Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 52-53 / 20.12.2004
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Bernard Bode

Verhandlungen mit der Türkei ab 2005

Bundestag, EU-Parlament und EU-Gipfel in Brüssel machen Angebot an Ankara

Der Bundestag hat sich am 16. Dezember dafür ausgesprochen, mit der Türkei über den Beitritt zur Europäischen Union (EU) zu verhandeln. SPD und Bündnis 90/Die Grünen stimmten für eine entsprechende Empfehlung des Auswärtigen Ausschusses, CDU/CSU und FDP votierten dagegen. Das Europaparlament hatte am Tag zuvor mit Mehrheit einen ähnlichen Beschluss gefasst. Der EU-Gipfel, der Ende der vergangenen Woche tagte, machte der Türkei für den 3. Oktober 2005 ein Angebot zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Franz Müntefering sagte in der Bundestagsdebatte, die Bundesregierung hätte die "klare Unterstützung" seiner Fraktion, wenn Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufgenommen würden. Müntefering räumte ein, es würden "schwierige Verhandlungen", die nicht "automatisch zu dem Ergebnis führen, das wir uns wünschen". Vor 2014 sei ein Beitritt der Türkei nicht zu erwarten.

An die CDU/CSU gewandt, sagte er, die Union sei aufgefordert, doch endlich einmal zu erklären, was mit der "privilegierten Partnerschaft" eigentlich gemeint sei. Schon der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl habe sich im Jahre 1997 dafür ausgesprochen, dass der Türkei der Beitritt zur EU eröffnet werde.

Die Sozialdemokraten wüssten um die "Sorgen und Bedenken", die es auch in Deutschland gebe. Nicht nur die Türkei müsse deshalb beitrittsfähig sein, die EU müsse auch aufnahmefähig sein. Falls die Türkei die politischen Kriterien "ernsthaft und dauerhaft" verletzen würde, könnten die Verhandlungen ausgesetzt werden. Die EU müsse andererseits dafür Sorge tragen, eine Aufnahme des Landes finanziell verkraften zu können.

Die Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Angela Merkel, bedauerte, dass die parlamentarische Mehrheit den Vorschlag einer privilegierten Partnerschaft ausschlage. Dabei stelle dieser Vorschlag der Türkei "einzigartige Beziehungen intensivster Art" mit der EU in Aussicht. Ein Antrag der Union, der Türkei ein solches Konzept vorzuschlagen, wurde mit den Stimmen aller anderen Fraktionen abgelehnt. Merkel erklärte weiter, es sei nicht redlich, so zu tun, als könne man fünf oder zehn Jahre verhandeln, um dann entweder die Vollmitgliedschaft oder das "totale Scheitern" zu erreichen.

Eine politische Union mit der Türkei als Vollmitglied könne nicht so vertieft werden wie vorgestellt. Erstmals in der Geschichte des europäischen Eini-gungsprozesses würden Verhandlungen mit einem Land begonnen, dessen Grenzen weit über Europa hinausgehen. Es bestehe zudem kein Zweifel daran, dass es in der Türkei Folter und mangelnde Religionsfreiheit gibt. Merkel kündigte an, die Sache erneut prüfen zu wollen, "wenn wir an der Regierung sind".

Bundesaußenminister Joschka Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) wies darauf hin, die von der CDU/CSU geforderte privilegierte Partnerschaft exis-tiere bereits heute. Die Türkei sei in allen wichtigen Gremien der EU vertreten. Die Regierung unter Ministerpräsident Erdogan habe rechtsstaatliche Grundsätze durchsetzen können und die Todesstrafe abgeschafft. Man wolle die Entscheidung über den Beitritt dann, wenn das Land beitrittsfähig sei. Man wisse, dass dieser Prozess zehn bis 15 Jahre dauern werde.

Werner Hoyer (FDP) sagte, seine Partei sei überzeugt, dass es in der Zukunft ein Zurück hinter die Aufnahme von Verhandlungen nicht mehr geben werde. Aber richtig sei auch, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt weder die Türkei beitrittsfähig noch die EU aufnahmefähig wäre. Die Türkei habe in den vergangenen Jahren einen "bemerkenswerten" Reformprozess begonnen. Einen Antrag der FDP, in dem gefordert wurde, die Verhandlungen mit der Türkei als "ergebnisoffen" zu betrachten, lehnte der Bundestag ab.

Weitere Berichte auf den Seiten 13 - 14.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.