Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 40 / 04.10.2005
Ursula Homann

Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik

Das neue Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte

In Europa hat der Antisemitismus offensichtlich wieder Auftrieb gewonnen und einen neuen Verbündeten noch dazu: den islamistisch motivierten Judenhass. Auffallend ist, dass sich sowohl die Träger der antisemitischen Rhetorik als auch deren Kritiker mit Vorliebe der Kategorien des Antizionismus und der politischen Israelkritik bedienen und diese im ressentimentgeladenen Affekt nicht selten durcheinander bringen.

Hier gilt es, Klarheit zu schaffen. Darum bemühen sich auch die Mitarbeiter des neuen Tel Aviver Jahrbuchs für deutsche Geschichte in recht unterschiedlichen, nicht immer leicht zu lesenden Beiträgen. Dass dieses Vorhaben kein leichtes Unterfangen ist, versteht sich fast von selbst. Schließlich muss zwischen Judentum, Zionismus und Israel sorgfältig unterschieden werden. Denn nicht alle Juden sind Zionisten, nicht alle Zionisten Israelis und nicht alle Israelis Juden. Auch kann man Israel durchaus kritisieren und den Zionismus skeptisch hinterfragen, ohne deswegen gleich antisemitisch oder antiisraelisch zu sein. Zudem mag man Juden gegenüber Vorbehalte haben und Israel dennoch hoch schätzen.

Fürwahr, die Lage ist kompliziert. Natürlich können Israelkritik und Antizionismus Spuren des Antisemitismus aufweisen. Aber wer sich kritisch mit Israel und dem israelisch-palästinensischen Konflikt auseinander setzt, darf nicht gleich, warnt Herausgeber Moshe Zuckermann, des Antisemitismus verdächtigt werden. Auf berechtigte Kritik an Israel dürfe gleichwohl nicht verzichtet werden. Auch gehe es nicht an, das Existenzrecht Israels in Frage zu stellen. Oft spielten in Debatten über Nahost auch deutsche Befindlichkeiten eine Rolle, da die Shoa-Erfahrung das Verhältnis zwischen Juden und Deutschen belastet, mit Tabus und Denkverboten auf der einen und dem Drang nach "Normalisierung" auf der anderen Seite.

Obwohl es bei den Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern, so John Bunzl (Wien), um reale Konflikte geht, schöpften islamische Antizionisten immer wieder aus dem Repertoire europäisch-christlicher Antisemitismen. Georg Kreis von der Universität Basel weist auf die Unangemessenheit mancher Vergleiche hin, durch die beispielsweise Ariel Sharon, aber auch andere Personen bis hin zu Arafat schnell zu kleineren und größeren Hitlers gemacht werden. Gefordert seien mithin offene Debatten und kritische Dialoge ohne Rücksichten darauf, dass sich Antisemiten dadurch ermuntert fühlen könnten.

Helga Embacher von der Universität Salzburg stellt in Frankreich und Großbritannien große Unsicherheiten im Umgang mit dem islamischen Antisemitismus fest. Juliane Wetzel (Berlin) wiederum beleuchtet den schwierigen Umgang mit dem Antisemitismus in der EU. Aufschlussreich ist ebenfalls die Untersuchung von Klaus Hödl und Gerald Lamprecht (Graz) über das hartnäckige Fortleben antisemitischen Denkens in Österreich nach 1945.

Heidemarie Uhl (Wien) beschäftigt sich in ihrem Aufsatz "Deutsche Schuld, deutsches Leid" mit neuen Tendenzen in der deutschen Erinnerungskultur, die durch das aktuell gewordene Thema "Flucht und Vertreibung" ausgelöst worden sind. Gerhard Handloser (Freiburg) stellt die theoretischen Voraussetzungen, Intentionen und Apriorismen dar, die zu bestimmten Positionen und Haltungen von Linksradikalen und Kommunisten hinsichtlich des Palästina-Konflikts geführt haben, während Volker Weiß (Hamburg) die antizionistische Rezeption des Nahostkonflikts in der militanten deutschen Linken unter die Lupe nimmt.

Die mit der brisanten Problematik wohl vertrauten Autoren nehmen ausgiebig Bezug auf jüngste Antisemitismus-Studien, internationale Berichterstattung, Vorträge und Leserbriefe. Sie argumentieren sachkundig und gewissenhaft, aber mitunter auch etwas umständlich. Für Leser, die sich in der wissenschaftlichen Diktion nicht allzu gut auskennen, ist es keine leichte Kost. Selbst wer des Englischen mächtig ist, dürfte sich mit den in englischer Sprache abgefassten Beiträgen als Nichtwissenschaftler schwer tun. Gleichwohl ermöglichen die Studien informative, facettenreiche Einblicke in die Komplexheit der angeschnittenen Probleme und gewährt jenen, die sich damit noch näher befassen möchten, mit Literaturhinweisen und Anmerkungen viele Anregungen.


Moshe Zuckermann (Hrsg.)

Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte XXXIII (2005).

Wallstein-Verlag, Göttingen 2005; 442 S., 44,- Euro


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