Im schnelllebigen Zeitalter der so genannten Mediendemokratie werden die Parlamentarier von einem Albtraum heimgesucht: Sie stellen sich vor, es tagt das Parlament, und keiner interessiert sich mehr dafür. So weit wollen sie es nicht kommen lassen, sondern lieber nach Wegen suchen, um den häufig beklagten Bedeutungsverlust der Landtage aufzuhalten und diese wieder zu einem zentralen Ort der politischen Auseinandersetzung zu machen. Rezepte dazu holten sie sich kürzlich in München, wo der bayerische Landtagspräsident Alois Glück (CSU) das Thema "Wiederbelebung des Parlaments" in den Mittelpunkt einer Fachtagung der deutschen Parlamentspräsidenten stellte. Nicht nur im Bayerischen Landtag dürften nun in den kommenden Monaten Arbeitsgruppen damit beschäftigt sein, die Ergebnisse der Tagung auszuwerten und umzusetzen.
Warum die "Musik" oft nicht mehr im Hohen Haus spielt und leidenschaftliche Debatten selten geworden sind, hängt laut Glück unter anderem damit zusammen, dass der politische Wettbewerb zwischen den Parteien immer häufiger außerhalb der Parlamente, zum Beispiel in Talkshows, ausgetragen wird. Auch gehe es heute weniger um grundsätzliche politische Alternativen als um Varianten.
Ritualisierte Abläufe
Der Landtagspräsident verwies weiter auf zu unflexible, ritualisierte innere parlamentarische Abläufe und - oft daraus resultierend - nicht hinreichend aktuelle beziehungsweise interessante Inhalte, mit denen sich die Parlamente beschäftigten. Um den Landtag wieder zu einem spannenden Forum zu machen, wünsche er sich mehr Spontanität und weniger Reglementierung "Ein Stück weit leide ich, dass es zu viele Rituale gibt", hebt Glück hervor.
Einen schwerwiegenden Grund dafür, dass die Parlamente nicht mehr als zentrales politisches Forum der Diskussion über die wichtigen Fragen der Zeit wahrgenommen würden, sahen Glück und auch seine Präsidentenkollegen in der zunehmenden Verlagerung von Zuständigkeiten der Länder auf die Ebenen von Bund und EU. Er stellte aber auch klar: "Die Politik, die in unseren Landtagen gemacht und verantwortet wird, ist viel besser als ihr Ruf in der Öffentlichkeit." Freilich falle es den Abgeordneten oft schwer, etwas zu verändern und Abläufe kritisch zu beurteilen. Doch eben diese Fähigkeiten seien ein Muss.
Für Christoph Grimm (SPD), den Präsidenten des Landtags von Rheinland-Pfalz, ist auch harsche Kritik an den Abgeordneten zum Problem geworden, wie er bei einer Podiumsdiskussion während der Tagung anmerkte. Die Besuchergruppen im Landtag hätten sich empört, dass die Volksvertreter während der Sitzungen schwätzten, umherliefen und Zeitung lesen würden. Deshalb lade er zu Plenartagungen keine Besucher mehr ein. "Das bekümmert mich", erklärte er. Leo Flamm, Vorsitzender der Landespressekonferenz Nordrhein-Westfalen, empfahl als Gegenmittel erzieherische Maßnahmen wie eine Fernsehkamera, die mit dem Zoom solche Disziplinlosigkeiten groß herausbringe.
Dass Medien und Parlament nicht immer miteinander glücklich sind, erläuterte Uli Bachmeier von der Bayerischen Landtagspresse, Landespressekonferenz Bayern: Viel Sitzfleisch brauche man als Pressevertreter, weil die Abgeordneten ihre Anliegen sehr oft wiederholten. "Wir sind als Trüffelschweine unterwegs und suchen die Rosinen, das steht oft im Widerspruch zu dem, was Abgeordnete erwarten". Diese kämen immer wieder auch schlecht vorbereitet zu den Sitzungen.
Der Passauer Politikwissenschaftler und Leiter der Akademie für Politische Bildung Tutzing, Prof. Heinrich Oberreuter, fand breite Zustimmung mit seiner Forderung, dass wieder mehr Substanz ins Parlament zurückkehren müsse und unterstrich die Notwendigkeit einer Föderalismusreform: "Mehr Gesetzgebungs- und Steuerkompetenz müssen her."
Als Hindernis für so eine erstrebenswerte Neuordnung sah Glück freilich den Umstand, dass sich die Länder oft selbst nicht über zusätzliche Kompetenzen einig seien. Bereits jetzt hätten sie aber mit Schul-, Haushalts- und regionaler Strukturpolitik wichtige Gestaltungsmöglichkeiten.
Innerhalb der Landtage könnten auch gesetzgeberische Entscheidungskompetenzen der Ausschüsse zu mehr Spannung verhelfen, meinte Oberreuter. Walter Momper, Präsident des Abgeordnetenhauses Berlin, bestätigte die Beobachtung, "dass viel zu lang über Themen gesprochen wird, über die schon drei bis vier Mal gesprochen worden ist". Heute gelte aber, dass in mediengerechten "einsdreißig" (eine Minute und 30 Sekunden) alles gesagt werde.
Auf Sympathie stieß der Vorschlag einer freien Fragestunde im Parlament nach britischem Vorbild, bei der die Kabinettsmitglieder den Abgeordneten auf Fragen spontan und ohne längere Vorbereitung durch ihren Beamtenapparat antworten müssen. Allerdings wurde eingewendet, dass jeweils die Mehrheitsfraktionen verhindern würden, dass die Regierungsmitglieder mit solchen Aktionen unter Druck gesetzt würden. "Die scheuen sich, Instrumente einzusetzen, die ihre Minister stärker fordern", so Grünen-Fraktionschef Stefan Wenzel aus Niedersachsen. Auch der Präsident des baden-württembergischen Landtags, Peter Straub, machte "das Bemühen der Regierungsfraktion, die Mehrheit zu verteidigen", mit für Langeweile im Hohen Haus verantwortlich. Solange Minister der Fraktion angehörten, seien die Regierungsfraktionen auch kaum bereit, freie Fragestunden zu veranstalten.
Als zum Teil schon bewährtes Mittel, ein Parlament lebendiger zu machen, wurde die Öffentlichkeit der Ausschüsse gepriesen, wie es der Bayerische Landtag einst vorgemacht hat. Das werde auch von den Medien gut angenommen, berichtete der rheinland-pfälzische Präsident Grimm, "und das Arbeitsklima ist dort viel besser und sachlicher".