Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 28 - 29 / 11.07.2005
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Erik Spemann

Ambitionen und Stammesdenken

Bayern: Diuskussionen um eine mögliche Stoiber-Nachfolge

Die Frage einer Neuwahl auf Bundesebene elektrisiert die bayerische Landespolitik in besonderem Maße. Unter der Prämisse, dass Ministerpräsident und CSU-Chef Edmund Stoiber im Falle eines Unions-Sieges nach Berlin wechselt, steht nämlich im Freistaat die Erneuerung der Regierungsspitze an. Dabei sind einerseits die einzelnen bayerischen Stämme eifersüchtig darauf bedacht, angemessen im Kabinett vertreten zu sein. Andererseits sieht man in der CSU die Chance, bereits jetzt Nachwuchskräfte für die Ära nach Stoiber zu positionieren und sich zu verjüngen. Die Opposition wiederum macht sich Hoffnung auf bessere Wahlergebnisse und letztlich auch darauf, die seit mehr als vier Jahrzehnte allein regierende CSU einmal vom Thron zu stoßen.

Landespolitische Themen geraten angesichts dieser personellen Weichenstellungen fast in den Hintergrund. Am meisten Beachtung fand noch das vor allem von der Opposition, Erziehern und Kindergartenträgern abgelehnte Kinderbildungs- und Betreuungsgesetz aus dem Haus von Sozialministerin Christa Stewens, das nach einer 14-stündigen Marathondebatte erst kurz nach Mitternacht mit CSU-Mehrheit verabschiedet wurde. Davor war ein Volksbegehren gegen die überhastete Einführung des noch lange nicht reibungslos funktionierenden G-8-Gymnasiums an breiter Interesselosigkeit gescheitert.

Viel mehr bewegt die Frage, ob Stoiber bei einem Wahlsieg ins Bundeskabinett eintritt und wer dann Nachfolger in Bayern wird. Wenn es nach der Beliebtheit beim Wähler ginge, hätte der aus Nürnberg kommende Innenminister und stellvertretende Ministerpräsident Günther Beckstein (61) die besten Karten. Doch der hat als möglicher künftiger Bundesinnenminister eher eine Fahrkarte nach Berlin in der Tasche.

Wenn Stoiber seinen mutmaßlichen Favoriten durchbrächte, müsste nach allen Überlegungen der Chef der Staatskanzlei und Vertraute des Ministerpräsidenten, der Niederbayer Erwin Huber (58), die Nummer Eins in Bayern werden. Doch der hat sich in der letztlich darüber entscheidenden CSU-Fraktion viele Sympathien verscherzt, als er bei seiner rigorosen Verwaltungsreform die Abgeordneten immer wieder vor vollendete Tatsachen stellen wollte.

So wurde bereits spekuliert, dass der hohes Ansehen genießende und bei der Fraktion beliebte Landtagspräsident Alois Glück aussichtsreicher Kandidat werden könnte. Der Leiter der CSU-Grundsatzkommission und langjährige Landtags-Fraktionschef, der bei großen Themen immer wieder Stellung bezieht, ist soeben als Vorsitzender des mächtigen oberbayerischen CSU-Bezirksverbands mit 97 Prozent der Delegiertenstimmen wiedergewählt worden.

Nachwuchshoffnungen

Profil hat sich inzwischen auch der mittelfränkische CSU-Bezirkschef und Fraktionsvorsitzende Joachim Herrmann erworben, der als Glücks Nachfolger auf diesem Platz der Staatskanzlei wiederholt diskret wie hartnäckig ihre Grenzen aufgezeigt hat. Seit erst zwei Jahren auf diesem Posten, käme eine Kandidatur des 48-Jährigen für das Ministerpräsidentenamt derzeit aber noch zu früh. Wer auch immer Stoiber nachfolgt: Im Rampenlicht werden automatisch auch die Nachwuchshoffnungen der auf rechtzeitige Verjüngung bedachten CSU stehen. Spätestens nach der nächsten Bayernwahl 2008 werden sie eine größere Rolle spielen.

Die bisher als chancenreichste Anwärterin auf höchste Ämter gehandelte Strauß-Tochter und zurück-getretene Kultusministerin Monika Hohlmeier (43) freilich ist nach ihrer Verstrickung in die Affäre um manipulierte Vorstandswahlen in der Münchner CSU bis auf weiteres erst einmal aus dem Rennen. Ein Untersuchungsausschuss bemüht sich seit Wochen um neue Erkenntnisse. Hohlmeiers Nachfolger als Kultusminister, der aus dem oberbayerischen Eichstätt stammende Siegfried Schneider (49), zählt inzwischen ebenfalls zu den Hoffnungsträgern der Partei. Doch muss er erst einmal seine schwierigen Hausaufgaben bei der Reform des Bildungswesens machen.

Zur ersten Garde ambitionierter Nachwuchspolitiker zählt seit neuestem der erst 40-jährige Europaabgeordnete Markus Ferber aus Augsburg. Die Schwaben-CSU wählte ihn zu ihrem neuen Bezirksvorsitzenden, womit er beste Aussichten hat, nach der nächsten Landtagswahl ins Kabinett aufzurücken. Sein Karrieresprung ist ein Beispiel für die häufig unterschätzte Eigenständigkeit der CSU-Bezirksverbände. Als Schwaben-Chef hätte Stoiber am liebsten seinen Innen-Staatssekretär Georg Schmid gesehen, der dann aber knapp unterlag. Die Delegierten trauten ihm wohl nicht unbedingt zu, schwäbische Interessen auch einmal gegen Widerstände in München durchzusetzen. Auch die beiden anderen Minister aus Schwaben, Josef Miller (Landwirtschaft) und Beate Merk (Justiz), gelten nicht gerade als die mächtigsten Mitglieder im Kabinett.

Dort gut vertreten zu sein, ist immer wieder vorrangiges Ziel der oft miteinander konkurrierenden Bezirksverbände der CSU. Dies um so mehr, da Oberbayern mit der Region München stets mit dem üppigsten Wachstum im Land glänzt und schnell Neider auf den Plan ruft. Zur Stärkung der von Wegzug und Auszehrung bedrohten nördlichen Regionen wie Oberfranken hatte der von dort stammende Umweltminister Werner Schnappauf immerhin eine Dependance des Umweltamtes aus dem schwäbischen Augsburg an Land ziehen können. Den gleichfalls mit den Problemen der Randlage konfrontierten Oberpfälzern gelang es, den Sitz der aus der Forstreform hervorgegangenen Bayerischen Staatsforste für Regensburg zu ergattern. Der bei Freising entstandene boomende Münchner Flughafen strahlt inzwischen Wirtschaftskraft weit nach Erwin Hubers Niederbayern aus.

Ein Ministerpräsident, der in Bayern auf regionalen Proporz im Kabinett verzichten will, riskiert Ärger und Lustlosigkeit in den übergangenen Bezirken - das aber würde Einbußen bei den Wahlen bedeuten: Enttäuschte Parteifunktionäre gelten als schlechte Wahlkämpfer. Die jahrzehntelangen Erfolge der CSU als Volkspartei beruhen nicht zuletzt auf der gelungen Einbindung aller ihrer Stämme. Das dürfte sich auch unter einem Nachfolger Stoibers nicht ändern.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.