Grundsätzlich begrüßten die Experten die geplante Novelle der arzneimittelrechtlichen Vorschriften. Zum Teil fiel die Beurteilung jedoch kritisch aus. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht eine Änderung der Prüfungs- und Zulassungsverfahren für Medikamente und Registrierungsvorschriften für homöopathische Arzneimittel vor.
In schriftlichen Stellungnahmen zum Arzneimittel-Hearing kritisiert die Mehrheit der Experten eine zu breite Auslegung der europäischen Vorgaben. So lehnt der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) die vorgeschlagene Änderung ab, wonach pharmakologisch-toxikologische Unterlagen im Registrierungsverfahren nunmehr generell vorzulegen sind. Es bestehe kein Bedarf, über die Arzneimittelprüfrichtlinien hinaus im Gesetz Anforderungen an die Vorlage von Unterlagen zu regeln. Eine entsprechende Regelung zur Umsetzung der europäischen Vorschriften existiere bereits. Besonders ungünstig würde sich diese Regelung auf die homöopathischen Arzneimittel auswirken, so die Befürchtung. Der Zentralverband der Ärzte für Naturheilverfahren und Regulationsmedizin befürchtet Kostensteigerungen, die "diese Medizinrichtungen gegenüber der konventionellen Medizin weiter benachteiligen" würden.
Neuregelung für Braille-Beschriftung
Ähnlich wie BPI fordern der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) und der Dachverband Anthroposophische Medizin in Deutschland (DAMID) eine Übergangsregelung bei der Anwendung der neuen Registrierungsunterlagen für bereits laufende Registrierungsverfahren. Bei homöopathischen Präparaten, die seit Jahrzehnten auf dem Markt sind, soll aus der Sicht des BPI generell auf eine Begründung zum Unbedenklichkeitsgrad verzichtet werden.
Positiv bewerten die Experten die nun vorgesehene Abverkaufsregelung für Arzneimittel ohne Braille-Schrift-Kennzeichnung. Die jüngste Novelle des Arzneimittelgesetzes sieht ab dem 1. September 2006 eine generelle Kennzeichnungspflicht auf der äußeren Umhüllung der Medikamente in Blindenschrift. In den vorliegenden Gesetzentwurf wurde nun eine unbegrenzte Abverkaufsfrist für solche Präparate aufgenommen, die bereits zum Stichtag im Verkehr waren. Die Mehrheit der Sachverständigen bewertet die Regelung allerdings als noch unzureichend und unverhältnismäßig. Die generelle Kennzeichnungspflicht in Blindenschrift gehe über die EU-Anforderungen hinaus. Danach seien lediglich neue Medikamente der Verpflichtung zur Kennzeichnung in Braille zu unterstellen. Die Experten weisen in diesem Zusammenhang vor allem auf hohe Umsetzungskosten und technische Schwierigkeiten bei der Schriftgröße auf kleinen Packungen und fordern Ausnahmeregelungen für Präparate, die ausschließlich durch medizinisches Personal verabreicht werden, desgleichen für Homöopathika, Kleinstchargen und Kleinstpackungen.
Als Kronzeugen für ihre Einwände führen die Sachverständigen den Bundesrat an, der eine Präzisierung der Bestimmungen für die Kennzeichnungspflicht verlangt. In einer Stellungnahme zum Regierungsentwurf, die zusammen mit einer Gegenäußerung der Bundesregierung nun als Unterrichtung (15/4644) vorliegt, schlägt die Länderkammer vor, aus Praktikabilitäts- und Kostengründen den Kennzeichnungsumfang einzuschränken. Die Bundesregierung prüft nach eigenen Angaben den Änderungsbedarf.
Kritik an der Abverkaufsregelung übt hingegen der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband. Diese bringe grundsätzlich die Gefahr mit sich, dass noch über viele Jahre hinweg Medikamente ohne Braille-Beschriftung an blinde und sehbehinderte Menschen verkauft werden. Sie schließe außerdem nicht aus, dass noch kurz vor dem 31. August 2006 Medikamente in erheblichem Umfang mit Umverpackungen bisherigen Zuschnitts versehen und in den Handel gebracht würden.
Auch der zweite Themenkomplex - die geplante Novelle des Apothekengesetzes - wird von Experten unterschiedlich bewertet. Der Regierungsentwurf sieht vor, dass Apotheker, die ihren Sitz in der EU oder einem anderen Vertragsstaat des Europäischen Wirtschaftsraumes haben, künftig Krankenhäuser EU-weit mit Medikamenten versorgen und auch andere Apotheker-Leistungen für Krankenhäuser anbieten können. Damit soll das Regionalprinzip in der Arzneimittelversorgung von Krankenhäusern - also die Bindung an Lieferanten aus demselben oder benachbarten Landkreis - aufgehoben werden.
Dieses Prizip verstößt nach Ansicht des Direktors des Instituts für Europäisches Wirtschaftsrecht, Professor Wulf-Henning Roth, ohnehin "eindeutig gegen europäisches Recht". Er wies in der Anhörung darauf hin, dass Entschädigungsansprüche auf die Bundesrepublik zukommen könnten, wenn der Gesetzentwurf der Bundesregierung abgelehnt werden sollte und man den Ausgang des Vertragsverletzungsverfahrens gegen die Bundesrepublik abwarten würde. Genau dies forderte der Bundesrat in seiner Stellungnahme zu den Plänen der Regierung, die ihrerseits in einer Unterrichtung (15/4293) darüber informiert. Roth führte weiter aus, das Regionalprinzip sei zwar eine geeignete, aber auch "übermäßige" Regelung für den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung. Die Beratungsleistung ortsansässiger Apotheker könnten nach seiner Ansicht auch nicht ortsansässige und ausländische Apotheken erbringen.
Trennung von Beratung und Logistik
Dem widersprach der Sachverständige Professor Berthold Göber. Er halte eine "Trennung von Beratung und Logistik" für problematisch, da eine solche mit einem "beträchtlichen Qualitätsverlust" verbunden sei. Diese Position teilte ein Vertreter des Marburger Bundes. In den Krankenhäusern stünden nicht Überlegungen zur Wirtschaftlichkeit an erster Stelle, sondern die Patientenversorgung. Ärzte bräuchten einen Partner, der sie beraten könne. Dies leisteten Krankenhausapotheker. In Krankenhäusern ohne Krankenhausapotheke gewährleiste dies das Regionalprinzip.
Ein Vertreter des Bundesverbands Deutscher Krankenhausapotheker betonte, die dauernde Mit- und Zusammenarbeit von Ärzten und Krankenhausapothekern führe zu einer Reduzierung von Medikationsfehlern, da die Krankenhausapotheker hilfreich bei der Behandlungsplanung, der Anamnese sowie bei der Patientenschulung seien. Eine Aufgabe des Regionalprinzips erhöhe hingegen das Sicherheitsrisiko. Ein Vertreter des Bundesverbands klinik- und heimversorgender Apotheker fügte hinzu, die Aufgabe des Regionalprinzips führe zu einer Trennung von Routine- und Akutbehandlung. Dies sei weder wirtschaftlich sinnvoll, noch der Sicherheit der Patienten zuträglich. Normale Apotheken könnten im Falle von Infarkten und Schlaganfällen die Patienten nicht versorgen, weil sie die dafür notwendigen Medikamente nicht vorrätig hätten.
Dem widersprach der Vertreter der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Der Gesetzgeber habe in seinem Änderungsvorschlag eine dreifache Sicherheitskontrolle vorgesehen. So werde festgelegt, dass Verträge zwischen Krankenhäusern und Apotheken geschlossen werden müssen, in denen bestimmte Inhalte vorgeschrieben seien. Zudem sei eine behördliche Genehmigung vorgesehen. Damit sei sichergestellt, dass mit der Abschaffung des Regionalprinzips keine Qualitätsprobleme eintreten werden.