Das "Schwarzbuch" von Peter Scowen, einem Journalisten des "Toronto Star", reiht sich nahtlos in die Schwemme ein. In der Danksagung gesteht er, das Buch im wesentlichen innerhalb von zwölf Wochen recherchiert und geschrieben zu haben - und genau so liest es sich auch. Es ist ein hastiger Ritt durch die außenpolitische Geschichte der USA im 20. Jahrhundert, natürlich als "Perlenschnur" der größten außenpolitischen Fehler und Versäumnisse: Von Hiroshima über Vietnam, Nicaragua, Chile bis zu den Golfkriegen von 1991 und 2003 werden zum großen Teil zwanghafte Vergleiche und Konsequenzen zusammengezimmert.
Nur schwer erträglich ist es, wie Scowen die Atombombenabwürfe auf Japan moralisierend verkürzt und grundsätzlich mit Fakten selektiv hantiert als gäbe es keine jahrzehntelangen vielschichtigen Debatten über die oben genannten Themen, Krisen und Ereignisse. Die Sache des Autors ist eindeutig die Anklage. Was nicht in dieses Amerikabild passt, wird manipuliert oder weggelassen. Zahlreiche Ungenauigkeiten im Ausdruck und alberne Überspitzungen sollen helfen, diese Bruchstellen seiner Darstellung zu übertünchen. Der häufige Verweis Scowens auf seine Schwester, die bei den Anschlägen vom 11. September "beinahe" ums Leben gekommen wäre, wirkt in diesem Zusammenhang peinlich. Dazu sieht er sich explizit in der Tradition streitbarer Gelehrter wie Chalmers Johnson, Gar Alperovitz, Noam Chomsky und Benjamin Barber, die er auch ausführlich zitiert, um nicht zu sagen: plündert. Er erreicht jedoch nur selten deren Originalität, intellektuelle Schärfe und sprachliche Kraft.
Clyde Prestowitz hingegen beweist, dass man auch dieser Tage Kritik an Amerika ganz sachlich, nüchtern und unter Anerkennung der Leistungen üben kann, um damit umso überzeugender zu wirken. Der reißerische Titel vom "Schurkenstaat" wird von Prestowitz geschickt verwandt. Er folgt der Definition aus Websters Wörterbuch, wonach "schurkisch" als "nicht mehr dazugehörig oder akzeptiert, weder kontrollierbar noch verantwortungsbewusst, andersartig, ungewöhnlich schonungslos und unberechenbar" gilt. An dieser Richtschnur reiht er Fallbeispiele auf, die belegen, wie sich die USA seit dem Ende des Kalten Krieges zunehmend aus der internationalen Gemeinschaft ausklinken und stattdessen einen wachsenden unilateralen Kurs verfolgen:
Die Haltung der USA zum Internationalen Strafgerichtshof, zum Bann von Landminen oder zur Einschränkung von ABC-Waffen, zur nationalen Raketenverteidigung und zum ABM-Vertrag sowie natürlich Amerikas Rolle im jüngsten Irak-Krieg geben ein entsprechend komplexes, um nicht zu sagen widersprüchliches Bild.
Besonders gelungen sind die Kapitel zum Freihandel - Prestowitz war unter Reagan hochrangiger Berater im Handelsministerium - und zum Kyoto Protokoll. In beiden Fällen liefert er einen präzisen Abriss der Problementwicklungen. So kommt er zu dem Schluss, dass die USA eine Politik des "Tut, was ich sage, nicht was ich tue" verfolgen, die ihnen auf lange Sicht schade und erbitterte Gegner bescheren werde.
Prestowitz' abgewogene Analyse verweist zu Recht auf die wachsende Diskrepanz zwischen idealistischer Rhetorik und nationalistisch-imperialistischer Politik. Doch würdigt er auch die ordnungspolitischen Leistungen der Vereinigten Staaten und ihre zivilisatorische Vorbildrolle, die allerdings in den vergangenen Jahren rasant zusammengeschmolzen ist.
Wenn er den verschwenderischen Umgang der Amerikaner mit Ressourcen oder die widersprüchliche Subventionspolitik der Regierung anprangert, speist sich seine Kritik aus einem wertebezogenen Patriotismus, der realpolitisch sich jedoch immer mehr ausdünnt.
Allerdings ist es kein Zufall, dass seine Kritik bei den "weichen" Themen am meisten überzeugt, denn im Hinblick auf die völkerrechtlichen und militärischen Fragen vernachlässigt er die Leistungen der USA. Angesichts der neuen globalen Herausforderungen in einer unipolaren Welt kann internationale Stabilität dann optimiert werden, wenn sich die Supermacht übermäßiger Bindungen verweigert, zugleich aber ihre ordnungspolitische Rolle mit zivilisatorischem Vorbildbewusstsein koppelt. Anders gefragt: wieviel Sicherheit und Ordnung gäbe es im internationalen System, hätten die USA - etwa bei den Balkankriegen - nur das Völkerrecht beachtet, aber keine ordnungspolitische Führungsrolle übernommen?
Prestowitz hat ein lesenswertes Buch vorgelegt, das nachdenklich stimmt: Seine Mahnung, die amerikanischen Ideale weniger nur rhetorisch zu verwerten, sondern zur Veredelung praktischer Politik, überzeugt. Nur wenn Washington die Fülle der Macht verantwortlich und kooperativ ein- und umsetzt, kann es Einfluss und Ansehen zurückgewinnen. Selbstkritik im Sinne dieses Buches gehört dazu, damit nicht das Bild vom unberechenbaren abseitigen Schurkenstaat, wie es sich im Zuge der Folterbilder aus dem Irak in den vergangenen Wochen gefestigt hat, sondern Amerikas Rolle als internationale Führungsmacht wieder an Strahlkraft gewinnt.
Feurig - abwesend - gepeinigt
Ganz anders bewertet Nial Ferguson die weltpolitische Rolle der Vereinigten Staaten: Für Ferguson sollten die USA heute die Rolle spielen, die in früheren Zeiten das Britische Empire einmal innehatte, als weltpolitische Ordnungsmacht im Zeichen von Globalisierung und Antiterrorkampf.
Ferguson plädiert für ein demokratisches Imperium der USA, an dem die Welt genesen soll: Reich, militärisch überlegen und als kulturelles Vorbild. Obwohl diese Attribute den Charakter eines echten Imperiums nicht treffen, bleibt das Buch informativ, und die Pointen des Autors sind treffend: "Wie der wankelmütige Leutnant Linkerton in Puccinis Madame Butterfly durchliefen die amerikanischen Auslandsinterventionen regelmäßig drei Phasen: feurig im ersten Akt, abwesend im zweiten, gepeinigt im dritten."
Sein Plädoyer für die USA als Weltordnungsmacht in einer unipolar geprägten Welt wird zu Recht kontrovers diskutiert, vor allem weil er noch mehr militärischen Einsatz fordert: "Die (amerikanischen) Eroberungen werden nicht einmal als Eroberungen betrachtet. Dem berühmten Bonmot des viktorianischen Historikers J. R. Seely, die Briten hätten ihr Empire in einem Anfall der Geistesabwesenheit erworben, haben die Amerikaner noch eines draufgesetzt: Bei ihnen ist aus der Geistesabwesenheit eine voll ausgebildete Kurzsichtigkeit geworden … Dabei entsteht das Problem, dass es bei der Intervention zu zwei Fehlern neigt: unzureichende Mittel für die nichtmilitärischen Aspekte des Unternehmens bereitzustellen und in unrealistisch kurzer Zeit einen wirtschaftlichen und politischen Wandel erreichen zu wollen." Dabei ist sein Blick für das Irak-Debakel nicht unkritisch: "Für den Wiederaufbau allerdings ist der Terminator nicht programmiert. Er hinterlässt nichts als Zerstörung."
Daraus schlussfolgert Nial Ferguson, dass die USA ob als Hegemon, als Imperial- oder Ordnungsmacht, die daraus abgeleiteten Aufgaben kraftvoll wahrnehmen sollten. Ob die Beschäftigung mit der Geschichte anderer Imperien allerdings in Washington Bescheidenheit und Demut lehrt, die George W. Bush als Präsidentschaftskandidat angeraten hat, bleibt zweifelhaft. In einem Punkt jedoch ist Ferguson Recht zu geben: "Wie bei Gibbons Rom, dürfte der imperiale Niedergang der USA eher im Innern beginnen."
Peter Scowen
USA. Ein Schwarzbuch.
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2004;
297 S., 15,- Euro
Clyde Prestowitz
Schurkenstaat. Wohin steuert Amerika?
Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf/Zürich 2004;
363 S., 24,90 Euro
Nial Ferguson
Das verleugnete Imperium. Chancen und Risiken amerikanischer Macht.
Verlag Propyläen, Berlin 2004; 447 S., 26,- Euro