Alles hatte seine wohlgefügte Ordnung. Im Rampenlicht agierte Walter Döring: Der Wirtschaftsminister im CDU/FDP-Kabinett, Parteivorsitzende und Medienprofi beherrschte als Alleinunterhalter die Schlagzeilen und punktete bei Urnengängen für die schwäbischen und badischen Freidemokraten. Zwar sind die glorreichen Zeiten im einstigen liberalen Stammland längst Vergangenheit, doch holte Döring 2001 solide 8,1 Prozent, bei der Wahl im Frühjahr 2006 wird die FDP zehn Jahre mitregiert haben. Indes stürzte Döring, hinter dessen Rücken die Partei bis zur Konturlosigkeit verschwand, im Sommer unerwartet über eine Affäre wegen der dubiosen Bezahlung einer Umfrage im Dunstkreis des milliardenschweren Flowtex-Betrugsskandals und des PR-Beraters Moritz Hunzinger. Justizministerin Corinna Werwigk-Hertneck musste ebenfalls gehen. Gegen beide Politiker ermittelt der Staatsanwalt.
FDP stand vor dem Nichts
Die FDP stand vor dem Nichts. Nie mehr wollten die Freidemokraten derart von einem einzelnen Politiker abhängig sein und bei dessen Abgang in ein schwarzes Loch zu fallen drohen. Aus der Not wurde eine Tugend, das Team geboren. Die Bundestagsabgeordnete Homburger übernahm den Parteivorsitz. Noll rückte an die Spitze der Fraktion. Deren vorheriger Chef Pfister wurde Dörings Nachfolger im Kabinett und Vize von Ministerpräsident Erwin Teufel. Zudem recycelte die FDP zur allgemeinen Verblüffung als neuen Justizminister Goll, der dieses Amt bereits 1996 übernommen hatte und 2002 der Politik Adieu sagte. In den aufgeregten Julitagen erteilte Goll neuen "Spitzenkandidatendebatten" eine entschiedene Absage. Eine Person herauszuheben, nein, "ich halte nichts davon", so Goll damals. Nach seiner clever durchgesetzen Installierung als Nummer eins durch eben diese Viererriege, der Vorstand am 11. Februar und ein Parteitag im Juni werden diese Entscheidung noch formal zustimmen, will der 54-Jährige von den seinerzeitigen Erkenntnissen nichts mehr wissen. Es sei eben schwer, so Goll heute, "in einem Viererteam zusammenzuarbeiten". Zudem habe bei der Union die Mitgliederbefragung über die Teufel-Erbfolge und die Wahl Günther Oettingers zu einer solchen Personalisierung geführt, "dass ein Team verloren in der Landschaft stand".
In der Tat herrscht bei den Liberalen Unruhe: Umfragen sehen die Partei bei nur noch sechs Prozent. Das Quartett mühte sich im Schatten der CDU vergeblich, öffentlich überhaupt bekannt zu werden. Die FDP, nicht die Union scheint der Verlierer der Krise im Stuttgarter Kabinett zu sein. Die CDU hat ihre Personalprobleme mit der Kür Oettingers als Kronprinz Teufels geregelt, und das Duell des Fraktionsvorsitzenden mit Kultusministerin Annette Schavan bescherte der Union viel mediale Resonanz. Die Freidemokraten hingegen sind untergegangen. In dieser Situation bewies Goll kaltschnäuzig Machtinstinkt und überrumpelte mit seinem Marsch in die Fußstapfen Dörings seine drei Mitregenten. In der Weihnachtsruhe vor Dreikönig lancierte er über die Medien forsch seinen Anspruch auf die Spitzenkandidatur. Birgit Homburger, die auch nach 2006 ihre Zukunft in Berlin sieht, mahnte matt, diese Frage doch bitte erst im Februar zu klären. Pfister weilte in Costa Rica und bekam von Golls Parforceritt am Neckar nichts mit, ein raffinierter Schachzug des Justizministers. Aus der Defensive heraus hielt Pfister, der als Vize Teufels in der Rangordnung über Goll steht und die für die FDP wichtige Wirtschaftspolitik beackert, beim Dreikönigstreffen eine betont kämpferische Rede und warb in den Reihen der Parteitagsdelegierten für eine "Doppelspitze" mit ihm und dem Konkurrenten.
Mehr Eigenständigkeit
Vergeblich. Mittlerweile strich Pfister die Segel: "Ich wäre für die FDP gerne im Rahmen einer Doppelspitze zur Landtagswahl 2006 angetreten", teilte er kleinlaut mit, "leider" habe dieser Vorschlag "keine ausreichende Unterstützung gefunden". Wie Pfister nach dieser Demontage durch die eigenen Leute unter einem Regierungschef Oettinger, der als Newcomer in der Villa Reitzenstein eigene Duftmarken setzen muss, im Kabinett die Liberalen gegen die Union profilieren will, mutet rätselhaft an. Goll räumt ein, nun stehe Pfister "als derjenige da, der momentan den Kürzeren gezogen hat". Für den Verlierer dürfte es wenig tröstlich sein, dass der Sieger ihm generös in Aussicht stellt, im Wahlkampf ein "Eckpfeiler" zu sein.
Der neue Spitzenkandidat will der FDP in der Koalition mehr Eigenständigkeit verschaffen. Das dürfte ein hartes Stück Arbeit werden. Bislang wurden kaum politische Unterschiede zwischen den beiden Parteien deutlich - nicht einmal in der Wirtschaftspolitik, auch wenn die Freidemokraten gelegentlich mehr Privatisierungen fordern. Im zentralen Bereich Inneres trugen die Liberalen den restriktiven CDU-Kurs ebenfalls mit, etwa bei Videoüberwachung oder Sicherungsverwahrung. Zwar setzte Goll bei der Homoehe eine Enthaltung Baden-Württembergs im Bundesrat durch, doch treibt dieses Thema die Bürger nicht gerade sonderlich um. Als Goll von der Union eine Neuverhandlung des Koalitionsvertrags für die Zeit mit Oettinger verlangte, wurde er von der eigenen FDP-Fraktion zurückgepfiffen, jetzt soll wenigstens ein neues "Kapitel" als Anhang herausspringen.
Die Südwest-FDP ist aus ihrer Krise noch nicht herausgekommen. Goll soll es nun richten. Immerhin hat er eine gewisse Erfahrung beim Bemühen, Darniederliegenden aus der Patsche zu helfen: Während seines vorübergehenden Ausstiegs aus der Politik war er in einer Anwaltskanzlei tätig - als Insolvenzverwalter.