Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

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Nr. 28 / 05.07.2004

Die Wähler können den künftigen Kurs Europas beeinflussen

Im Gespräch: Hans-G. Pöttering, Vors. der EVP-ED im Europaparlament

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Europa hat gewählt. Ist Ihre Fraktion mit dem erzielten Ergebnis zufrieden?

Hans-Gert Pöttering Mit etwa 270 Mitgliedern stellt die EVP-ED Fraktion wieder rund 37 Prozent der 732 Abgeordneten im Europäischen Parlament und ist mit großem Abstand die größte Fraktion (Sozialisten 203 Abgeordnete). Dieses Ergebnis ist gleichermaßen eine Bestätigung unserer Politik in Europa wie ein Abbild der derzeitigen politischen Mehrheitsverhältnisse in den Mitgliedstaaten. In zwölf EU-Staaten stellen die zur EVP-ED Fraktion gehörenden Abgeordneten die größte Gruppe unter den Europaparlamentariern, in drei weiteren Ländern verfügt keine andere Fraktion über mehr Abgeordnete als wir. Als einzige Fraktion im Europäischen Parlament haben wir Parlamentarier aus allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union in unseren Reihen. Auch das ist für unser Selbstverständnis wichtig.

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Welche Aufgaben sind in den kommenden fünf Jahren zu bewältigen, welche Ziele wollen Sie für Europa erreichen?

Hans-Gert Pöttering Nach der Verabschiedung der Verfassung durch die Staats- und Regierungschefs werden die Ratifizierung in den Mitgliedstaaten und gerade die Umsetzung der Verfassung im Zusammenspiel der europäischen Institutionen in den nächsten Jahren die großen Herausforderungen sein. Darüber hinaus wird die Europäische Verfassung die Kompetenzen des Parlaments noch erweitern. Zusätzliche Bereiche fallen unter das Mitentscheidungsverfahren. In Anbetracht der durch die EU-Erweiterung am 1. Mai gestiegenen Abgeordnetenzahl muss das Parlament seine Strukturen arbeits- und entscheidungsfähig erhalten. Die Ausgestaltung der Europäischen Nachbarschaftspolitik, die den Rahmen für die Beziehungen der EU zu ihren östlichen und südlichen Nachbarn setzt, ist eine weitere wichtige Aufgabe. Es geht darum, einen erweiterten Raum politischer Stabilität und funktionierender Rechtsstaatlichkeit zu schaffen, wirtschaftlichen und kulturellen Austausch zu fördern. Die Grenzen einer verantwortlichen Erweiterung sind für die Europäische Union sichtbar. Die Antwort darauf kann nur in einem ehrlichen und substantiellen Angebot an unsere Nachbarn liegen, das deren Bedürfnisse berücksichtigt und die Integrationsfähigkeit der EU wahrt. Daneben gibt es weitere wichtige Aufgaben wie die Stärkung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, die Vollendung des Binnenmarktes und die Realisierung der Lissabon-Ziele.

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Wird Ihre Fraktion den neuen Parlamentspräsidenten stellen, und wer wird dieses Amt übernehmen?

Hans-Gert Pöttering Traditionsgemäß ist der Parlamentspräsident zweieinhalb Jahre im Amt. Als stärkste Fraktion im Europäischen Parlament ist es unser Interesse, in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode einen Parlamentspräsidenten aus unseren Reihen zu stellen. Derzeit werden Gespräche in und zwischen den Fraktionen geführt, bei denen es auch um die Wahl des Parlamentspräsidenten geht. Für Namensnennungen ist es dabei noch zu früh.

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Bei der Nachfolge von Kommissionspräsident Prodi hat es eine Reihe von Problemen gegeben. Unterstützt Ihre Fraktion die Nominierung von José Manuel Durao Barroso?

Hans-Gert Pöttering Wir haben immer gefordert, dass für die Wahl des Kommissionspräsidenten das Wahlergebnis berücksichtigt wird, wie es auch die Europäische Verfassung vorsieht. Dieses Prinzip ist bei dem ersten Gipfel nicht berücksichtigt worden. Bei dem Sondergipfel haben die Staats- und Regierungschefs nun das Wahlergebnis berücksichtigt und mit Ministerpräsident José Manuel Durão Barroso eine Persönlichkeit unserer EVP-Parteienfamilie vorgeschlagen. Durão Barroso ist eine hervorragende Wahl. Er ist ein überzeugter Europäer, ein erfahrener Politiker und ein portugiesischer Christdemokrat. Daher wird er die volle Unterstützung unserer Fraktion bekommen.

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Wie wird das Zusammenspiel des neuen Europaparlamentes mit der neuen EU-Kommission aussehen?

Hans-Gert Pöttering Zunächst hängt viel von der zukünftigen Struktur der Kommission und der Verteilung der Zuständigkeiten ab, die bei den einzelnen Kommissaren angesiedelt sein werden. Diese Struktur steht noch nicht fest. Ebenso müssen wir auf die Vorschläge des Kommissionspräsidenten für die Zusammensetzung der neuen Kommission warten. Generell erwarten wir uns von der Europäischen Kommission mehr Augenmerk auf eine Politik "aus einem Guß". Im Ergebnis geht es darum, dass die EU-Kommission sich verbindliche Ziele setzt und auch ihre einzelnen Vorschläge aus den verschiedenen Politikbereichen unter den Vorbehalt dieser Ziele stellt. Diesen Prozess wollen wir über das Parlament mit gestalten.

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Sollte die niedrige Wahlbeteiligung Anlass sein für eine Diskussion über das Erscheinungsbild des Parlaments?

Hans-Gert Pöttering Eine losgelöste Debatte über die Wahlbeteiligung halte ich nicht für sinnvoll. Schließlich ist die Wahlbeteiligung kein Selbstzweck. Während in den alten Mitgliedstaaten die Beteiligung nahezu konstant blieb, was keinesfalls zufriedenstellend ist, nehme ich jedoch die sehr niedrige Wahlbeteiligung gerade in einer Reihe der neuen mitteleuropäischen Mitgliedstaaten sehr ernst. Bei den großen Herausforderungen, die der weitere Integrationsprozess insbesondere in Mitteleuropa noch mit sich bringen wird, sind wir als Parlament, sind aber auch die jeweiligen nationalen Regierungen auf die Unterstützung der Bevölkerung angewiesen. Für die Fraktionen im Europaparlament besteht die Herausforderung darin, die unterschiedlichen politischen Konzepte und Alternativen in den europäischen Entscheidungsprozessen deutlicher zu machen. Allzu oft werden in der Berichterstattung die Institutionen statisch und abstrakt nebeneinander gestellt: Der Rat - die Kommission - das Parlament. Dabei geht verloren, dass unterschiedliche Ideen und Konzepte im Wettstreit stehen und Mehr- beziehungsweise Minderheiten europäische Politik bestimmen. Dass der Wähler über diese Mehrheitsverhältnisse Europas Kurs beeinflussen kann, das werden wir noch deutlicher machen müssen. Die Europäische Verfassung schafft hierfür wichtige Voraussetzungen. Im Übrigen: Die Nachrichtensendungen des Fernsehens müssen mehr über das Europäische Parlament berichten. Hier besteht ein großes Informationsdefizit. Den Menschen in Mitteleuropa sollten wir die Sorge nehmen, sie wären Europäer zweiter Klasse. Wenn die Menschen in den Beitrittsländern vor der nächsten Wahl in fünf Jahren spürbare positive Entwicklungen sehen, wird die Beschäftigung mit europäischen Themen größer und die Wahlbeteiligung stärker sein.

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Sehen Sie in den Stimmengewinnen für Europagegner und populistische Parteien eine Gefahr für das Europäische Parlament?

Hans-Gert Pöttering Bei der Bewertung des Wahlausgangs treten einige Einschätzungen wiederholt auf, die deswegen noch nicht zutreffend sein müssen. Schauen wir uns doch die Größenordnungen im Vergleich an: Die Europagegner können im neuen Parlament einen Zuwachs von etwa 3,5 Prozent der Mandate für sich verbuchen und kommen damit auf etwas mehr als sieben Prozent der Mandate. Natürlich bedauere ich diesen Zuwachs, aber er verändert nicht die politische Struktur des Parlaments.

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Werden Sie Ihr Amt als Fraktionsvorsitzender weiter ausüben oder eine andere Funktion innerhalb des Parlamentes übernehmen?

Hans-Gert Pöttering Ich bewerbe mich wieder um den Fraktionsvorsitz. Wenn mir die EVP-ED Fraktion erneut das Vertrauen ausspricht, dann ist es für mich Ehre und spannende Herausforderung zugleich, in den nächsten Jahren die Fraktion zu führen.

Die Fragen stellte Günter Pursch.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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