Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 34 - 35 / 22.08.2005
Tina Heidborn

Blut, Schweiß und Tränen

Kunst ohne Worte: der Tänzer Gregor Seyffert

Wer sich für den Beruf des Tänzers entscheidet, legt sich für ein halbes Berufsleben fest: Bis zu acht Stunden täglich Proben, an Abenden und Wochenenden Auftritte. "Schmerzen, Schweiß und Blut", sagt Gregor Seyffert, "klingt wie ein Klischee, ist aber so." Der Mann, der eine Vorliebe für Kopftücher hat, ist 37 Jahre alt und tanzt selbst noch. Daneben hat er sich seine eigene freie Tanz-Compagnie aufgebaut, arbeitet zugleich am Stadttheater in Dessau und ist auch noch der künstlerische Leiter der Staatlichen Ballettschule Berlin. Wenn der zierliche, extrem durchtrainierte Mann das aktive Tanzen aufgibt, macht sein Berufsleben keine Pause. Seyffert, ehemaliger Solist an der Komischen Oper Berlin, ist ein Ausnahmetänzer.

"Eigentlich bleibt in diesem Beruf kein Raum, um sich parallel für etwas anderes zu engagieren", ist Seyffert überzeugt. Tänzer reden von Anfang ihrer Karriere an über das Ende, doch kaum einer schafft es, neben dem Tanzen noch einen zweiten Berufsweg vorzubereiten. Gregor Seyffert träumt von Fonds wie in Skandinavien, die Tänzern Übergangsgelder zahlen, wenn sie mit Mitte 30 mit dem Tanz aufhören. Damit sie ein, zwei Jahre wirklich Zeit haben, um sich umzuorientieren. "Solisten verdienen genug, um Rücklagen zu bilden, die Masse der Gruppentänzer nicht." Wenn es sehr gut läuft, werden Tänzer später Ballettmeister, Theaterdisponenten oder wechseln in verwandte Bühnenberufe. Es gibt aber auch Tänzer, die gehen aus dem Rampenlicht an die Garderobe oder die Pforte, oder machen etwas ganz Neues.

"Verglichen mit den anderen Berufsgruppen am Theater sind Tänzer schlecht bezahlt", hält Seyffert fest. Der öffentliche Dienst zahlt um so mehr, je älter jemand ist. Tänzer tanzen nur die erste Hälfte eines Berufslebens. Das mache es ihnen zugleich sehr schwer, eine eigene Lobby aufzubauen. In Orchestern und Schauspiel-Ensembles hingegen gäben ältere Kollegen ihre Erfahrungen an jüngere weiter - auch was die Vertretung eigener Interessen angehe.

Wer als Tänzer an einem Theater fest angestellt ist, hat Vorteile: Tarifverträge regeln Arbeitszeiten, Urlaubs- und Krankengeld, Gehalt. Doch Seyffert tut sich schwer mit "gewerkschaftlich verregelten Institutionen wie dem öffentlichen Dienst": "Da fällt pünktlich um 18.00 Uhr mit Probenschluss der Hammer, auch wenn der Tänzer gerade im Sprung ist." Was man persönlich ja verstehen könne. Doch für den künstlerischen Anspruch seien Festanstellungen manchmal schwierig, lähmten das Klima in den Häusern. "Wer eine Chance haben will, um in der Kunst erfolgreich zu sein, der muss enormes Engagement erbringen", hebt Seyffert hervor. "Für mich ist Tanzen nicht ein Beruf, sondern eine Berufung".

Er kennt auch das freiberufliche Tanzen aus eigener Erfahrung. "Der Markt ist knallhart. Da gibt es kein soziales Netz darunter." Der Tänzer als selbstständiger Unternehmer hat den Körper als sein Kapital: Bezahlt wird ausschließlich für das, was auch getanzt wird, nach erbrachten Proben, Premieren und Aufführungen. Fällt der Tänzer aus, geht er leer aus. "Freie Tänzer können sich Krankheit nicht leisten", sagt Seyffert.

Wer jemals mit Tanzen Geld verdienen will, muss früh anfangen und schon als Kind zielstrebig an sich arbeiten. Gregor Seyffert ist im reglementierten System einer DDR-Elite-Ausbildung aufgewachsen. Die Staatliche Ballettschule Berlin, die er mitleitet, bietet seit vier Jahren ihren Schülern an, parallel zur Tanzausbildung auch das Abitur zu machen. Eltern und Schüler legten zunehmend Wert darauf. "Die heutigen Schüler sind bewusster, sie sind praktischer orientiert", stellt Seyffert fest. Selbst Spitzentänzer brauchen in ihrem Leben noch einen anderen Brotberuf. Bis zur Rente tanzt keiner.


Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Berlin.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.