Doch heute ist der Schritt ins Ausland gerade für Auszubildende eine so große Herausforderung, dass kaum einer sie angeht: Nur etwa jeder hundertste deutsche Jugendliche absolviert einen Teil seiner Berufsausbildung in einem anderen Land - unter Studierenden ist es immerhin jeder siebte. Gegen den Umzug spricht vor allem, dass quer durch Europa immer noch völlig verschiedene Ausbildungsinhalte in völlig verschiedenen Ausbildungsberufen vermittelt werden. Wer in Deutschland als Industriekaufmann in die Lehre geht, erwirbt in Madrid oder Oslo die gleiche Berufsbezeichnung als Bachelor-Absolvent an einer Hochschule - hat aber unter Umständen auch nicht mehr gelernt als sein deutscher Kolllege. Und selbst die Prüfungsordnungen für klassische Handwerksberufe wie Tischler oder Stukkateur unterscheiden sich von Land zu Land. Deutschland ist eines von nur noch vier Ländern der Europäischen Union, das auf ein nahezu flächendeckendes duales Ausbildungsmodell setzt. Fast in ganz Europa lernen Jugendliche ansonsten mehr in der Schule als im Betrieb.
Wie hoch die Hürden sind, macht ein Blick auf die seit langem zusammenwachsenden Grenzregionen besonders deutlich. In der Euregio Maas-Rhein im deutsch-belgisch-niederländischen Dreiländereck zum Beispiel pendeln täglich mehrere tausend Menschen. Auch jugendliche Auszubildende würden an dieser Normalität gerne teilhaben. Aber: "Wer in die Niederlande geht, trifft auf ein völlig anderes System", sagt Silke Weitemeier, die im Aachener Regio-Büro für die Bildungszusammenarbeit zuständig ist. Viele deutsche Jugendliche würden gerne einmal wechseln, hätten aber immer wieder Probleme mit der Verwertung dessen, was sie im Ausland gelernt haben, erläutert Wei-temeier. Deutsche Jugendliche können in Maastricht oder Kerkrade zwar mit ihren Kollegen "mitlernen", dort aber nichts erwerben, was ihnen zuhause etwas nützt. Stattdessen verpassen sie Berufsschulstoff und praktisches Lernen, das am Ende prüfungsrelevant ist . Damit Jugendliche doch etwas mitnehmen, hat man sich in der Euregio etwas einfallen lassen: Auszubildende, die einen Teil im Ausland lernen, erwerben ein zusätzliches "Euregio-Kompetenzzertifikat".
Dass der Flickenteppich europäischer Ausbildungsordnungen keine ideale Lösung ist, wissen auch die Bildungsminister. Ähnlich wie in Bologna 1999 - wo die Schaffung eines einheitlichen Studienraums beschlossen wurde - vereinbarten 31 Bildungsminister und die Europäische Kommission in Brügge und Kopenhagen 2001 und 2002 gemeinsame Leitlinien für die berufliche Bildung.
Keine nationale Angelegenheit
Angesichts des künftigen europäischen Arbeitsmarktes sollte auch Berufsbildung nicht länger eine nationale Angelegenheit bleiben, erklärte damals die Bildungskommissarin Viviane Reding. Die "Kopenhagener Erklärung" fordert Europa auf, für transparente und vergleichbare Ausbildungsstrukturen zu sorgen, ein durchschaubares Kompetenzmodell zu entwickeln und Qualifikationen gegenseitig anzuerkennen.
Trotz zahlreicher Initiativen ist es bisher kaum möglich, eine Vergleichbarkeit der Lerninhalte herzustellen. Eine europäische Expertengruppe arbeitet mit Hochdruck an der Entwicklung eines "europäischen Qualifikationsrahmens". Dieser soll mit Hilfe einer Tabelle Kompetenzen und Niveaustufen so darstellen, dass jeder Lernende, aber auch Arbeitnehmer und Arbeitgeber in jedem Land nachvollziehen können, wer was kann. Bisher plant die Europäische Kommission die Einführung des Qualifikationsrahmens für 2006.
EU-weit eingeführt wurde am 1. Januar der so genannte EUROPASS. Dieser ist so etwas wie ein Portfolio, in dem - elektronisch oder auf Papier - international vorzeigbare und vergleichbare Kompettenzbescheingungen gesammelt werden. Es beinhaltet zum Beispiel einen EUROPASS-Lebenslauf, eine EUROPASS-Zeugniserläuterung, in der der jeweilige Berufsabschluss erläutert wird, eine Bescheingung über Auslandsaufenthalte, ein Sprachenportfolio und einen EUROPASS-Diplomzusatz. In Deutschland kann der Europass allerdings bisher nicht von Privatpersonen, sondern lediglich von Arbeitgebern, Kammern, Schulen oder anderen Organisationen beantragt werden.
Die EU fördert Mobilität in der Ausbildung auch finanziell: Das EU-Programm Leonardo da Vinci, für das von 2000 bis 2006 1,1 Milliarden Euro zur Verfügung stehen, ermöglicht Azubis und Lehrlingen für drei Wochen bis neun Monate den Austausch in ein anderes europäisches Land. Das akademische Programm Erasmus/Sokrates fördert in kleinerem Rahmen auch internationale Kooperationen berufsbildender Schulen. 2007 sollen Leonardo wie Erasmus in einem Programm "Lebenslanges Lernen" aufgehen und aufgestockt werden. Die EU-Kommission fordert eine Verdreifachung der Mittel auf insgesamt 13,6 Milliarden Euro durchsetzen zu können. Bewilligt ist die Summe allerdings bisher nicht.
Aus deutscher Sicht ist der Weg ins Ausland am 1. April zumindest ein bisschen einfacher geworden. Das neue Berufsbildungsgesetz verbrieft erstmals das Recht, einen Teil der Ausbildung im Ausland zu absolvieren. Bis zu einem Viertel ihrer Lehrzeit können Jugendliche künftig in einem anderen Land verbringen, heißt es in Paragraf 2 unter "Lernorte der Berufsbildung". Damit haben die Jugendlichen ein handfestes Argument auf ihrer Seite. Bisher nämlich scheitert ihre Mobilität häufig nicht nur an den verschiedenen Ausbildungsordnungen, sondern auch an Arbeitgebern oder Berufsschulen.