Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 03-04 / 19.01.2004
Constanze Hacke

Vom Versuch, richtig gerecht zu sein

Warum das deutsche Steuerrecht so kompliziert ist

Ein einfaches Steuerrecht - wer wollte das nicht? Zumindest könnte man das annehmen, wenn man den Reformdebatten-Eifer der vergangenen Wochen um das Thema Steuervereinfachung betrachtet. Allerdings: Eine richtige Steuerreform, eine, die alles einfacher und gerechter macht, ist eine der schwierigsten Aufgaben der Politik. Nicht erst seit den vergangenen Monaten wird in Deutschland über die Komplexität des Systems, über zu hohe Steuern und über Verteilungs-Ungerechtigkeiten geklagt. Vor 50 Jahren war das nicht anders.

Warum aber gibt es dann noch kein einfaches Steuersystem in Deutschland? Die Antwort ist so simpel wie in ihren Auswirkungen komplex: Jeder Einzelfall soll steuerlich so individuell und gerecht wie möglich behandelt werden. Ein Dickicht von Paragrafen und Ausnahmetatbeständen macht das deutsche Steuersystem für den Laien daher inzwischen nahezu unverständlich. Das Ganze ist aus Sicht vieler Steuerzahler lediglich ein Umschichten von der linken in die rechte Tasche. Darin, dass das Steuerrecht erneuerungsbedürftig ist, sind sich Politiker und Wähler einig.

Immerhin: Im Laufe der langen deutschen Geschichte hat sich doch etwas getan, zumindest in punkto Gerechtigkeit. Das war zunächst einmal nicht das, was deutsche Fürsten mit Steuern im Sinn hatten. Die Ursprünge des deutschen Steuersystems lassen sich bis in das frühe Mittelalter zurückverfolgen: Finanznot führte zu den Anfängen einer systematischen Besteuerung. Mit Verbrauchsabgaben deckten die aufblühenden Städte ihren wachsenden Finanzbedarf, der allein durch Stadtzölle nicht ausgeglichen werden konnte. Alkoholische Getränke und andere Genussmittel waren die ersten Erzeugnisse, die besteuert wurden. Einige dieser Steuern, etwa die Bier- oder die Getränkesteuer, haben sich bis heute als Einnahmequelle des Staates erhalten. Mit dem Aufblühen des Handels in den Städten wurden auch die Vorläufer der heutigen Gewerbesteuer eingeführt, die Marktgelder.

Ab dem 15. Jahrhundert traten die Landesfürsten auf den Plan, die die Steuern als Finanzierungsquelle entdeckten und sich nicht nur der Einnahmen des Bierpfennigs bemächtigten. Die Grundsteuer erlangte eine beherrschende Stellung in den Steuersystemen der Territorien. Auch die Anfänge der Lohnsteuer sind im ausgehenden Mittelalter zu suchen. Denn Verbrauchsabgaben allein, das erkannten die Landesoberen schnell, brachten keine ausreichenden Einnahmen ein. Mit einer festgelegten Kopfsteuer wurden nun auch die vermögenslosen Personen erfasst, die nur ihre Arbeitskraft als Einnahme besaßen.

Bis heute hat sich an einem wichtigen Zweck der Steuern nichts geändert: Sie sollen dem Staat Geld zur Erfüllung seiner Aufgaben verschaffen. Da dies aber nicht mehr wie im Mittelalter willkürlich geschehen sollte, versuchten Reformpolitiker bereits im 19. Jahrhundert, eine gleichmäßige Besteuerung zu erreichen. 1891 kam so die Einheits-Einkommensteuer mit Erklärungspflicht und Progression ins deutsche Steuersystem. Gleich, welche Bemühungen die Politiker jedoch anstrengten, um das System gerechter zu gestalten, an einer Tatsache kamen sie nicht vorbei: Steuern verändern als eine finanzielle Last die wirtschaftliche Lage eines Steuerpflichtigen und setzen damit einen Kreislauf in Gang, der wiederum andere Belastungen hervorruft und somit neue Gerechtigkeitsbestrebungen verursacht.

Beispiel Umsatzsteuer: Sie verteuert Waren um 16 Prozent des eigentlichen Kaufpreises. Kauft ein Handwerker Materialien ein, gibt er diese Steuerausgaben über einen erhöhten Wiederverkaufspreis oder einen höheren Stundenlohn an seinen Kunden weiter. Diesem wird wiederum aus Gerechtigkeitsgründen möglich gemacht, die Ausgaben von seiner Steuerlast abzuziehen. Der Staat hat so geringere Steuereinnahmen und muss an anderer Stelle versuchen, diese zu ersetzen. Also erhöht der Gesetzgeber den Mehrwertsteuersatz. Und so geht das Spiel wieder von vorne los.

Neben den Bestrebungen nach Einzelfallgerechtigkeit steigt auch die Neigung der Politik, über Steuern zu steuern, sprich einen angenommenen Lenkungseffekt bewusst einzusetzen. Dies funktioniert - davon gehen Politiker in der Regel aus - sowohl über höhere Steuern als auch über Steuervergünstigungen. Beispiel Ökologie: Die Mineralölsteuer ist eine der wichtigsten Steuereinnahmen in Deutschland. Um umweltpolitische Ziele zu erreichen, wird die Mineralölsteuer seit 2001 für Benzin und Dieselkraftstoff kontinuierlich angehoben. Im Gegenzug werden für die Verwendung von Flüssig- oder Erdgas ermäßigte Steuersätze festgelegt. Beispiel Wohnungspolitik: Mit der Subvention in Form der Eigenheimzulage wird der selbstgenutzte Wohnraum gefördert, Wohnungsbau und Fremdvermietung werden steuerlich begünstigt. Die Reihe der im ursprünglichen Sinne durchaus sinnvollen Lenkungsversuche ließe sich beliebig fortsetzen.

Das Institut für Weltwirtschaft Kiel beziffert die Summe aller Subventionen und Vergünstigungen für das Jahr 2001 auf ein Volumen von 156 Milliarden Euro. Allein 40 Milliarden Euro machen die Steuervergünstigungen aus. Die Kieler Wirtschaftsexperten verweisen in ihrer Untersuchung auf einen entscheidenden Punkt: Die Steuerzahler müssen diese Milliardenbeträge letztlich selbst aufbringen. Subventionen seien, jedenfalls auf mittlere Sicht, mit einer erhöhten Steuerbelastung verbunden. Das Institut macht folgende Rechnung auf: Würden die Subventionen innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren ganz gestrichen, so könnten die Einkommensteuersätze letztlich um fast zwei Drittel verringert werden.

Hier versuchen nun viele Konzepte für eine Vereinfachung unseres Steuersystems anzusetzen: Abbau von Subventionen und Vergünstigungen und ein dreistufiges Steuertarif-Modell, so lauten einige Vorschläge. Aber der Bumerang des Bemühens um Einzelfallgerechtigkeit in einem komplizierten Steuersystem kehrt genau hier zurück. Denn jeder Politiker, der es wagt, Vergünstigungen auf den Prüfstand zu stellen, muss sich des Vorwurfs erwehren, die Betroffenen benachteiligen zu wollen. Beispiel Entfernungspauschale: Welcher Politiker möchte sich schon den Vorwurf gefallen lassen, er bestrafe flexible Arbeitnehmer, die weite Wege zum Betrieb in Kauf nehmen müssen?

Eine Reform, die an einigen Subventionsschrauben dreht, andere Vergünstigungen aber unangetastet lässt, hilft der künftigen Steuergerechtigkeit wohl nur wenig. Immerhin: Finanzwissenschaftler wie Paul Kirchhof sehen eine zunehmende Sachlichkeit und Erneuerungsbereitschaft in der steuerpolitischen Debatte. Kirchhof ist der Überzeugung, dass mit einem konsequenten Subventionsabbau dem Steuerpflichtigen Freiheit zur ökonomischen Vernunft zurückgegeben wird. Das Institut für Weltwirtschaft Kiel glaubt, dass auch die Eigenverantwortlichkeit der Länder und Gemeinden in der Steuerpolitik durch eine derartige Grundsatzreform gestärkt würde. Ein einfaches Steuerrecht wäre also letztlich wohl auch ein wirtschaftlich vernünftiges Steuerrecht.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.