Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 46 / 14.11.2005
aw/dpa

Einmal mehr richten sich die Blicke nach Karlsruhe

Der Einsatz der Bundeswehr im Inland und das Luftsicherheitsgesetz bleiben umstritten

Das Dementi kam prombt: Kaum hatte der de-signierte Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) am 8. November im Inforadio rbb verkündet, man sei sich in den Koalitionsverhandlungen weitgehend einig gewesen, die Bundeswehr zukünftig auch im Inland zur Terrorismusbekämpfung einzusetzen, da wurde von Seiten der SPD auch schon widersprochen. "Die Bundeswehr soll auch künftig nichts anderes tun, als sie bisher schon tut", forderte der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold in der "Berliner Zeitung" einen Tag später. In den Vereinbarungen mit der Union "steht in keiner Zeile, dass die Bundeswehr neue Aufgaben bekommen soll". Die SPD sei aber bereit, den Artikel 35 des Grundgesetzes so anzupassen, dass "Soldaten ihre Arbeit immer in Rechtssicherheit tun können". Dabei dürfe jedoch die Grundvoraussetzung nicht verändert werden, wonach die Bundeswehr im Katastrophenfall im Inland nur Amtshilfe leisten dürfe.

ABC-Abwehr und Luftsicherheit

Auch Otto Schily (SPD) warnte die zukünftige Bundesregierung vor einem Einsatz der Streitkräfte: "Innerhalb von Deutschland führen wir keinen Krieg gegen Terroristen", sagte der scheidende Bundesinnenminister zum Auftakt der Herbsttagung des Bundeskriminalamtes (BKA) am 2. November in Wiesbaden. Die Bundeswehr sei keine Polizei mit schweren Waffen. Panzer auf den Straßen und Soldaten in der U-Bahn brächten keinen Sicherheitsgewinn, sondern würden nur ein Klima der Bedrohung in der Bevölkerung erzeugen. Wo es sinnvoll sei, beispielweise bei der ABC-Abwehr und zur Aufrechterhaltung der Luftsicherheit, könne die Bundeswehr bereits jetzt schon eingesetzt werden.

Doch gerade in Sachen Luftsicherheit richten sich derzeit einmal mehr alle Augen auf das Bundesverfassungsgericht. In Karlsruhe begannen am 9. November die Verhandlungen über das umstrittene Luftsicherheitsgesetz, das den Abschuss ziviler Flugzeuge bei Terrorverdacht durch die Luftwaffe erlaubt. Bundespräsident Horst Köhler hatte das Gesetz zwar abgezeichnet, aber darauf hingewiesen, dass eine Überprüfung durch die Verfassungsrichter wünschenswert sei. Und die könnten das Gesetz in der Tat einkassieren: "Das Gesetz wirft die Frage auf, ob das Leben von Insassen eines von Selbstmordattentätern entführten Flugzeuges durch einen gezielten Abschuss geopfert werden darf, um das Leben anderer Menschen am Boden zu erhalten und zu schützen", sagte Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier bei der Verhandlung. Die Frage sei, ob der Staat "Leben gegen Leben abwägen" und dabei "selbst unschuldige Menschen töten" dürfe.

In der Anhörung über die Verfassungsbeschwerde von insgesamt sechs Klägern machten die Einwände mehrerer Richter des Ersten Senats deutlich, dass das Gesetz zumindest auf der Kippe steht. Der klagende Rechtsanwalt und frühere Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch (FDP) äußerte sich zuversichtlich, dass das Gesetz aufgehoben werden dürfte.

Innenminister Otto Schily verteidigte in Karlsruhe zwar das Gesetz, schloss aber überraschend den Abschuss eines von Selbstmordattentätern entführten Passagierflugzeugs praktisch aus. Eine solche Situation sei "faktisch nicht denkbar", sagte Schily. Dafür müssten mehrere Faktoren zusammentreffen, die "in der Realität nie" zusammenkämen. Auch bei den Terroranschlägen vom 11. September 2001 sei ein solches Eingreifen "nicht mehr möglich" gewesen. Hirsch nannte Schilys "Zurückrudern" eine "Überraschung". Auch mehrere Verfassungsrichter zeigten sich verwundert über Schilys Gesetzesauslegung. "Wenn ein Flugzeug mit Passagieren nicht abgeschossen wird, warum steht das dann nicht im Gesetz?", fragte Richter Wolfgang Hoffmann-Riem.

"Leben gegen Leben"

Schily betonte, die Bundesregierung halte daran fest, dass "nicht Leben gegen Leben geopfert" werden dürfe. Dennoch entfalle damit "nicht die Anwendungsgrundlage" des Luftsicherheitsgesetzes. Der Sozialdemokrat verwies auf den Irrflug eines Sportflugzeugs über Frankfurt am Main am 5. Januar 2003, bei dem der geistig verwirrte Pilot in das Gebäude der Europäischen Zentralbank (EZB) zu stürzen drohte. Kampfjets hatte den 32-jährigen Mann schließlich zur Landung gezwungen. Wenn in einem solchen Fall ein Terrorist am Steuer sitzen würde, würde das Gesetz "greifen", sagte Schily. Es sei auch denkbar, dass "eine Passagiermaschine ohne Passagiere von Terroristen entführt wird".

Kritik kommt auch von Seiten des Bundeswehrverbandes und der Pilotenvereinigung Cockpit, die das Gesetz für nicht verfassungskonform halten.

Das endgültige Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird nicht vor Anfang des Jahres 2006 erwartet. Dann will die neue, schwarz-rote Bundesregierung erneut über eventuelle Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr zur Terrorbekämpfung im Inland verhandeln.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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