Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 25 - 26 / 20.06.2005
Johanna Metz

Ein Land will Teil der europäischen Erfolgsstory werden

2. Tag der Ukraine im Deutschen Bundestag

Als der ukrainische Staatspräsident Viktor Juschtschenko am 9. März vor dem Deutschen Bundestag sprach, kam er ohne Umschweife zur Sache: "Die Ukraine möchte 2007 auf Grundlage eines Assoziationsvertrages Verhandlungen über einen Beitritt zur Europäischen Union beginnen", sagte er. Juschtschenko betonte, dass sein Land ein "unentbehrlicher Teil der europäischen Völkerfamilie" sei, bereit die "gelenkte Demokratie" nun durch eine echte Demokratie zu ersetzen.

Doch nicht nur in Deutschland rührte der neue Machthaber der ehemaligen Sowjetrepublik die Werbetrommel für seinen Kurs. Schon unmittelbar nach der spektakulären Wahl Juschtschenkos zum ukrainischen Staatsoberhaupt im November 2004 startete der Reformer auch in Brüssel eine europapolitische Offensive. Ein wenig forsch? Schließlich liegen die "orangene Revolution" und die Überwindung des Moskau-treuen Regimes von Leonid Kutschma gerade ein paar Monate zurück.

Die EU reagiert dementsprechend verhalten auf die Avancen Juschtschenkos. Weder der Europäische Rat noch die Kommission haben der Ukraine bisher eine Beitrittsperspektive eröffnet. Nicht einmal ein Assoziierungsabkommen ist geplant. Lediglich das bereits 1998 verabschiedete "Partnerschafts- und Kooperationsabkommen" zwischen der Ukraine und der EU soll fortgeführt werden - und das obwohl sich im Land seither tatsächlich ein grundlegender Wandel vollzogen hat, wie auch Serhij Bytschkow, Mitglied der "Werchowadna Rada" (das Parlament), am 30. Mai auf dem 2. Tag der Ukraine im Bundestag deutlich machte: "Die orangene Revolution hat bewiesen, dass die Ukraine die europäischen Werte teilt. Wir unternehmen jetzt große Anstrengungen, unsere gesamte innenpolitische und wirtschaftliche Entwick-lung in Richtung EU zu gestalten."

Vordringlich bemüht sich die Regierung Juschtschenko auf die Anerkennung als funktionierende freie Marktwirtschaft durch die EU - eine wichtige Voraussetzung für die Aufnahme der Ukraine in die Welthandelsorganisation (WTO). Und im September 2005 wird eine umfassende Verfassungsreform in Kraft treten, die das stark präsidial geprägte Regierungssystem in ein parlamentarisches umwandelt.

Für die EU noch kein Grund, ihr Verhältnis zur Ukraine völlig zu überdenken: Sie behandelt die Ukraine nach wie vor nur als nahen Nachbarn - wie auch die südlichen und östlichen Mittelmeeranrainer von Marokko bis Syrien. Lediglich der "EU-Ukraine-Aktionsplan" trat am 21. Februar des Jahres in Kraft, erweitert um ein "Zehn-Punkte-Programm". Doch was nach Annäherung klingt, ist nicht mehr als eine Arbeitsagenda im Rahmen des schon bestehenden Partnerschafts- und Kooperationsabkommens.

Die Zurückhaltung der Europäischen Union in der Beitrittsfrage stößt bei vielen ukrainischen Politikern auf Unverständnis. "Die EU kann nicht einfach sagen: "Jetzt passt es uns nicht", findet zum Beispiel Oleh Rybatschuk, der Vizepremierminister der Ukraine für Fragen der Europäischen Integration. Als Mitglied der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe war auch er zum Tag der Ukraine in den Bundestag gekommen. "Wir haben den Aktionsplan als strategisches Dokument in der Hand und werden ihn umsetzen. Die his-torischen, geografischen und politischen Kriterien einer Aufnahme würden wir ohnehin erfüllen", meint er. Trotzdem habe er aus Brüssel Kommentare vernommen, die den Anschein erwecken, "die Ukraine dürfe nicht mal daran denken, jemals Mitglied der EU zu werden".

Die deutsche Bundestagsabgeordnete Jelena Hoffmann, die den Vorsitz der Parlamentariergruppe leitet, hat einen ähnlichen Eindruck. Sie fragt: "Wir sind ein europäischer Staat und wollen in die EU. Aber warum sagt die EU immer ,Jein'?" Europa solle endlich "ein eindeutiges Signal" geben, "wo die Grenzen der Europäischen Union in Zukunft liegen sollen und welche Perspektiven sich daraus für uns ergeben", fordert sie. Gleichzeitg räumt sie aber ein, dass die Ukraine noch "ihre Hausaufgaben" machen muss: "Ich bin immer gefragt worden, in welche Richtung die Ukraine eigentlich geht - nach links oder nach rechts, nach Russland oder Europa. Da habe ich immer geantwortet: Mit der Ukraine muss es erstmal nach oben gehen!"

Damit scheint ein Kernproblem berührt: Neben der Unsicherheit, inwieweit die Reformen Juschtschenkos tatsächlich durchsetzbar sind, könnte sich auch eine zu große Nähe der Ukraine zu Russland beim Schmusekurs mit der EU als Hindernis erweisen. Schließlich unterhält das Land noch immer vertragliche Beziehungen mit Ländern der ehemaligen Sowjetunion und ist seit 2003 sogar Mitglied des Gemeinsamen Wirtschaftsraumes (EEP) mit Russland, Belarus und Kasachstan. Dazu kommt die tiefe politische Spaltung des Landes: Im traditionell russlandfreundlichen Süden und Osten des Landes begegnet man dem Kurs der neuen Machthaber mit großem Misstrauen, im Westen und der Mitte hingegen findet er breite Unterstützung. Juschtschenko muss diese auseinander strebenden Landesteile erst zusammenzuführen, will er seine Agenda erfolgreich umsetzen.

Trotz dieser schwierigen Ausgangslage hält der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Volker Rühe, nichts von einer generellen Absage der EU an die Ukraine. Der Ex-Verteidigungsminister, der schon mit seiner Befürwortung eines EU-Beitritts der Türkei einige Parteikollegen in der Union vergrätzt hatte, fände es sogar "töricht", jetzt die Türen zu schließen: "Wir sollten die Entwicklungen in den beitrittswilligen Ländern genau beobachten. Wenn die Ukraine energisch ihre Agenda vorantreibt, ist sie ein Gewinn für ganz Europa." Und dann holte er aus zum verbalen Schulterschluss mit Juschtschenko: Die Ukraine, so Rühe, sei schließlich Teil der europäischen Tragödie im letzten Jahrhundert gewesen. "Wenn sie jetzt Teil der europäischen Erfolgsstory werden will, ist das gut!"


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.