Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 04 / 24.01.2005
Jens Mattern

Polens Privatisierungsskandale überschatten das politische Leben

Die Aufklärungsmühlen mahlen langsam

In Polens Grauzone zwischen Staat und Business haben es einige zu bunt getrieben: die Privatisierung von Staatsbetrieben wurde darum in den vergangenen zwei Jahren von Parlamentarischen Ausschüssen des Landes untersucht.

Dabei bietet die Befragung von Personen aus Geschäftswelt und Politik den untersuchenden Parlamentariern eine medial wirksame Möglichkeit der Selbstdarstellung; der polnische Bürger erhält neben Informationen über Verstrickungen und Klüngelei eine politische Seifenoper von hohem Unterhaltungswert geboten.

Der erste, fast abgeschlossene Fall ist die so genannte "Rywin-Affäre". Der Filmproduzent Lew Rywin (unter anderem Roman Polanskis preisgekrönter Streifen "Der Pianist") bot Adam Michnik, dem Chefredakteur der einflussreichen Tageszeitung "Gazeta Wyborcza", im Sommer 2002 eine Änderug des Mediengesetzes für eine Millionensumme an. Nach dieser Änderung hätte der Zeitungsverlag einen privaten oder staatlichen Sender kaufen können, unter der Voraussetzung, dass der seine Kritik an der postkommunistischen Regierung reduziere. Michnik machte diese Bestechungsofferte jedoch umgehend publik. Außer dem Überbringer des trüben Angebotes wurde jedoch bislang niemand strafrechtlich belangt, Premierminister Miller legte allerdings im vergangenen Jahr unter massivem öffentlichen Druck sein Amt nieder.

Auch der zweite Fall belastet die linke Minderheitsregierung, der heute der parteilose WirtschaftsexperteMarek Belka vorsteht. Nach der Rücktrittsankündigung von Premierminister Leszek Miller im April vergangenen Jahres, behauptete der ehemalige Schatzminister Wieslaw Kaczmarek öffentlich, dass Andrzej Modrzejewski, der damalige Vorsitzende des Mineralölkonzerns PKN Orlen mit Staatsanteilen, auf Betreiben Leszek Millers und mittels massivem Druck des Inlandgeheimdienstes UOP seinen Stuhl räumen musste. Modrzejewski stand damals kurz davor, mit J&S einen wichtigen Vertrag abzuschliessen. Dieser in Zypern gegründeten russischen Firma, die eine Mittlerrolle zwischen Öl exportierenden Firmen und Raffinerien spielt, wird jedoch unterstellt, vom russischen Geheimdienst kontrolliert zu werden. Russland ist mit seinen verbilligten Energiepreisen im Inland dringend auf den Verkauf von Öl und Gas im Ausland angewiesen und übt seit längerer Zeit entsprechenden Druck auf den polnischen Energiemarkt aus.

Der reichste Mann Polens

Nach den öffentlichen Vorwürfen Kaczmareks wurde im Mai ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss einberufen. Der Ex-Schatzminister behauptete zudem, dass der damalige Ministerpräsident Leszek Miller wie auch Präsident Kwasniewski den Geschäftsmann Jan Kulczyk an die Spitze des Aufsichtsrates von PKN Orlen setzen wollten, dem habe er sich damals jedoch erfolgreich widersetzt. Kulczyk, der als reichster Mann Polens gilt, hält zwar nur einen geringen Anteil der Orlen-Aktien. Ihm wird aber ein weitaus größerer Einfluss nachgesagt - Staatspräsident Aleksander Kwasniewski gehört zu seinen Bekannten. Und auch Kulczyk selbst sagt sich diesen Einfluss gerne nach. Anscheinend im Juli 2003 in Wien auch gegenüber dem Ex-KGB-Agenten und Vertreter des russischen Ölkonzerns

Lukoil Wladimir Alganow. Dort habe Kulczyk versprochen, ein Wort beim "Ersten" für Lukoil einzulegen, was den Verkauf einer staatlichen Raffinirie in Danzig betraf. Mit diesem "Ersten", so die Meinung vieler Kommentatoren, könne nur der Staatspräsident gemeint gewesen sein. Das Fürsprechen Kulczyks war als Rekompensation gedacht: Alganow beschwerte sich bei ihm, vor einem anderem Geschäft Schmiergelder gezahlt zu haben, ohne danach bei Transaktionen berücksichtigt worden zu sein. Seltsam ist nur, dass Kulczyk kein Interesse an einem zu großen Einfluss der Russen auf dem polnischen Ölmarkt haben kann.

Diese Konversation wurde jedoch vom polnischen Geheimdienst verfolgt. Prekär ist, dass sich die Akten des Inlandgeheimdienstes von denen des Auslandgeheimdienstes unterscheiden: im Bericht des letzteren wird ausgerechnet Schatzminister Kaczmarek als Adressat der Bestechung ohne Gegenleistung genannt. Einer Konfrontation Kulczyks mit den beiden Chefs der polnischen Geheimdienste wird darum in Polen mit Spannung entgegen gesehen.

Allerdings sind die Erwartungen auf gründliche Aufklärung des Interessenwirrwarrs eher gedämpft. Denn der öffentlichkeitsscheue Geschäftsmann gilt als gewiefter Fuchs, seine Befragung erwies sich bislang als wenig ergiebig: im Oktober vermied er eine Anhörung durch Aufenthalte in exklusiven Privatkliniken in den USA und Großbritannien. Die Befragung selbst wurde schließlich rasch abgebrochen, da Kulczyk nur in Anwesenheit seines Rechtsbeistandes Rede und Antwort stehen wollte, was die Kommission nicht erlaubte. Die Institution wird mit ihren Mitgliedern aus teils nationalistischen Splitterparteien allerdings für weit weniger seriös gehalten als ihre Vorgängerin. Viele ihrer Mitglieder heben sich mehr durch politische Abschweifungen als durch kluges Nachfragen hervor, besonders beliebt sind Anschuldigungen, der Befragte sen in der Volksrepublik Polen ein Denunziant gewesen.

Roman Giertych, Chef der populären nationalklerikalen Partei "Liga Polnischer Familien" und zweiter Vorsitzender des Ausschusses, steht wiederum selbst im Verdacht, Kulczyk darin bedrängt zu haben, belastendes Material über den Präsidenten zu liefern. Da er dabei nicht erfolgreich war, will er nun den Inhalt der Akten des Inlandgeheimdienst SB über 33 mögliche Zeugen des Vorgangs veröffentlicht haben. Darunter der jetzige Präsident Aleksander Kwasniewski und Premier Marek Belka. Damit stellte er die Kommission jedoch vor eine Zerreißprobe. Anders als in der ehemaligen DDR zogen die Aktivisten der Solidarnosc einen Schlusstrich unter die Vergangenheit, verlangten keine Offenlegung der Akten wie in der Gauck-Behörde. Doch Giertych will nun die Orlen-Affäre nutzen, um mit dem "kommunistische Erbe" der Volksrepublik reinen Tisch zu machen. Ein Ansinnen, dem die beiden konservativen Parteien "Recht und Gerechtigkeit" und "Bürgerliche Plattform" nicht wirklich Widerstand leisten: voraussichtlich im Juni stehen Parlamentswahlen an, und unter den Rechtsparteien ist eine Konkurrenz der "Themeninitiative" entstanden.

Anteile unter Wert verkauft

Doch die bedrängten Postkommunisten haben ein Gegenmittel: eine dritte Untersuchungskommission, die demnächst berufen wird. Grund sind die Ungereimtheiten bei der Privatisierung von Polens größtem Versicherungskonzern PZU, was in die Regierungszeit des konservativen Wahlbündnisses in den Jahren1997 bis 2001 fällt. Anteile des Konzerns wurden an die niederländische Versicherungsfirma Eureko weit unter Wert verkauft. Auch sollen Gelder für einen konservativen Fernsehsender abgezweigt worden sein.

Der polnische Fernsehzuschauer kann so demnächst an vier Tagen in der Woche das Frage- und Antwortspiel von zwei Kommissionen verfolgen. Dabei verspricht die Liste der neuen Mitglieder einen großen, wenn auch zweifelhaften Unterhaltungswert: mit von der Partie ist der radikale Bauernführer Andrzej Lepper. Ihm bietet die somit garantierte Fernsehübertragung die Möglichkeit, an seine einstige Schlagzeilenpräsenz wieder anzuknüpfen.

Der Bühnencharakter der Kommissionen lässt sich nicht vermeiden, Parteien auszuschliessen wäre rechtlich nicht haltbar. Der politikverdrossene Bürger wird so in seiner Abneigung gegen Politiker bestärkt.

Auf der anderen Seite haben die Parlamentarischen Kommissionen in Polen bislang wichtige Ergebnisse geliefert und legen Zeugnis einer wehrhaften Demokratie ab - im Russland des Wladimir Putin jedoch wäre an eine solche öffentliche Untersuchung nicht zu denken.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.