Wenn der Platz, den eine Wahlkampfmannschaft in Beschlag nehmen darf, etwas über ihre Siegchancen aussagt, dann haben die Sozialdemokraten die Europawahl lange vor dem Wahltermin verloren gegeben. Vor der Bundestagswahl 2002 hatte die SPD eigens ein ganzes Bürogebäude für ihr Kampagnenteam angemietet. Diesmal musste es sich mit der Galerie im zweiten Stock der Parteizentrale begnügen. Dort herrschte unter den 50 Mitarbeitern routinierte Betriebsamkeit vor: Termine wurden abgesprochen, Werbemittel bestellt. Alles lief in ruhigem, geschäftsmäßigen Ton ab.
So nüchtern wie dieses Großraumbüro war auch die Wahlkampagne der SPD. Sie setzte auf zwei Schlüsselwörter: "Friedensmacht" und "Zukunftsgerecht" prangte in Balkenlettern auf Plakaten in den deutschen Nationalfarben oder dem Blau-Gelb der Europafahne. Der TV-Werbespot der Partei war gleichfalls schlicht. Sechs in schwarz-weiß aufgenommene Zeitgenossen sagten, was sie von Europa erwarten. Dann erklärte Kanzler Gerhard Schröder seinen Kurs.
Diese spartanisch karge Ästhetik sei "Ausdruck unserer sehr sachlichen und inhaltlichen Kampagne. Wir wollten deutlich machen, dass wir deutsche Interessen in Brüssel besser vertreten als andere", erläutert Achim Post, Leiter der "Europakampa". Da die SPD im Umfragetief steckt, übte sie sich in Bescheidenheit. Auf Gags wollte man ebenso verzichten wie darauf, die Köpfe der SPD-Bewerber bundesweit zu plakatieren, weil Spitzenkandidat Martin Schulz den Deutschen kaum vertraut ist.
Europawahlen litten generell unter dem Handicap, dass den meisten Bürgern nicht klar sei, welche Macht das von ihnen gewählte Parlament habe, gibt der stellvertretende Bundesgeschäftsführer der Partei zu bedenken: Kaum jemand wisse, dass über zwei Drittel aller Gesetzesvorhaben nicht in Berlin, sondern in Brüssel entschieden wird. "Man muss sich auf wenige Kernbotschaften konzentrieren. Wir reduzierten sie auf zwei Wörter, die deutsche und europäische Themen miteinander verbinden", verdeutlicht Post seine Strategie: "Der Begriff Friedensmacht gehört zur SPD wie der Mercedes-Stern zu Daimler-Benz."
Ein gewagter Vergleich. Zwar wollen spin doctors, die Imageberater der Politik, stets positiv klingende Vokabeln "besetzen", wie ein Unternehmen seine Produktnamen registrieren lässt. Doch Politik ist keine Handelsware wie jede andere: Die Themen in der öffentlichen Diskussion ändern sich ständig. Darin liegt laut Peter Funk, Head of Strategic Planning bei McCann Erickson Communications House, das Hauptproblem politischer Werbung: "Eine Partei ist zwar wie eine Marke, denn sie enthält ein konstantes Element mit Wiedererkennungswert. Doch sie muss laufend unterschiedliche Themen aufgreifen. Wenn sie die Anpassung an wechselnde Umstände nicht mit programmatischer Prinzipientreue ausbalancieren kann, verliert sie ihre Glaubwürdigkeit."
Seine Werbeagentur, die die Bundes-CDU seit mehreren Jahren betreut, setzte daher auf Bilder mit Symbolkraft. Auf einem Plakat war ein rot-grüner Apfel zu sehen, aus dem eine Made kriecht. Die Botschaft ist eindeutig: In der Bundesregierung steckt der Wurm drin. Was genau, bleibt aber ungesagt. Ähnlich vage wirkten Versuche, abstrakte Themen zu veranschaulichen. Etwa eine Sanduhr, bei der Sand aus der oberen Hälfte namens "Wirtschaftswachstum" in die untere Hälfte "Arbeitslosigkeit" fällt, unter der Überschrift "Bei Rot-Grün läuft was falsch": Ein Argument für diese Behauptung fehlte. Auch emporgereckte Hände, die einen Basketball halten, machten die Zeile "Damit Deutschland wieder oben mitspielt" nicht sinnfälliger: Weder ist dieser Sport hierzulande besonders populär, noch gilt diese Geste als Zeichen für Erfolg. Mit dem Motiv habe man an den "Sinn für Wettbewerb" appellieren wollen und den "Ehrgeiz anstacheln, selbst wieder besser zu werden", erklärt Funk.
Dabei sei die Kampagne einer für Oppositionsparteien bewährten Dramaturgie gefolgt: Anfangs würden die Schwächen der Regierung kritisiert, dann die eigenen Stärken herausgestellt. In der Endphase rückten Personen in den Vordergrund, fügt der PR-Experte hinzu: Das Antlitz von CDU-Chefin Angela Merkel füllte ganze Plakatwände. Dass Europa dabei außen vor bleibt, stört ihn nicht: "Die Leute denken noch recht stark in nationalen Kategorien. Die Argumentation muss nah an dem bleiben, was sie berührt." Daher appelliere man an patriotische Gefühle: "Menschen sind affektive Instinkttiere. Sie entschieden sich nicht allein aus rationalen Gründen für Parteien. Große Wahlkämpfe sind immer auch emotional geprägt."
Pieter Schnell, der bereits drei Kommunal- und Landtagswahlkämpfe für die FDP konzipiert hat, sieht Schattenseiten dieses Politikverständnisses: "Wahlen gewinnt man bei der Masse, die nur noch fähig ist, Schlagzeilen zu lesen. Fundierte Positionierung und langsame Entwicklung von Politik hat heute kaum noch Chancen, weil Verona Feldbusch nun einmal sexier ist als Willy Brandt." Also rückte seine Agentur "etwas neues entsteht" mit der Newcomerin Silvana Koch-Mehrin die attraktive Spitzenkandidatin der Liberalen ins Bild. Ihr Porträt wurde von Sätzen wie "Wir stärken die Wirtschaft" oder "Wir wollen Bewegung statt Bürokratie" eingerahmt.
Das "Kernwort Wir" sollte die "Distanz zu Europa" aufheben, die Slogans sollten "Aufbruchstimmung und Schwung vermitteln", begründet Schnell diese Wortwahl. Wichtig sei, dass die Persönlichkeit des Bewerbers und die ihm in den Mund gelegten Parolen zueinander passen. Koch-Mehrin bereitete dies keine Schwierigkeiten: Sie arbeitet für eine Unternehmensberatung. Man dürfe aber die Personalisierung nicht zu weit treiben, mahnt Schnell: "Das eigentliche Produkt ist nicht der Politiker, sondern das Parteiprogramm, das Lebensprobleme des Bürgers lösen soll. Außerdem macht Werbung den kleinsten Teil der politischen Kommunikation aus; dabei sollte es bleiben."
Besonders klein war der Reklame-Anteil bei den Grünen. Mit 300.000 Euro gaben sie für ihre Kampagne weniger als drei Prozent der 12,5 Millionen aus, die beispielsweise die SPD für ihren Wahlkampf locker macht. Dafür entwarf die Agentur "Zum goldenen Hirschen", die seit 2002 für die Grünen arbeitet, eine Kampagne für ganz Europa, weil die Umweltschützer bisher als einzige eine EU-weite Partei - die "European Greens" - gegründet haben. Der "Basis-Claim", also der Aufhänger, sei stets die Aufforderung "Du entscheidest!", erläutert Kreativplaner Cornelis Stettner das Konzept. Sie erscheint auf neutralen Bildern von "großflächiger Schönheit" wie Sonnenblumen, Tomaten oder Federn.
"Natürlich können die nationalen Parteien Motive ergänzen und variieren. In Österreich lautet der Spruch beispielsweise: "Sie bestimmen!'", sagt Stettner. In der zweiten Wahlkampfphase folgten Wortspiele wie "It?s yourope" oder witzige Collagen; etwa Fotos von Politikern, deren Bauch als Röntgenaufnahme gezeigt wird, unter der Parole "Für mehr Transparenz". "Anders als der Supertanker CDU können wir mehr reizen, weil unsere Zielgruppe kleiner und anders ist", begründet der Kreativplaner diesen Ansatz. Er betont den Unterschied zu klassischer Produktwerbung: "Bei Waren ist Reklame die einzige Stimme, die für sie spricht. Bei Politik stellt sie nur einen Mitspieler unter mehreren dar; das Ergebnis ist viel weniger steuerbar." Folglich solle die Kampagne weniger Politik erklären als vielmehr Wähler mobilisieren.
Nichtsdestoweniger richte sich politische Kommunikation zusehends "nach den Regeln des Mediensys-tems" aus, beobachtet Günter Bentele, Professor für Öffentlichkeitsarbeit an der Universität Leipzig: "Die Schere zwischen zunehmend komplexeren Problemen und einer Verflachung der Botschaften öffnet sich immer weiter." Stundenlange Wahlkampfreden und TV-Formate, in denen ausführlich diskutiert werde, gehörten der Vergangenheit an.
Nur eine Minderheit nutze die Möglichkeit, sich im Internet oder bei öffentlichen Debatten umfassend zu informieren. Doch gebe es den "Widerstand der Wirklichkeit" gegen allzu glatte Inszenierungen, hebt Bentele hervor: Die Bevölkerung schätze drängende Probleme ebenso realistisch ein wie die "Authentizität und Glaubwürdigkeit" der Politiker. Er rät ihnen deshalb, mehr "Profil und Kantigkeit zu zeigen" und vor allem auf Inhalte und nicht ausschließlich auf Image zu bauen. Insofern war die textlastige SPD-Kampagne vielleicht doch zeitgemäß.
Oliver Heilwagen ist freier Journalist.