Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 40 / 27.09.2004
Hagen Richmann

Worte und Taten nicht im Einklang

Deutsche Sicherheitspolitik

Die deutsche Sicherheitspolitik der Regierung Schröder lädt die Wissenschaft zu einer ausgesprochenen Aufmerksamkeit ein, um nach 16 Jahren konservativer Prägung eine mögliche neue Entwicklung zu bewerten. Zehn junge Autorinnen und Autoren, fast alle wissenschaftlich tätig, nähern sich in der Reihe "Außenpolitik und internationale Ordnung" der von ihnen als vordringlich erkannten Frage: "ob sich die Bindungen der Bundesrepublik Deutschland zu und in diesen Institutionen (gemeint sind: NATO, EU und OSZE) gelockert haben und sich damit eine Abkehr von der traditionellen Selbsteinschätzungsstrategie der deutschen Sicherheitspolitik seit dem Zweiten Weltkrieg abzeichnet".

Dieser Frage, die zweifellos eine gewisse skeptische Grundeinschätzung zumindest der Herausgeber erkennen lässt, wird in zehn Beiträgen nachgegangen. Dabei stehen die Sicherheits- und Verteidigungspolitik Deutschlands in der Nordatlantischen Allianz und in der Europäischen Union im Mittelpunkt. Daneben werden noch deren Wahrnehmung in der Öffentlichkeit und im sogenannten Parteiendiskurs erörtert, wobei der Beitrag von Johannes Varwick durchaus deutlichere Beachtung ver-dient.

Brüche und Ambivalenzen

Varwick bilanziert knapp und übersichtlich die deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Bündnis und kommt nach einer allgemeinen Analyse zu dem Ergebnis: "So lange die NATO ein funktionsfähiger multinationaler Handlungsrahmen bleibt, dürfte es deutsche Politik bleiben, ihre Sicherheitspolitik an diesem auszurichten. Dies liegt im aufgeklärten Eigeninteresse Deutschlands, dessen Macht den Partnern nur im multilateralen Rahmen akzeptabel ist."

Marco Overhaus sieht dagegen in dem deutschen Engagement in der EU zur Sicherheits- und Verteidi-gungspolitik einige Brüche und Ambivalenzen, weil die Beiträge sich in den vergangenen Jahren an drei Grundmustern orientiert hätten:

- Brückenfunktion im transatlantischen Sinn,

- Deutsch-französische Beziehungen und

- "das spezifische deutsche Funktionsverständnis gegenüber den europäischen Sicherheitsinstitutionen, welches sich immer weniger mit den tatsächlichen Entwicklungen und Entscheidungen auf europäischer Ebene deckt".

Diese Gemengelage habe deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik in den vergangenen Jahren zuweilen überfordert, da die Balance verloren gegangen sei. Schließlich konstatiert Overhaus: "Die Entwicklungen seit August 2002 lassen die Tendenz erkennen, dass sich Deutschland zwar rhetorisch weiterhin in der Mitte des Atlantiks befindet, seine Prioritäten jedoch in der Substanz weg von Amerika und stärker auf den Kontinent verlagert hat."

Fehlende Konzepte

In diesem Sinn verstehen schließlich die Herausgeber die gesamte sicherheits- und verteidigungspolitische Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland in den vergangenen Jahren. Sie vermissen neue Initiativen, erkennen Passivität und bemängeln - außer in der Verteidigungspolitik - fehlende Konzepte.

Vor allem müsse eine gestaltende Austarierung der Kooperationen mit Frankreich und mit den Vereinigten Staaten angemahnt werden, um den übrigen Aufträgen in der internationalen Politik gerecht zu werden. Darüber hinaus fehle es den Verteidigungspolitischen Richtlinien an einem sicherheitspolitischen Überbau, damit die Ansätze der verschiedenen Sicherheitspolitiken gebündelt und damit wirksamer gestaltet werden könnten.

Die Herausgeber haben fleißig erarbeitete Aufsätze vorgelegt, die als Grundlage für weitere und tiefergehende Diskussionen dienen können; sie bedürfen

jedoch noch einer intensiven und praxisorientierten sicherheitspolitischen Reflexion, wenn sie in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung nachhaltig Bestand haben sollen. Vielleicht gibt's dazu ja noch einen weiteren Band.

Sebastian Harnisch / Christos Katsioulis / Marco Overhaus (Hrsg.)

Deutsche Sicherheitspolitik.

Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2004;

267 S., 29,- Euro


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