Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 04 / 24.01.2005
Johannes Wendland

Das Dunkle hinter den Bildern

Felix Ensslin, der Sohn der RAF-Terroristin Gudrun Ensslin, bewahrt sich vor der Vergangenheit

Die Taten der Eltern und Großeltern liegen oft wie eine bleierne Last auf den Nachgeborenen. Es würde nicht verwundern, wenn einer wie Felix Ensslin darüber ein Klagelied anstimmen würde. Auf den ersten Blick wäre der Sohn der RAF-Terroristin Gudrun Ensslin und des Schriftstellers Bernward Vesper sowie Enkel des NS-Dichters Will Vesper der geborene Zeitzeuge. Doch, entsprechend gefragt, pariert er mit einer Volte: "Viele Menschen meinen, dass ich ein Experte dafür sein müsste, was in den 70er-Jahren passiert ist. Doch ich bin nur ein Experte dafür, was mit mir in den 70er-Jahren passiert ist."

Reden wir also über Felix Ensslin, 37, studierter Philosoph, Dozent und langjähriger Mitarbeiter von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag. Daneben Theaterautor, Dramaturg und Regisseur, seit Jahren verbunden mit dem Deutschen Nationaltheater in Weimar, wo er Mitte Dezember auch sein Erstlingswerk "Durch einen Spiegel ein dunkles Bild" selbst in Szene gesetzt hat. Und jetzt einer der Kuratoren der Ausstellung "Zur Vorstellung des Terrors: Die RAF-Ausstellung" in den Berliner Kunst-Werken. Seit zwei Jahren arbeitet Ensslin an der Konzeption der Berliner Ausstellung. Es hat länger gedauert, als geplant - die massive öffentliche Debatte im Sommer 2003, die sich entzündete an einer Ausstellung, die noch gar keine war, verzögerte die Umsetzung des Projekts.

Zuvor, so räumt er ein, hatte Ensslin in der Öffentlichkeit einen Bogen um das Thema RAF gemacht. Wohlwissend um die Belastungen, die für ihn unausweichlich wären, um die Schwierigkeit, private Erfahrungen und historische Ereignisse zu trennen. Was hat ihn dazu bewogen, jetzt aber diese Ausstellung zu organisieren? "Die Kunst", sagt er. "Die bildende Kunst ist mir nahe, und deshalb mache ich das jetzt. Es ist und bleibt eine ambivalente Situation, weil es kein Thema wie jedes andere für mich ist, ganz klar."

Wenn Ensslin von den Ursprüngen dieser Ausstellung erzählt, dann klingt das zunächst so nüchtern und distanziert, als handelte es sich um ein x-beliebiges Thema. Sein Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass sehr viele Künstler in ihren Arbeiten häufig auf den Linksterrorismus der Bundesrepublik Bezug genommen haben. Dies habe er eher nebenbei in einem privaten Gespräch mit Klaus Biesenbach erwähnt, dem früheren Leiter der Kunst-Werke. Der habe den Faden sofort aufgenommen und die - später heftig umstrittenen - Fördermittel beim Berliner Hauptstadtkulturfonds beantragt. Als diese bewilligt waren, begann Ensslin zusammen mit der Ko-Kuratorin Ellen Blumenstein mit der Vorbereitung.

In der Debatte über die "Skandalausstellung" ("Bild") ist die Tatsache, dass es dabei in erster Linie um eine Kunstausstellung gehen sollte, völlig untergegangen. Die Kunst-Werke versäumten es allerdings auch, darauf zu insistieren, und agierten auffallend defensiv. "Wir konnten nicht eine Debatte über eine Ausstellung führen, die wir gerade erst entwickelten", erklärt Ensslin. Das gelte auch für die Frage, ob und wie die Erfahrungen der Hinterbliebenen der Terroropfer in die Vorbereitung einfließen sollten: "Die Frage, wie man sich dazu verhält, dass die Ausstellung mit traumatischen realen Erfahrungen zu tun hat, hatten wir zu diesem Zeitpunkt einfach noch nicht gelöst." Die Ausstellung, die jetzt eröffnet wird, stellt die Kunst deutlich ins Zentrum und intendiert ausdrücklich keine zeitgeschichtliche Aufarbeitung des RAF-Terrors. Doch inwieweit berührt diese Ausstellung bei Felix Ensslin das eigene Verhältnis zur Geschichte der RAF? Gibt es doch irgendwo autobiografische Momente? "Ich glaube, meine Erfahrung unterscheidet sich gar nicht so wesentlich von der anderer Angehöriger meiner Generation", antwortet er, "etwa von Biesenbach oder einem Künstler wie Johannes Wohnseifer, der mit einer medienkritischen Arbeit in der Ausstellung vertreten ist. Dabei spielt die Frage nach den medial vermittelten Bildern der Ereignisse und der Personen eine ganz große Rolle. Wir haben eine eigenartige Omnipräsenz und zugleich Ferne dieser Bilder wahrgenommen." Die Fahndungsfotos der Terroristen oder die Bilder von Tatorten oder Geiselnahmen sind ins kollektive Gedächtnis eingegangen und zum Signum für einen geschichtlichen und - bei jedem Einzelnen - auch biografischen Moment geworden. Und doch haben diese Bilder Fragen offen gelassen. Der Kunst spricht Ensslin das Vermögen zu, ein erneutes Nachdenken über diese Bilder und das, was sich hinter ihnen verbirgt, anzustoßen.

Es scheint so, dass Ensslin sich mit diesen Erfahrungen als ziemlich normalen Vertreter seiner Generation sieht. Einerseits. Doch da ist auch die andere Seite, seine Lebensgeschichte. Vier Jahre alt war Felix Ensslin, als sein Vater, der Autor des Kultromans der 68er-Generation "Die Reise", in der Psychiatrie der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf Selbstmord beging, zehn Jahre alt, als seine Mutter im Hochsicherheits-trakt Stuttgart-Stammheim ihrem Leben ein Ende setzte. Wenige Monate nach der Geburt hatte seine Mutter das Kind verlassen, um in den Untergrund zu gehen. Felix Ensslin wuchs in einer Pflegefamilie auf.

Dass der Schmerz über den Verlust seiner Eltern und die Suche vor allem nach der Mutter ein Thema ist, das ihn immer wieder einholt, lässt das Theaterstück spüren, das Ensslin jetzt in Weimar aufgeführt hat. In Dialogform beschreibt es das Verhältnis zwischen einer Tochter und ihrer verstorbenen Mutter, "ein Selbstbehauptungs- und Erfahrungsdialog" ("Deutschlandfunk"), der deutlich autobiografische Bezüge hat. "Der erste Spiegel im Leben eines Menschen ist seine Mutter. Meistens", heißt es im Text. "Es kann passieren, dass ein Kind, vom schimmernden Glanz dieses Spiegels gebannt, bei ihm verharrt und selbst dann darin gefangen bleibt, wenn die Zeit ihr Werk verrichtet hat."

Als 19-Jähriger zog er zum Studium in die USA, in ein Land, wo der Name "Ensslin" keine unmittelbaren Reaktionen auslöste. In New York studierte er Philosophie, legte eine Magisterarbeit über ein Luther-Thema ab und hielt als Assistent Seminare ab.

Zehn Jahre später kehrte er auf Betreiben von Antje Vollmer nach Deutschland zurück. Eine Legislaturperiode war er wissenschaftlicher Mitarbeiter der Grünen-Fraktion, eine weitere Büroleiter bei Rezzo Schlauch. Viel Leben, viel Biografie für einen 37-Jährigen. In näherer Zukunft warten weitere Theaterprojekte auf ihn, und er will seine Doktorarbeit wieder aufnehmen.

Von den Kunstwerken, die Ensslin für die RAF-Ausstellung ausgewählt hat, sprechen ihn nach eigener Aussage besonders diejenigen von Künstlern einer Generation in mittleren Jahren an. In ihnen entdeckt er häufig den mitunter sehr emotionalen Versuch, gegen den Druck der Ereignisse und die Spuren der Gewalt die eigenen Möglichkeiten zu bewahren. Das klingt fast wie eine Überschrift über sein eigenes Leben.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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