Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 08 / 21.02.2005
Martin Peter

"Provinzposse" - oder was?

Brandenburg: Warum die Armenier doch nicht aus dem Lehrplan fallen

Dagmar Enkelmann, die Fraktionsvorsitzende der PDS im brandenburgischen Landtag, hat für die bundesweit Kopfschütteln auslösende Schulbuchaffäre nur beißenden Spott übrig: "Peinliche Provinzposse." CDU-Generalsekretär Sven Petke fühlt sich an eine "Nacht-und-Nebel-Aktion" erinnert. Dabei geht es "lediglich" um die Streichung des Beispiels Armenien für einen Genozid im vergangenen Jahrhundert aus der Internet-Fassung des Lehrplans für die 9. und 10. Klasse. Inzwischen hat Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) eingeräumt, dass diese Streichung ein Fehler war.

Um diese "peinliche Provinzposse" beziehungsweise "Nacht-und-Nebel-Aktion" zu verstehen, muss an folgendes erinnert werden: Vor 100 Jahren versuchten die islamischen Osmanen (Türken) die christlichen Armenier auszurotten. Es kam zu einem fürchterlichen Gemetzel, dem zwischen einer und anderthalb Millionen Armenier zum Opfer fielen. In jeder noch so kurzgefassten Kirchengeschichte kann man nachlesen, dass es sich um die zahlenmäßig größte Christenverfolgung aller Zeiten gehandelt hat.

Doch die Türkei leugnet diesen Völkermord bis auf den heutigen Tag und reagiert äußerst allergisch, wenn das Thema angeschnitten wird. Etwa von den Kirchen im Blick auf den Beitrittswunsch der Türkei zur Europäischen Gemeinschaft. Aus welchen Gründen auch immer wollen sich die Türken diesem Thema nicht stellen. Und so haben sie auch ein Interesse daran, dass es nicht in deutschen Schulbüchern behandelt wird. Um kein falsches Licht auf die Türkei fallen zu lassen, die aus Sicht der Kirchen bis auf den heutigen Tag den Christen beharrlich die Gleichberechtigung verweigert, die sie beispielsweise aber in Deutschland wie selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen.

Nun trafen sich Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) und sein Bildungsminister Holger Rupprecht (parteilos) mit dem türkischen Generalkonsul zum Essen. Kurz darauf kam es wohl auf Bitten (oder gar Anweisung?) der Staatskanzlei zu der Streichung des Genozids an den Armeniern aus der Internetfassung und aus den künftigen Neuauflagen der entsprechenden Schulbücher. Doch als dies bekannt wurde, setzte ein Sturm der Entrüstung ein und Platzeck beeilte sich darauf hinzuweisen, dass die Streichung nichts mit dem Essen zu tun habe. Soll heißen, die Türkei habe keinen Druck ausgeübt. Genau das aber wurde und wird immer wieder behauptet. Platzeck hält dagegen, dass er gegen politischen Druck "resistent" sei.

Nicht resistent zeigte sich der Ministerpräsident gegenüber der öffentlichen Entrüstung. Schließlich ist der Völkermord an den Armeniern geschichtliches Grundwissen und hat darum auch seinen Platz in brandenburgischen Schulbüchern. Aber hätten nicht andere Beispiele gewählt oder noch weitere Beispiele genannt werden können, wenn schon die Armenier erwähnt werden sollten? Fragen über Fragen, die nun gestellt wurden. Aber sie alle lenkten von der eigentlichen Frage ab, warum man plötzlich die Armenier wieder streichen wollte, deren Leiden erst vor knapp drei Jahren in den Lehrplan aufgenommen worden sind?

Ministerpräsident Platzeck erkannte plötzlich, dass ihm diese Geschichte schaden könnte. SPD- und CDU-Landtagsfraktion, die bilden in Brandenburg die Regierungskoalition, ergriffen die Initiative: Armenien kommt wieder in den Lehrplan. Inzwischen hatten sich auch die in Deutschland lebenden Armenier zu Wort gemeldet. Der Ministerpräsident lud daraufhin die armenische Botschafterin, Karine Kazinian, zusammen mit Vertretern der armenischen Kirche und des Zentralrats der Armenier zu einem Gespräch in die Staatskanzlei, vor der er auch die armenische Fahne hissen ließ.

Anschließend gab sich die Botschafterin zufrieden: Der Völkermord an den Armeniern werde auch weiterhin im brandenburgischen Schulunterricht behandelt. Wie Platzeck in der emotionsgeladenen Debatte meinte, sei es nicht korrekt, beim Thema Ausrottung ganzer Völker nur die Armenier zu nennen. Dies sei "historisch und sachlich" nicht in Ordnung. Nun sollen auch weitere Beispiele genannt werden - wogegen selbstverständlich niemand etwas hat.

Sachlich falsch war es freilich, die Armenier aus dem Lehrplan zu streichen. Aber das ist nun rückgängig gemacht worden. Und in wenigen Monaten soll eine Handreichung zum Unterrichtsthema Genozid vorliegen. Diesmal wird man vor der Veröffentlichung unabhängige Fachleute zu Rate ziehen. Ein zweites Debakel wie bei der Streichung der Armenier will man sich auf diese Weise ersparen.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.