Sakskoburggotski) aus dem Stand, die Hälfte aller Mandate in der Volksversammlung zu erobern.

Doch die Zeiten der klaren Mehrheiten scheinen vorbei: Im neuen Parlament sind zwar das erste Mal seit mehr als einem Jahrzehnt die Bulgarischen Sozialisten wieder die stärkste Kraft (82 Sitze), doch zum Regieren benötigen sie mindestens einen Partner - und sogar zwei, sollten sie sich nicht mit der zweitstärks-ten Fraktion einig werden, der bisher regierenden Zarenbewegung. Die NDSW ist von den Wählern zwar arg gerupft worden und wird nur noch über 53 von 240 Abgeordneten verfügen (statt 120 zu Beginn ihres Mandats vor vier Jahren). Dennoch ist ihr ein völliger Einbruch erspart geblieben, der ihr noch Mitte der vergangenen Legislaturperiode - angesichts der damaligen Umfragewerte nicht ohne Grund - vorausgesagt worden war. Nimmt man die bisherigen Gespräche der Parteiführer in Sofia zum Maßstab, läuft es eher auf eine Dreierkoalition in Sofia hinaus: Der junge BSP-Vorsitzende Stanischew hat angekündigt, dass eine "trilaterale" Regierungskoalition das beste für das Land sei. Dritte Kraft in diesem ungewöhnlichen Bund wäre dann wohl die "Bewegung für Rechte und Freiheiten" (DPS) von Ahmed Dogan. Für diese Partei, die bisher hauptsächlich von der türkischen Minderheit und den Pomaken, den Nachfahren islamisierter Slawen, Unterstützung erfuhr, war die Parlamentswahl erfolgreicher denn je. Die Bewegung errang 34 Mandate und wurde drittstärkste Kraft. Ihre Funktionäre, die hartnäckig bestreiten, dass die DPS eine "ethnische" Partei sei, weil eine solche politische Formierung laut bulgarischer Verfassung illegal ist, führen das Rekordergebnis darauf zurück, dass es gelungen sei, in neue, (also nichtmuslimische) Wählerschichten einzubrechen.

Die Gegner der Partei hingegen behaupten, die DPS und ihr unumstrittener Führer Ahmed Dogan arbeiteten in den mehrheitlich von Türken bewohnten Regionen des Landes mit Druck und Drohungen, um sich die Mehrheiten zu sichern. Eine weitere Erklärung jedoch lautet, dass angesichts des Erstarkens der nationalistischen Bewegung "Ataka" (Angriff), die im Parlament über 21 Sitze verfügt, auch viele nichtmuslimische Minderheiten diesmal für die DPS gestimmt haben. Sergej Stanischew steht gestärkt, aber nicht übermächtig an der Spitze der BSP, denn der Sieg seiner Partei ist keineswegs so deutlich ausgefallen, wie man sich das erwartet hat bei der BSP. Nach Gesprächen mit der NDSW und der DPS hat Stanischew angekündigt, das Programm einer etwaigen künftigen Regierung müsse zunächst von den Fachleuten der Parteien besprochen werden.

Wie Stanischew weisen auch die anderen beiden Parteien darauf hin, dass Bulgarien unbedingt eine stabile Koalition benötigt. Dieser ständige Ruf nach einer stabilen Regierung mit breiter Mehrheit dürfte auf die unübersehbare Nervosität und Ratlosigkeit zurückzuführen sein, die in Sofia nach den gescheiterten Verfassungsreferenden in Frankreich und den Niederlanden herrscht. Diese Ereignisse haben die ständige Furcht der Bulgaren genährt, dass ihr Beitritt zur EU um ein Jahr - oder gar auf unbestimmte Zeit - verschoben werden könnte.

Nun hätte eine Regierung aus Sozialisten, "Türken" und "Zaristen" zwar mit 169 von 240 Sitzen tatsächlich eine beruhigende Mehrheit im Parlament - doch bestehen Zweifel daran, ob ein solches Bündnis auch in sich stabil wäre. Ein Stolperstein ist schon die Frage, wer Ministerpräsident einer solchen Regierung werden soll. Dieses Recht stünde eigentlich Stanischew als dem Chef der größten Partei zu - doch kann sich niemand vorstellen, dass der amtierende Ministerpräsident Sakskoburggotski ein anderes Amt als sein derzeitiges akzeptieren wird. Ein ehemaliger Zar wird nicht Postminister.

Sollte Stanischew dennoch auf seinem Vorrecht beharren, fiele die NDSW als Partner wohl aus - es sei denn, sie setzte ihren Vorsitzenden ab, doch auch das halten viele Beobachter in Sofia für wenig wahrscheinlich. Ohne den "Zaren" an der Spitze, so wird allgemein vermutet, werde die nach ihm benannte heterogene Bewegung rasch in mehrere Teile zerfallen.

Krise der politischen Repräsentanz

Jenseits dieser Rechenschieberüberlegungen, die in der bulgarischen Presse derzeit viel Platz einnehmen, haben die Wahlen jedoch noch ein anderes Ergebnis erbracht. Der Meinungsforscher Antoni Galabow umschreibt es als "Krise der politischen Repräsentanz" und spricht von einer anhaltend tiefen Kluft zwischen der politischen Elite und den Bürgern: "Was die Bulgaren mit diesem Votum eigentlich sagen wollten, war, dass sie keiner Partei eine absolute Mehrheit einräumen wollen". Ähnliche Schlüsse zog die frühere Außenministerin Nadeshda Mihailowa, deren bürgerliches Bündnis um die von ihr geführte "Union der demokratischen Kräfte" nach mehreren Abspaltungen nur 20 Sitze im neuen Parlament haben wird. (Zum Vergleich: 1997 waren es 137). "Bei diesen Wahlen haben die Politiker als ganzes verloren - sie haben verloren, weil sie die Menschen nicht überzeugen konnten, dass sie für sie arbeiten. Jetzt haben wir die Quittung dafür bekommen", sagte Frau Mihailowa dem staatlichen bulgarischen Rundfunk.

Der Weg zu einer stabilen Regierung ist also nicht einfach - doch um die Stabilität und den Reformkurs des Landes müsse sich niemand sorgen, versichert Schelju Schelew, der ehemalige Präsident des Landes: "Keine bulgarische Regierung kann es sich leisten, die EU-Perspektive des Landes zu verspielen. Sie würde von den Wählern zum Teufel geschickt."


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.