Eineinhalb Jahre vor der nächsten Landtagswahl hat die rheinland-pfälzische CDU im offenen Streit über ihren künftigen Spitzenkandidaten die nächste Runde eingeläutet. Die drei Bezirksvorsitzenden haben dem amtierenden Partei-und Fraktionschef Christoph Böhr nahe gelegt, das Feld zu räumen. Der 50-Jährige, der die Partei 2001 in ein Wahldesaster geführt hatte, aber erneut gegen Ministerpräsident Kurt Beck antreten möchte, will die Entscheidung bis zum 12. November vertagen. Dann soll der Landesparteitag über die Spitzenkandidatur entscheiden.
"Was ich hier seit vielen Jahren erlebe, ist alles andere als ein Zuckerschlecken", räumt Böhr mittlerweile selbst ein. Der Parteivorsitzende bewegt sich schon lange auf dünnem Eis. Bereits im Mai 2003 hatte die Partei den promovierten Philosophen, den viele für zu unterkühlt und zu intellektuell halten, um gegen den volksnahen Beck eine Chance zu haben, abgestraft und mit nur 73 Prozent in den Landesvorstand gewählt. Im vergangenen Herbst versuchte Böhr dann vergeblich, zwei seiner Anhänger als Bezirksvorsitzende durchzusetzen und sich damit die renitenten Bezirkschefs Joachim Hörster und Peter Rauen, beides Bundestagsabgeordnete, vom Hals zu schaffen.
Das gute Abschneiden der Christdemokraten bei der Kommunalwahl in diesem Frühjahr verschaffte dem Parteichef zwar ein Zwischenhoch. Unterdessen jedoch sind Böhrs Sympathiewerte offenbar nicht nur beim Wähler auf Null gesunken, wie eine Umfrage der Tageszeitung "Die Rheinpfalz" ergab. In der Berliner Landesgruppe, heißt es, halten noch zwei Abgeordnete dem Parteichef die Stange. Dass nach ihrer Ansicht Böhr auch bei der Parteibasis als Gegenkandidat Becks nicht durchsetzbar ist, haben Hörster, Rauen und der Dritte im Bunde, der Europaabgeordnete Kurt Lechner, nun noch einmal deutlich gemacht.
Als Meinungsbild habe sich ergeben, erklären die drei in einem Bericht aus ihren Bezirken unumwunden, "dass weit überwiegend der Wunsch besteht, nicht mit Dr. Christoph Böhr als Spitzenkandidat in die Landtagswahl zu gehen". Die CDU Rheinland-Pfalz verfüge "über eine ganze Reihe ausgezeichneter und politisch ausgewiesener Persönlichkeiten", die die Partei in den nächsten Landtagswahlkampf führen könnten, heißt es weiter. Als bevorzugte Kandidatin ausgeguckt haben sich die Bezirkvorsitzenden die Ludwigshafener Oberbürgermeisterin Eva Lohse. Auch das CDU-Urgestein Georg Gölter plädiert öffentlich für eine Kandidatur der OB. Die 48-Jährige hat vor drei Jahren die langjährige SPD-Herrschaft in der Industriestadt gebrochen und überzeugt nach Auffassung von Hörster, Lechner und Rauen durch Kompetenz, Lebensnähe und eine erfolgreiche Kommunalpolitik.
Doch der Vorschlag Lohse birgt auch Schwierigkeiten: Zum einen verfügt die Oberbürgermeisterin im Gegensatz zu Böhr über keine Plattform, auf der sie dem amtierenden Regierungschef gegenüber treten könnte. Zum anderen hat Lohse bereits erklärt, dass sie sich auf eine Kampfkandidatur nicht einlassen will. Deswegen suchen ihre Befürworter nun nach einer "einvernehmlichen Lösung". Herr Böhr möge hieraus bitte die "entsprechenden Schlussfolgerungen ziehen".
Dieser kaum verhohlenen Aufforderung zum Verzicht auf die Spitzenkandidatur noch vor dem Votum des entscheidenden Parteitags im November begegnet der Attackierte relativ ungerührt. Böhr verweist auf einen Landesvorstandsbeschluss von Mitte Juni, der Personalvorschläge bis zum 27. September und die Personalentscheidung dann für den 12. November vorsieht: "Wir wollen eine offene Diskussion", beteuert der Parteivorsitzende. Um sich Rückendeckung zu verschaffen, hat Böhr nun zunächst die Landtagsfraktion auf Linie gebracht. Drei Stunden diskutierten die Abgeordneten hinter verschlossenen Türen, bevor einige der Böhr-Anhänger vor die Presse durften, um die zehnjährige gute Arbeit ihres Vorsitzenden zu loben und mit den abtrünnigen Bezirkschefs ins Gericht zu gehen. Große Verärgerung habe deren Bericht ausgelöst, berichtet etwa der parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Herbert Jullien. "Ohne Vollmacht, ohne Legitimation" hätten die drei gehandelt. Sie sei überhaupt nicht gefragt worden, kritisiert die südpfälzische Abgeordnete Simone Huth-Haage, um dann selbstbewusst zu verkünden: "Ich bin überzeugt, dass Christoph Böhr am Ende des Parteitages als Sieger dasteht."
Dennoch waren auch skeptische Stimmen nicht zu überhören: "Ich bin etwas deprimiert", gibt der Jurist Christian Baldauf zu. Der 38-Jährige hält es für problematisch, mit einem "angeschossenen" Spitzenkandidaten in einen ohnehin nicht leichten Wahlkampf zu ziehen: "Es wäre schön, wenn er das Heft selbst in die Hand nehmen würde", sagt Baldauf vieldeutig.
Überlegungen, ob Partei und Fraktion wirklich hinter ihm stehen, tut Böhr allerdings als "Kaffeesatzleserei" ab. Unterstützung bekam der 50-Jährige jetzt von einem Altvorderen. "In geordneten Verhältnissen", ließ der ehemalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident Bernhard Vogel wissen, habe schließlich der Vorsitzende jeweils das erste Wort. Vogel spricht aus leidvoller Erfahrung. Er war 1988 als Parteivorsitzender gestürzt worden. Sein Rücktritt als Ministerpräsident leitete dann eine lange Reihe von Personalquerelen ein und verbannte die rheinland-pfälzischen Christdemokraten letztlich bis heute auf die Oppositionsbänke. Alles, was Vogel damals noch einfiel, war der legendäre Satz: "Gott schütze Rheinland-Pfalz." Jutta Witte