Wer stoppt Howard Dean, den stets bewusst wütend auftretenden Präsidentschaftskandidaten der Demokraten? Diese Frage stellen sich seit Wochen vor allem seine acht demokratischen Mitbewerber um die Präsidentschaftskandidatur der Partei - immer hilfloser. Gleich der erste Stimmengang in Washington, D. C. am 13. Januar zeigte, dass der ehemalige Gouverneur von Vermont, der bereits seit Herbst 2003 weit vor allen anderen Herausforderern liegt, in der Wählergunst seiner Parteibasis ganz oben steht. Zum Entsetzen des Establishments der Demokraten. Dort werden die vermeintlich präsidiableren Kandidaten John Kerry, Senator aus Massachusetts, und General a. D. Wesley Clerk favorisiert.
Doch die strammen Basis-Wähler der Demokraten - jene, die seit dem Einzug von Präsident Bush ins Weiße Haus vor drei Jahren ihrer eigenen Regierung mental den Krieg erklärt haben - wollen diesmal keinen geschliffenen Polit-Profi als Kandidaten, der wohlformuliert alle Fehler der Bush-Regierung auf politikwissenschaftlichem Sprachniveau erläutern kann. Für rund 37 Prozent der Demokraten, soviel etwa machen die hartgesottenen Stammwähler Deans bereits aus, reicht es vielmehr, wenn ihr neuer Guru ihnen bei einer Wahlversammlung zubrüllt: "Der muss weg!"
Im Staate Iowa im Mittelwesten hingegen, wo bisher traditionell die erste Vorwahl unter den Kandidaten begann, spricht der einstige Arzt Dean anders. Dort, so weiß er, nützen ihm Sprüche nichts. Die Bauern von Iowa wollen von ihm vielmehr wissen, was er von den niedrigen Schweinepreisen hält und wie er die Kühe vor BSE schützen will. Dean tritt vor den Landwirten gesetzter auf, als spreche er zu Patienten. Er erläutert in scheinbar einfachen Worten seine "Therapie" für die amerikanische Wirtschaft. Die oft deutschstämmigen Bauern nicken, verstehen ihn aber dennoch nicht. Was bleibt, ist der Eindruck: "Dr. Dean" weiß schon, was für den Patienten am besten ist. Diese typische besserwisserische Arzt-Haltung erklärt indes seinen bisherigen Erfolg am deutlichsten: Howard Dean ist in der Lage, den seit drei Jahren maßlos enttäuschten Massen der Demokraten den Eindruck zu vermitteln, er, nur er, sei in der Lage, jene Wunden, die Präsident Bush der Nation zugefügt habe zu heilen. Dean kann sich dabei oft in die dümmlichsten Abstrusitäten versteigen, etwa, Präsident Bush habe vom Terroranschlag am 11. September im voraus Kenntnis gehabt, all dies spielt für seine Anhänger keine Rolle. Wie einst der neurotische Kommunisten-Hetzer Joseph McCarthy in den 50er Jahren, genügt es auch Dean jetzt, einfach Behauptungen aufzustellen, um den Beweis für das Gegenteil dann dem Angeschuldigten zu überlassen.
Warum nun findet dieser Demagoge ausgerechnet unter der sonst sehr kritischen Intellektuellenschicht der Ostküste scharenweise Zuläufer. Der junge Politik-Professor an der renommierten Georgetown-University, Michael Bailey, fand im Gespräch mit dieser Zeitung folgende Erklärung: "Für mich zum Beispiel ist Dean nicht die erste Wahl unter den Kandidaten. Wenn er aber am Ende des Auswahlwettbewerbs als derjenige übrigbleibt, der gegen Bush antritt, werde ich für ihn stimmen. Denn die Politik des Präsidenten halte ich für eine Katastrophe, innen- wie außenpolitisch."
Baileys Ansicht ist repräsentativ für die amerikanische Bildungsschicht, das geht aus zahlreichen Meinungsäußerungen der Universitäten hervor.
Dean hat nachweislich innenpolitisch wenig Erfahrung, außenpolitisch gar keine; er verwickelt sich ständig in Widersprüche, lässt sich von der erzkonservativen Waffen-Lobby sponsern und agiert gegenüber Afro-Amerikanern oft an der Grenze zum Rassismus. Dies alles weist ihn nicht als geschicktes Naturtalent aus. Zählt diese Addition an Negativ-Charakteristika für die demokratischen Wähler derzeit gar nicht?
Professor Bailey: "Deans ungeschickte Äußerungen, seine mangelnde Erfahrung, das legt sich schon mit der Zeit, wenn er erst einmal im Weißen Haus ist."
Um dorthin zu gelangen, muss Dean als ersten Schritt mit einer überzeugenden Mehrheit der demokratischen Wähler in den 50 Bundesstaaten die Nominierung der Partei gewinnen. Die Vorwahlen dienen dieses Jahr ausschließlich der Kandidatenfindung unter den Demokraten. Die Republikaner führen keine Vorwahlen durch. Bei ihnen steht Präsident Bush für eine zweite Amtszeit als Kandidat der Partei fest.
So bekämpfen sich also die Demokraten erst einmal allein. Von "Selbstzerfleischung" spricht deshalb der Front-Runner Dean, da sich seine acht Parteigegner förmlich gegen ihn verschworen haben.
Die Hauptattacken gegen Dean reitet indes nicht einer der seriösen Mitbewerber wie Kerry oder Joseph Lieberman, sondern der aussichtslose Reverend Al Sharpton, ein schwarzer Prediger aus New York.
Seitdem Dean öffentlich um die konservativen, bibelfesten Wähler der amerikanischen Südstaaten wirbt, jene, die mit der Konföderiertenflagge auf ihren Autos herumfahren - dem Symbol der weißen Sklavenhalter aus dem 19. Jahrhundert - und außerdem zur gleichen Zeit von heute auf morgen "Jesus als meinen Wegbegleiter" entdeckt hat, randaliert der demokratische Reverend gegen Dean, nennt ihn "Heuchler" und "eine Schande für die Demokraten".
Obwohl Sharpton weiß, dass seine Bewerbung ums Weiße Haus chancenlos ist, will er dem "Schwarzen Amerika" eine Stimme verleihen. Denn er findet - zu Recht - dass die rund 25 Millionen Afro-Amerikaner zunehmend an Einfluss verlieren. Andere Minderheiten, wie die spanischsprachigen Einwanderer, haben die Schwarzen zahlenmäßig übertroffen. Um dem weißen Yankee Dean aus dem hohen Norden Vermont zu beweisen, dass er keine Ahnung von den Nöten der Afro-Amerikaner hat, betreibt Sharpton vor allem in den schwarzen Hochburgen des Landes einen intensiven Wahlkampf. Dazu gehört auch die Hauptstadt Washington, in der mehr als 70 Prozent der Einwohner afro-amerikanischer Herkunft sind. Die Hauptstadt ist gleichzeitig ein Bundesbezirk, der District of Columbia, und hat deshalb keine gewählten Vertreter im Kongress. Laut Verfassung dürfen nur Bundesstaaten Senatoren und Abgeordnete in den Kongress entsenden. Um gegen diesen seit geraumer Zeit als undemokratisch empfundenen Zustand zu protestieren, haben die Demokraten des District of Columbia (D. C.) dieses Jahr einfach selbstständig eine Vorwahl durchgeführt, noch vor der eigentlichen ersten im Staat Iowa.
Allerdings blieben fünf Kandidaten dieser D. C.-Vorwahl fern, da sie gegen die politischen Ambitionen des Bundesbezirks sind. Hingegen kandidierten Howard Dean und Al Sharpton sowie zwei weitere, unbedeutende Kandidaten. Dean setzte sich in dieser Wahl klar als Spitzenkandidat durch, und der schwarze Reverend Al Sharpton hat seinen ersten Dämfer erhalten. Denn seine potentielle Klientel blieb lieber zu Hause. Lediglich acht bis zehn Prozent der als Demokraten eingeschriebenen Wahlberechtigten bemühten sich zu den Wahllokalen.
Während Dean seinen Wahlsieg dahingegen interpretiert, dass er offenbar doch in der Lage sei, schwarze Wähler anzusprechen, liegt die Vermutung von Al Sharpton wohl näher: In DC, wo drei Renommier-Universitäten miteinander wetteifern, haben in erster Linie die weißen demokratischen Intellektuellen ihre Stimme abgegeben, also jene, die voll und ganz auf Dean "abfahren".
Das extrem hohe Desinteresse der Afro-Amerikaner an Politik, noch dazu in einem weit überwiegend schwarzen Wahlbezirk, in dem mit Leichtigkeit ein farbiger Politiker jede Wahl gewinnen könnte, wirft dunkle Schatten für die Demokraten auf die eigentliche Präsidentschaftswahl im November voraus. Anders als zur Regierungszeit von Bill Clinton empfinden die Afro-Amerikaner in zunehmendem Maße keine absolute Bindung mehr mit den Demokraten. Das liegt teilweise an der erfolgreichen Strategie der Republikaner, unter den schwarzen Stammwählern der Demokraten zu wildern. Mit steigendem Einkommen und höherem Bildungsgrad wählen Afro-Amerikaner konservativ! Zum anderen liegt es auch an den Kandidaten der Demokraten, die längst nicht mehr jene Ausstrahlung auf schwarze Wähler haben, wie einst Robert Kennedy oder Bill Clinton. Deshalb könnte es gut sein, dass am Wahltag im Herbst die weit überwiegende Mehrheit der Afro-Amerikaner gar nicht wählen geht - sehr zum Schaden der Demokraten.
Präsident Bush scheint diesen Trend erkannt zu haben, immerhin hat er drei hochrangige Afro-Amerikaner in seinem Kabinett. Der Präsident allerdings zielt auf eine ganz andere Wählergruppe: die inzwischen auf 30 Millionen angewachsene Minderheit der spanisch-sprachigen Einwanderer aus Lateinamerika. Bush kündigte kürzlich an, er werde dem Kongress vorschlagen, den schätzungsweise acht bis zwölf Millionen illegal in die USA eingewanderten Hispanos mit einem Federstrich den Rechtsstatus von Gastarbeitern zu gewähren. Mit dieser Initiative erhofft er sich, weitere Sympathien unter der großen Masse an latino-stämmigen Wählern zu gewinnen. Diese sind in der Regel katholisch-konservativ, strebsam und haben "keine linken Flausen" im Kopf. Schon als Gouverneur von Texas umwarb George W. Bush die Hispanics, mehr noch bei der Wahl im Jahr 2000, als er als erster Präsidentschaftskandidat Werbematerial in Spanisch verteilen ließ, darunter die Ansteck-Buttons
"Viva Jorge!" - Hoch lebe George.
Inzwischen protestieren die ersten Parteigenossen gegen den "Ausverkauf" republikanischer Politik. Es gibt namhafte Stimmen in der Partei, die alle illegalen Einwanderer des Landes verweisen und einen Einwanderungsstopp von fünf Jahren verhängen wollen. Für sie ist die Absicht des Präsidenten, die Illegalen auch noch zu belohnen, ein Schlag ins Gesicht. Es gibt zahlreiche republikanische Abgeordnete aus den Bundesstaten an der mexikanischen Grenze, die deshalb um ihre Wiederwahl bangen. Dort nämlich wird der enorme legale und illegale Einwanderungsdruck der armen Südamerikaner als "Invasion" empfunden.
Man darf gespannt sein, ob Dean dieses konservative Unmutspotential für sich entdeckt. Dann würde es eng werden für Bush.