Aus gut unterrichteten Kreisen war im Vorfeld zu erfahren, dass ursprünglich auf deutscher Seite die Hoffnung bestand, der Kanzler werde mit dem amerikanischen Präsidenten zusammen diese einzigartige Kunstausstellung eröffnen. Präsident Bush verspricht sich aber eine höhere Medienwirksamkeit davon, wenn sein Antipode zu ihm in die Hauptstadt kommt. Dabei können sich beide Seiten solch protokollarische Kinkerlitzchen derzeit gar nicht leisten.
"United we stand, divided we fall", heißt es in John Dickinsons amerikanischem Freiheitslied von 1768. Dieser Vers, frei übersetzt "Einigkeit macht stark, Uneinigkeit führt zum Fall" trifft wie kein anderer auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen zu. Oder besser noch: auf die beiden Staatslenker Gerhard Schröder und George W. Bush.
Der eine kommt am 27. Februar "nur" noch als Bundeskanzler nach Washington, geschwächt um den Sessel des SPD-Parteivorsitzenden. Der andere muss kleinlaut vor seinem Volk einräumen: Es gab keine Massenvernichtungsmittel im Irak. Die "unmittelbare Bedrohung für Amerika", mit der Präsident Bush seinen Feldzug gegen Saddam begründete, gab es nie.
Beiden, dem Kanzler wie dem Präsidenten, bläst zuhause heftiger Gegenwind ins Gesicht. Bei Schröder ist es die eigene Partei, bei Bush die demokratische Opposition, die sich zunehmend formiert, um ihn im November aus dem Amt zu wählen.
Schwieriges Verhältnis
Beide brauchen jetzt Erfolge. Die Chemie zwischen Bush und Schröder hat noch nie gestimmt. Hinzu traten von Anfang an tiefgreifende unterschiedliche Einschätzungen und Ziele in der Weltpolitik. Umso bemerkenswerter, dass beide - der Kanzler mehr, der Präsident weniger - über diesen Schatten springen und nun der Öffentlichkeit beweisen können, dass sie in der Lage sind, auf internationaler Ebene Sachpolitik über persönliche Querelen zu stellen.
Bundeskanzler Schröder wurde von der deutschen Wirtschaft eingeheizt; dass der Euro so gut dasteht, ist kein Verdienst der Bundesregierung, sondern liegt an der derzeitigen überdehnten Machtpolitik der USA, der an den internationalen Finanzmärkten misstraut wird. Schröders notwendiges Reformpaket, das nach Sicht internationaler Wirtschaftsexperten immer noch viel zu kurz greift, wird von Parteitechnokraten in Deutschland torpediert. Deshalb sieht es um die Arbeitsplätze und damit um die Kaufkraft und Wirtschaftswachstum weiterhin eher düster aus. Zugegeben: Im Vergleich zu den USA steht Deutschland immer noch glänzend da. Echte Existenzarmut, Hunger und trostlose Aussichten für das Alter gibt es in Deutschland nicht, wohl aber millionenfach im "Land der unbegrenzten Möglichkeiten". Dennoch hält der wirtschaftliche Trend nach unten in der Bundesrepublik nun schon viel zu lange an. Hinzu kommt die Überalterung der Bevölkerung, die in den USA zum Beispiel durch den jährlichen Zuzug von mindestens einer Million Einwanderern aufgefangen wird. In Deutschland aber gibt es immer noch kein Einwanderungsgesetz; "Zuwanderungsgesetz" nennt man es verschämt und versieht es mit viel zu vielen bürokratischen Klauseln. Dabei steht Deutschland, was sein Image anbelangt, sehr gut da. Wer reist, spürt dies allerorten. Insbesondere in den USA spielt die Missstimmung auf hoher politischer Ebene keine Rolle. Im Gegenteil: Es herrscht geradezu Bewunderung für das selbstbewusste Auftreten eines neuen Deutschlands. Nicht nur unter den oppositionellen Demokraten, sondern auch unter weitsichtigen Republikanern wird anerkannt, dass die USA von einem starken Deutschland eher profitieren können. Wirtschaftlich und politisch schwache Verbündete hat die USA genug. Was fehlt, ist ein echter gleichwertiger Bündnispartner. Die vor einem Jahr von einigen Politikern des rechten Spektrums angekündigten "Boykotte" gegen die "starrsinnigen" Europäer sind zumindest auf Deutschland bezogen nahezu ausgeblieben. Tom DeLay, republikanischer Hardliner und Sprecher im Repräsentantenhaus, hat im Februar 2003 großmundig umfangreiche "Bestrafungen" Deutschlands und Frankreichs angekündigt. Weil beide sich einer militärischen Invasion des Irak verweigerten. Heute wird Präsident Bush aus der gleichen Ecke, und viel lauter noch seitens der Demokraten, aufgefordert, wieder mit genau jenen Geächteten ins Gespräch zu kommen.
Die USA, nun selbst finanziell bis aufs Äußerste angespannt, brauchen Partner, die Geld haben, die ihr internationales Engagement selbst bezahlen können. Da bleiben, weltweit betrachtet, nicht viele Länder übrig, genau genommen nur die EU, und innerhalb dieser wiederum in erster Linie Deutschland.
Diese amerikanische Erkenntnis versetzt Bundeskanzler Gerhard Schröder in eine hervorragende Verhandlungsposition am 27. Februar bei seinem Gespräch mit Präsident Bush im Oval Office. Diesmal wollen die Amerikaner nicht bedingungslose Nibelungentreue, sondern sind bereit, etwas anzubieten: Geschäfte im und mit dem neuen Irak. Bundeskanzler Schröder kann es sich angesichtes der heimischen wirtschaftlichen Misere diesmal nicht leisten, persönliche Abneigungen über Realpolitik zu stellen. Deutschland ist Exportland. Es ist arm an Bodenschätzen bei gleichzeitig hohem Energiebedarf. Der Aufbau des Irak zu einem modernen Industriestaat bietet, auch aufgrund der relativen geografischen Nähe zu Europa, Chancen für deutsche Arbeitskräfte und den Handel, die man in der derzeitigen Situation nicht verspielen sollte. Den Moralisten sei an dieser Stelle gesagt: Auch wenn Deutschland von allen Nationen dieser Welt die besten Gründe hatte, sich nicht an der Invasion im vergangenen Jahr zu beteiligen, hat es jetzt vielleicht sogar eine moralische Pflicht, dazu beizutragen, dass das "Demokratie-Projekt Irak" nicht scheitert. Die Sicherung einer nachhaltigen Demokratie kann aber nur bei gleichzeitig steigendem Wohlstand gelingen, das wissen die Deutschen selbst am besten.
Der Preis, den Präsident Bush von Bundeskanzler Schröder erwartet, sind deutsche "Peace Keeper", sprich Bundeswehr im Süd-Irak. Es geht dabei nicht um symbolische Kontingente von Bundeswehr-Sanitätszügen, sondern um eine substantielle Beteiligung von mindestens 1.500 deutschen Friedenshütern, möglicherweise mit steigender Tendenz, so wie in Bosnien, im Kosovo und in Afghanistan. Der amerikanische Präsident, der die Unterstützung der Deutschen dringend braucht, wäre allerdings gut beraten, wenn er Schröder für solch eine "Kehrtwende" eine diplomatische Brücke bauen würde, etwa einen NATO- oder neuen UNO-Beschluss zur Entsendung von Friedenstruppen. Erst muß der "hautgoût" beseitigt werden, die Bundeswehr gebe sich als Hilfstruppen der Marines her.
Als weitere Gesprächsinhalte gaben beide Regierungen ferner die Themen Nahost und Afghanistan bekannt, zwei außenpolitische Felder, über die weitgehend Konsens herrscht und wo das deutsche Engagement auch von amerikanischer Seite gebührend gewürdigt wird. Es ist die Unterstützung der Bundesregierung beim Wiederaufbau Afghanistans, die die amerikanische Kritik an Schröders so genanntem Anti-Kurs gedämpft hat. Jetzt können beide Staatsmänner auf dieser Gemeinsamkeit aufbauen, um zu einer Partnerschaft auf der Weltbühne zurückzufinden.