Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 40 / 04.10.2005
Johanna Metz

Aufgekehrt...

Ob sich Gerhard Schröder mit seiner Neuwahl-Entscheidung, rein machtpolitisch gesehen, sein eigenes Grab geschaufelt hat, stand bis Redaktionsschluss nicht endgültig fest. Doch ganz egal, wer in einer Großen Koalition künftig die Schaufel für Deutschland schwingen wird, ob es Angela Merkel oder Gerhard Schröder oder sogar ein Ministerpräsident aus Wolf-ratshausen sein wird, der Amtsinhaber hat mit seinem Neuwahl-Coup schon jetzt seine Zukunftsfähigkeit bewiesen: Getreu der neoliberalen Forderung nach mehr Selbstbestimmung und Eigeninitiative hat der Bundeskanzler eben nicht gewartet, bis andere ihm eine Grube graben, sondern beherzt selbst die Schippe zur Hand genommen.

Das Ergebnis dieses Trauerspiels ist bekannt: Das rot-grüne Projekt wurde zu Grabe getragen und die politische Klasse ins Jammertal gestürzt angesichts der kollektiven Enterbung durch den Wähler. Von den Demoskopen wollen wir gar nicht reden.

Einem deutschen Provinzpolitiker hat Schröders eigenwilliger Kurs trotzdem Mut gemacht. In Vierlinden, einer 1.700-Seelen-Gemeinde zwischen Seelow und Frankfurt/Oder hat Bürgermeister Dirk Iltgenstein jüngst die Friedhofssatzung ändern lassen: Die Bürger können jetzt endlich auch hier ganz viel Eigenverantwortung übernehmen und sich in Zukunft, ganz im Schröderschen Sinne, ihr eigenes Grab schaufeln. Die 500 Euro, die ein Bestatter dafür verlangt, können sich die Vierlindener mit ein paar Spatenstichen also sparen. Doch vorher lohnt ein Blick ins Internet: Dank eines renommierten Ulmer Anti-Aging-Experten können sie zuvor auf den Seiten eines deutschen Nachrichtenmagazins erfahren, wann sie die Schaufeln aus dem Schuppen holen sollten: Ein so genannter "Lebenszeit-Rechner" ermittelt dort nach einem interaktiven Test, wie alt der Proband werden kann, wenn er seine Lebensgewohnheiten beibehält.

So weit, so innovativ: Doch kaum ist die neue Friedhofssatzung in Kraft, melden sich im Land der Bürokraten die Bedenkenträger. Um eine Bestattung würdevoll zu gestalten, brauche es Fachkräfte, sagen beispielsweise die Friedhofsverwalter, und die Leiterin des Ordnungsamtes weist vorsorglich darauf hin, das eine solche Grube knapp 1,75 Meter tief sein sollte. Für die Angehörigen heißt das, ordentlich buddeln - weshalb sich die Kollegen vom Kommunalen Schadensausgleich (KSA) um die Einhaltung der Unfallverhütungsvorschriften sorgen: Um ein Grab ordnungsgemäß auszuheben, sagen sie, seien unbedingt eine Laufrostgarnitur, ein Schalring, Verbaukästen und Beerdigungsbohlen notwendig, Werkzeuge, die sich der Self-Made-Gräber dann bitte schön beim örtlichen Bestatter ausleihen müsste.

Zu empfehlen wäre das: Stützt der Schaufler die Grube nämlich nicht fachgerecht ab, könnte die Erde zu rutschen beginnen und ihn verschütten. Dann könnte es ihm ergehen wie Gerhard Schröder: Grube gegraben - und selbst hinein gefallen.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.