Was verbirgt sich hinter dem Zauberwort "gender"? Ein erster Ansatz zeigt uns die Kargheit und auch Verknappung der deutschen Sprache. Wie vor einigen Jahren in der Diskussion um den Gewaltbegriff offenbart sich, dass unsere Muttersprache oft nur Überwörter bereit hält. Nenne ich das Wort Geschlecht, so denken wir sofort an die biologische Differenz zwischen Frau und Mann. Im Englischen dagegen ist die Unterscheidung "sex" (biologisches Geschlecht) und "gender" (soziales Ge- schlecht) möglich.
Gender bezeichnet die sozial und kulturell erworbene beziehungsweise definierte Geschlechterrolle. Indem sich "gender" auf die soziale Dimension von Geschlecht bezieht, können Geschlechterverhältnisse zum Gegenstand aktiver Gestaltung und Veränderung werden, denn biologistische Zuschreibungen werden als soziale Konstrukte erkennbar.
Gerade hier setzen die Autorinnen an. Frauen und Männer sind vollkommene und unvollkommene Wesen zugleich. Im Zuge der Arbeitsteilung haben Männer die Chance genutzt, ihr Management zu entwickeln und immer weiter auch improvisierend auszubauen, so dass Schlupflöcher für Frauen sehr selten waren. Im Zuge der modernen bürgerlichen Gesellschaft und der Zweiteilung in die Prinzipien Kultur und Natur blieb den Frauen schließlich keine Chance mehr. Verbannt in die Innenwelten der sich bildenden Kleinfamilien war ihnen ihr Ort zugewiesen.
Doch die Zeiten ändern sich. Spätestens im frühen 20. Jahrhundert mit Frauenwahlrecht, Universitätsöffnungen und der Formierung der neuen Frau tritt die Dimension gender hervor. Frauen sind inzwischen gut ausgebildet, verfügen zum Teil über weit bessere Schul-, Berufs- und Studienabschlüsse als ihre männlichen Mitstreiter, stellen mehr als die Hälfte der an den Universitäten Immatrikulierten und trotz aller Euphorie sei nüchtern festgestellt: Der Anteil von Frauen an den C4-Professoren liegt unter zehn Prozent, im TOP-Managment sind Frauen Einzelerscheinungen.
Die Frauenbewegung ab Ende der 60er-Jahre hat große Erfolge erzielt. Nicht nur in die deutsche Sprache ist erhebliche Bewegung gekommen, in Stellenanzeigen werden Frauen nachdrücklich aufgefordert, sich zu bewerben, es gibt Sonderprogramme und vieles andere mehr. Hier ist gar nicht der Platz, all das aufzuzählen, und trotzdem stehen wir erst am Beginn einer wirklichen Gleichwertigkeit.
Und das bedeutet nichts anderes als die Gleichstellung von weiblich und männlich konnontierten Lebensmustern, Tätigkeiten und Kompetenzen. Nicht mehr das einseitige Auswahlverfahren in den Personalabteilungen ist gefragt, das auf traditionellen Denkmustern fußt, sondern vielmehr der ganzheitliche Ansatz, der die erworbenen Fähigkeiten und die Umsetzungsmöglichkeiten bei Frauen und Männern in den Mittelpunkt stellt. Gender wird so zum Strategiefaktor von Unternehmen. Männliche Denk- und Erfahrungsmuster sind hinlänglich erprobt, nun kommt es darauf an, das weibliche Potenzial nicht nur zu erkennen, sondern es tatsächlich zu nutzen. Künftig werden nur die Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben, die sich diesen Anforderungen stellen. Das umschließt die Verabschiedung traditioneller Rollenmuster, das Erkennen noch existierender Hierarchien und die Formierung weiblich-männlicher Teams, um Zukunftsfähigkeit herstellen zu können. Was sich hier vielleicht recht einfach liest, erfordert nicht nur ein gründliches Umdenken, sondern gleichermaßen auch die Bereitschaft zu wirklichen Veränderungen. Die Annahme des Gender-Konzepts zielt auf die Auflösung von Strukturen und setzt eine Reformbereitschaft voraus.
Ingelore und Isabell Welpe haben eine spannend geschriebene Abhandlung vorgelegt. Ich wünsche mir, dass diese zu den Jahresgaben für Personal-Verantwortliche werden. Ich empfehle das Buch allen, die - wie eingangs erwähnt - noch immer Schwierigkeiten haben, gender als die Chance einer Nachhaltigkeit anzusehen. Denn: "Fakten über Frauen und Männer gehören in das Pflichtprogramm der Managerausbildung, nicht in die Kür."
Ingelore und Isabell Welpe
Frauen sind besser - Männer auch.
Das Gender-Managment.
Signum Verlag, München 2003; 256 S., 19,90 Euro