Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 05-06 / 02.02.2004
Jutta Witte

Ins schwarze Loch der schwarzen Kassen gefallen

Hessen: Ex-Innenminister Kanther wegen Untreue vor Gericht

Der Spendenskandal der hessischen CDU wird nun doch juristisch aufgearbeitet. Ex-Innenminister Manfred Kanther und der langjährige Schatzmeister der hessischen Christdemokraten, Casimir Prinz Wittgenstein, müssen sich wegen "Untreue zum Nachteil der CDU Hessen" vor der 6. Wirtschaftsstrafkammer des Wiesbadener Landgerichts verantworten. Der ehemalige CDU-Steuerberater Horst Weyrauch steht wegen Beihilfe zur Untreue ebenfalls vor Gericht.

Nach über einjähriger Prüfung hat das Frankfurter Oberlandesgericht (OLG) das Hauptverfahren gegen die drei Angeklagten zugelassen und damit einen Beschluss des Wiesbadener Landgerichts von März 2002 rückgängig gemacht, das einen Prozess abgelehnt hatte mit der Begründung, der Fall sei verjährt und der Partei sei durch den illegalen Transfer des Parteivermögens in die Schweiz kein Schaden entstanden.

Stolze 20,8 Millionen Mark - nach Angaben des OLG-Frankfurts 90 Prozent des Parteivermögens - hatten die drei Ende 1983 und Anfang 1984 vom Konto der hessischen CDU bei der Frankfurter Metallbank heimlich abgezogen und auf einem schwarzen Konto beim Schweizer Bankverein deponiert. Ein neues Parteiengesetz drohte und damit die Offenlegung des Parteivermögens und seiner Herkunft, die nach Auffassung von SPD und Grünen bis heute ungeklärt ist. Auch das Wiesbadener Landgericht hatte in seinem Beschluss von illegalen Geldern "in nennenswertem Umfang" gesprochen. Mit ihrer Verschiebung ins Ausland sollten die Millionen, die bis zur Aufdeckung des Skandals im Januar 2000 als schwarze Kasse fungierten, "neugierigen Blicken entzogen" werden und die "jederzeitige Kampffähigkeit der CDU sicherstellen", wie Kanther freimütig einräumte.

Hessens Christdemokraten profitierten durchaus von dem geheimen Schatz. Mal floss unter der Regie Wittgensteins und Weyrauchs das Geld als vermeintliche Spende, mal als fingiertes Darlehen, mal getarnt als jüdisches Vermächtnis nach Deutschland zurück. Mit Hilfe des Schwarzgeldes finanzierte der Landesverband - ohne Wissen um die Existenz der geheimen Kriegskasse, wie bis heute beteuert wird - nicht nur eine neue Parteizentrale und EDV-Anlagen, sondern auch den Wahlkampf von Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth. Allein 1,4 Millionen Mark flossen schließlich 1998 als angebliches Darlehen des "Prinzen" in den Wahlkampf, mit dem Roland Koch seine erste Landtagswahl gewann.

Kanthers Eingeständnis der illegalen Finanzpraktiken am 14. Januar 2000 trat eine Lawine los, die die Landespolitik in Hessen über zwei Jahre dominieren sollte. Im Zuge der Affäre konnte Regierungschef Roland Koch seinen Kopf nur knapp retten, sein Staatskanzleichef Franz-Josef Jung musste jedoch zurücktreten - als Bauernopfer, wie die Opposition mutmaßt. Die mit Schwarzgeld gewonnene Landtagswahl von 1999 beschäftigte außerdem die juristischen Instanzen bis hin zum Bundesverfassungsgericht.

Während Koch und andere Mitglieder aus der hessischen CDU-Spitze vor den Untersuchungsausschüssen in Wiesbaden und Berlin zu Protokoll gaben, von dem schwarzen Parteivermögen nichts gewusst zu haben, räumte Kanther seine Rolle in der Finanzaffäre stets ein.

Politisch übernehme er die Verantwortung, betonte der 64-Jährige, der im Januar 2000 sein Bundestagsmandat zurückgab und seitdem zurückgezogen in Wiesbaden lebt. Er habe niemanden schädigen wollen und faktisch sei seiner Partei kein Schaden entstanden. Dies sieht die Wiesbadener Staatsanwaltschaft, die im Mai 2001 Anklage gegen ihn, Wittgenstein und Weyrauch erhob, allerdings anders. Immenser Schaden sei Hessens Christdemokraten aus drei Gründen entstanden, argumentiert sie: die Partei habe über ihr Vermögen nicht mehr frei verfügen können, die Verwaltung der schwarzen Kasse habe zusätzliche Kosten verursacht und nicht zuletzt sei die Partei durch falsche Rechenschaftsberichte finanziellen Sanktionen des Bundestagspräsidenten ausgesetzt.

Auch ein weiterer Einwand Kanthers, sein Fall sei verjährt, ist mit der Entscheidung des OLG Frankfurt widerlegt. Wie die Staatsanwaltschaft gehen auch die Frankfurter Richter davon aus, dass es sich bei den Vorwürfen um eine einheitliche Tat von der Verschiebung des Geldes 1984 bis zum letzten Geldrückfluss 1999 handelt und die fünfjährige Verjährungsfrist außerdem mit der Anklageerhebung im Mai 2001 unterbrochen wurde.

Während der Generalsekretär der hessischen CDU, Michael Boddenberg, den OLG-Beschluss nur mit einer Pressenotiz "zur Kenntnis nahm", begrüßen SPD und Grüne die Eröffnung des Prozesses. Von dem Verfahren erhoffen sie sich Erkenntnisse, die ihnen in den beiden Untersuchungsausschüssen verweigert worden seien. Er gehe davon aus, dass die Zeugen vor Gericht angesichts drohender Strafen "ergiebiger" antworten, erklärte SPD-Fraktionschef Jürgen Walter.

"Die spannende Frage ist jetzt", sagte der Vorsitzende der Grünenfraktion, Tarek al Wazir, "ob Manfred Kanther auch alle Schuld auf sich nimmt, wenn ihm die Verurteilung droht." Der Beginn des Prozesses ist nach Angaben des Wiesbadener Gerichts derzeit noch offen.


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