Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 05-06 / 02.02.2004
Igal Avidan

Friedensinitiative von unten

Israelisch-palästinensischer Appell

Die Sheinkin-Straße im Zentrum Tel-Avivs an einem sonnigen Dienstagvormittag. Ofry Levi und Judi Duanis, zwei junge Frauen, stehen neben dem Stand der neuen Friedensinitiative "Der Nationale Appell". Hinter ihnen liegt ein kleiner Garten, links neben ihnen ist der größere Dauerstand der staatlichen Lotterie, "Mif'al Hapaiss", vor ihnen frühstücken junge Leute entspannt in den zahlreichen Straßencafes dieser unter Jugendlichen sehr populären Straße.

Levi ist eine zierliche, dunkelhäutige 27-Jährige mit einem silbernen Davidstern am Hals und die Haare im Afrolook gekämmt. Sie trägt eine riesige Sonnenbrille, Sportschuhe, Jeans und einem schwarzen Ledermantel. Dass sie sich für den Frieden engagiert habe auch mit ihren politischen Ansichten zu tun, sagt die Schauspielerin und Sängerin, aber vor allem sei es ein Job. "Die wirtschaftliche Lage hier ist katastrophal und mit meinem Beruf kann ich mich nur teilweise finanzieren. Ich arbeite hier aber auch, weil ich an die Idee der friedlichen Koexistenz glaube. Ich tue es wirklich gern, auch wenn die Passanten manchmal sehr unangenehm reagieren. Ich werde oft beschimpft. Zu physischer Gewalt ist es bisher nicht gekommen, weil man in Israel nicht so schnell eine Frau schlagen würde."

Nach einem dreijährigen Winterschlaf, in dem die Friedensbewegung die allgemeine Losung, wonach es keinen palästinensischen Partner gibt, nicht zu hinterfragen wagte, konkurrieren zur Zeit mehrere Friedensinitiativen miteinander. Besonders umstritten ist die Genfer Initiative des ehemaligen Justizministers Yossi Beilin und des palästinensischen Informationsministers Jassir Abed Rabbo, die im Gegensatz zum Nationalen Appell als links gilt. Ofry Levi und Judi Duanis arbeiten wie Dutzende anderer Hilfskräfte für eine andere Friedensinitiative von unten, den Nationalen Appell. Ungewöhnlich ist diese Initiative in vieler Hinsicht, nicht zuletzt, weil sie unparteiisch ist und dennoch starken Rückhalt in der Bevölkerung genießt. Tausende stehen auf der Aktivistenliste, Hunderte arbeiten ehrenamtlich.

Anfang Juli lancierten der ehemalige Geheimdienstchef Ami Ayalon und der Präsident der palästinensischen Al-Quds-Universität in Ost-Jerusalem Sari Nusseibeh eine neue, bisher einmalige Friedensinitiative. "Der Nationale Appell soll die Road Map korrigieren und den fehlenden Baustein hinzufügen, nämlich das Ziel der Road Map", so Ayalon.

Dieses Ziel umfasst sechs Grundsätze: Die Gründung eines Palästinenserstaates und die Anerkennung Israels als jüdischer Staat. Auf der Grundlage der Grenzen von 1967 werden beide Seiten Gebiete im Verhältnis 1:1 austauschen, um zu verhindern, dass Siedler in Palästina bleiben; Jerusalem wird die Hauptstadt beider Staaten, wobei arabische Stadtteile unter palästinensisch, jüdische Stadtteile unter israelisch und die Heiligen Stätten neutral verwaltet werden. Palästinensische Flüchtlinge dürfen nur nach Palästina zurückkehren, nicht nach Israel. Diejenigen, die nicht zurückkehren wollen, werden von der internationalen Gemeinschaft entschädigt. Außerdem wird der Staat Palästina entmilitarisiert. Beide Seiten werden nach Erfüllung dieser Prinzipien das Ende des israelisch-palästinensischen Konfliktes erklären.

Von Politikern halten sich die Initiatoren fern. Ayalon verabscheut die "konstruktive Zweideutigkeit" der Oslo-Verträge. Als dekorierter Kriegsheld einer Eliteeinheit, Befehlshaber der Marine und schließlich Geheimdienstchef gilt er als unangreifbarer "Mr. Sicherheit". Da er keine politische Ambitionen hegt und penibel darauf pocht, ein Mann der Mitte und kein Linker zu sein, bietet er keine Angriffsfläche.

Bisher hat Ayalon lediglich 133.000 Unterschriften gesammelt, was im Vergleich zu Nusseibehs 70.000 enttäuschend niedrig ist. Das hat Ofry Levi gleich erkannt. Anfangs wartete sie darauf, dass die israelischen Passanten auf sie zugehen würden, aber es wurden nur ein paar Rentner aufmerksam. Inzwischen konfrontiert sie die politikverdrossenen Israelis direkt: "Meine Dame, das ist eine zivile Initiative, die vom Volk kommt", wendet sie sich an eine Frau. Nach jüngsten Umfragen befürworten zwei Drittel der Israelis die Gründung eines Palästinenserstaates und 60 Prozent stimmen der Räumung der meisten jüdischen Siedlungen zu. Aber nur ein Viertel glaubt, dass ein Frieden mit den Palästinensern in den kommenden fünf Jahren möglich sei. Die Palästinenser haben aber seit kurzem eine neue und bemerkenswerte Friedensbewegung, "Die Volkskampagne für Frieden und Demokratie" unter Nusseibehs Führung. Sein Sprecher Dimitri Diliani berichtet über 1.200 Freiwillige, zumeist lokale Fatah-Führer, die viel Anerkennung in der Bevölkerung genießen und "von Dschenin bis Gaza" Unterschriften sammeln. So wie die Israelis sind auch viele Palästinenser von der Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit Ayalons überzeugt. Ansonsten kooperieren beide Initiativen nicht miteinander.

Zurück nach Tel-Aviv: Levi stößt bei drei Bevölkerungsgruppen auf totalen Widerstand: bei Einwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion, Ultraorthodoxen und palästinensischen Israelis. Die Ultraorthodoxen leben in ihrer eigenen geschlossenen Welt und wollen weder mit dem Staat Israel noch mit Levi als Frau zu tun haben. Im Gegensatz dazu zeigen sich manche Nationalreligiöse kompromissbereit und unterschreiben. Als sie Unterschriften an Universitäten gesammelt habe, begegnete sie arabischen Israelis, die sich gegen diese Initiative stellten, weil sie das Rückkehrrecht der Flüchtlinge nach Israel ausschließt.

133.000 Israelis und 85.000 Palästinenser haben bisher die Grundsätze des Nationalen Appells unterschrieben. Aber, weiß Ayalon: "Nur wenige Israelis sind bereit, meine Erläuterungen anzuhören. Die meisten leben in den Tag hinein. Und letztendlich sind ohne Hunderttausende Unterschriften all meine Reden Quatsch." Er zeigt auf ein großes Werbeplakat mit dem Slogan: "Wollt ihr, dass Maccabi Haifa seine Heimspiele im Europapokal in Israel spielt? Dann unterschreibt dieses Abkommen!"


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.