Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 07-08 / 16.02.2004
Detlef Hamer

Wandel und Kontinuität der Urteile und Wertungen

Günter Grass im "Leseland DDR"

Die "Stimmen aus dem Leseland" über Günter Grass und sein literarisches Werk - eine Apostrophierung, die heute mehr denn je nicht bloß unterschwellig ironisch klingt, sondern einen Hauch der Verklärung in sich trägt -, erstrecken sich auf die Zeit von 1957 bis 1999. Gleichwohl markiert die Textabfolge in ihrer Zweiteilung eine deutliche Zäsur, denn die Beiträge ab 1990 sind unter gänzlich anderen politischen Prämissen verfasst worden als zuvor.

In ihrem lesenswerten Vorwort konstatiert die Schriftstellerin und Publizistin Daniela Dahn (Jahrgang 1949) treffend: "In der DDR-Kulturpolitik war Günter Grass zwanzig Jahre lang die literarische Unperson par excellence. Feststehende, kanonisierte Positionen, unter denen auch bedenkenswerte Einwände begraben wurden, bestimmten das Bild." Wie sie analysiert auch der Literaturwissenschaftler und Herausgeber Klaus Pezold (Jahrgang 1938), im Buch mit mehreren bemerkenswerten Aufsätzen präsent, manchen Wandel und Wechsel im Urteil der ostdeutschen Autorenkollegen und Kritiker Grass' auf nachvollziehbare Weise. Beide erhellen, wie differenziert und nuanciert die durchaus unterschiedlichen Bewertungen einzelner Stimmen trotz staatlicher Verdikte eigentlich zu jeder Zeit ausgefallen sind.

Johannes Bobrowski, selbst ein Lyriker von Rang, notierte bereits 1957 angesichts der "Vorzüge der Windhühner": "Auf jeden Fall ist Grass ... eine Begabung, auf die man achten sollte." Die Rostocker Literaturwissenschaftler und Lektoren Kurt Batt (1931-1975) und Jürgen Grambow (1941-2003), die beide, jeder auf seine Weise, beträchtlichen Anteil daran hatten, westdeutsche Prosa interessierten DDR-Lesern nahe zu bringen und die stets bemüht waren, gegen die Barrieren verordneter Ignoranz Editionen zu ermöglichen, haben die Spezifik der Erzählkunst von Günter Grass in besonderer Schärfe ausgeleuchtet und gewürdigt.

"Kantisches"

Nachgerade spannend, bisweilen amüsant lesen sich etliche Beiträge von solchen Verfassern, die in großer zeitlicher Distanz mehrfach zu Wort kommen. Das gilt beispielsweise für Hermann Kant, der 1960 unter dem sarkastischen Titel "Ein Solo in Blech" gegen "Die Blechtrommel" herablassend zu Felde zog: "Wenn Grass diesen Roman nicht nur geschrieben hat, um auf 'neuen Wellen' und in der Flut der zornigen jungen Männer gen güldene Ufer zu schwimmen, dann möge er fortan die Welt nicht mehr aus dem Gully betrachten und nicht mit den Augen eines Kretins, dann möge er den Rasputin fortwerfen und den Goethe zu Ende lesen. Er wird dann mehr sehen."

1995, 35 Jahre später, beschließt dieser Wortartist, um den es inzwischen recht einsam geworden ist, seinen im einzelnen auch jetzt nicht unkritischen Diskurs "Ein weites Feld - Ein Buch von stichelnder Kraft" (bezeichnenderweise im "Schweizer Nachrichtenmagazin" veröffentlicht) im vergleichsweise milden Tonfall: "Von mir aus mag es der Mann so weiter treiben, vorausgesetzt, er schreibt um seine Schimpfe wieder einen Roman von solcher Stärke herum."

Dieser Sammelband zeichnet sich auch dadurch aus, dass sich in ihm nicht nur verstreut veröffentlichte Buch- und Zeitschriftentetexte, sondern auch imposante Reden und Briefe finden. So gehören Hans Mayers großartige Einführungsrede, die er im März 1961 zu einer Günter-Grass-Lesung in der Leipziger Universität gehalten hat, sowie der Briefwechsel, den Günter Grass und Christa Wolf, letztere damals in überaus brisanter Befindlichkeit, unter dem Motto "Von schwachen und stärkeren Stunden" 1993 geführt haben, zu jenen Beiträgen, die den jeweils politischen Horizont und den persönlichen Hintergrund der Autoren schlaglichtartig beleuchten.

Fotos aus mehreren Jahrzehnten tragen zur Anschaulichkeit bei; Quellen-, Autoren- und Personenverzeichnis ergänzen den Band.

Klaus Pezold (Hrsg.)

Günter Grass. Stimmen aus dem Leseland.

Militzke Verlag, Leipzig 2003; 232 S., 19,90 Euro


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