Wie den Folgen der Globalisierung begegnet werden kann
Horst Afheldt hatte 1994 das geradezu prophetische Buch "Wohlstand für niemand" veröffentlicht. Jetzt bürstet er die herrschende neoliberale Doktrin (er nennt sie "neoliberalistisch") erneut gegen den Strich. Dabei werden Widersprüche ebenso deutlich wie die Gefahren, die mit der gegenwärtigen Weltwirtschaftsordnung sowohl für menschenwürdige Lebensbedingungen als auch für die Demokratie einhergehen.
"Wirtschaft, die arm macht" ist in zwei Hauptteile gegliedert. Im ersten, hauptsächlich auf die sozioökonomische Entwicklung Deutschlands bezogenen Abschnitt widerlegt Afheldt den auch derzeit wieder herrschenden Wachstumsfetischismus. Er weist nach, dass seit den 70er-Jahren Wirtschaftswachstum nicht mehr zum Abbau der Arbeitslosigkeit führt. Durch die zunehmende ungleiche Verteilung der Einkünfte komme es zu krisenverursachender Nachfrageschwäche. Illustriert werden die Ausführungen durch Tabellen und Schaubilder, die - eine schöne Idee - als Lesezeichen konzipiert wurden.
Der zweite Teil befasst sich mit der neoliberalen Globalisierung, die ungeachtet der Weltwirtschaftskrise wiederum auf eine durch Nachfrageschwäche verursachte Überproduktionskrise zusteure. Dass eine einzige Konzeption nicht weltweit funktionieren könne, habe der totalitäre Kommunismus nachdrücklich bewiesen. "Wenig Chancen für ein besseres System bestehen, wenn man den Fehler wiederholt, den das neoliberalistische System mit dem kommunistischen gemeinsam hatte: den Absolutismus, mit dem kritiklos gleiche Regeln für alle Umstände proklamiert wurden, ohne Rücksicht auf die Besonderheiten der einzelnen Regionen und Volkswirtschaften."
Daraus resultieren Katastrophen wie die Asienkrise. Afheldt beschreibt sie ebenso, wie er die Vermeidbarkeit solcher Fehlentwicklungen darstellt. So greift er den aus neoliberaler Sicht verpönten Protektionismus an zwei historischen Beispielen auf. Die US-amerikanische Industrie konnte sich im 19. Jahrhundert nur gegen die übermächtige englische Konkurrenz behaupten und entwickeln, weil britische Waren mit Schutzzöllen belegt wurden. Auch das Wilhelminische Deutschland konnte sich industriell nur entwickeln, weil es sich gegenüber englischen Industrieprodukten durch Zölle schützte.
Warum, so fragt Afheldt, gestattet man den heutigen Entwicklungsländern nicht die gleiche Strategie, die sowohl in den USA als auch in Deutschland zu Massenwohlstand geführt hat? Wenn schon nicht einzelne Staaten, so sollten doch Regionen in die Lage versetzt werden, sich im Interesse sowohl der eigenen Entwicklung als auch eines zukünftigen ausgeglichenen Weltmarktes relativ abzuschotten.
Wenn auch nicht unkritisch gegenüber der realen Entwicklung der EU sieht Afheldt doch in ihr sowohl ein Beispiel für solche regionale Entwicklungen als auch eine Hoffnung auf die Sicherung sozialer Mindeststandards. Solche schlägt er sowohl für die Entwicklungsregionen als auch für Europa vor, freilich auf unterschiedlichem, dem jeweilig erreichten Wohlstand angemessenen Niveau. Für die ärmsten, durch - wie an eindrücklichen Beispielen belegt - global agierende Konzerne ausgebeutete Länder müssten andere Standards gelten als in Europa. Dort der Armutsminderung dienend, müssten hier die Sozialpolitik und auch wieder steigende Reallöhne zur Sicherung der Massenkaufkraft führen.
Damit sei auch die Demokratie zu retten, denn die Ohnmacht der nationalen Staaten gegenüber den global agierenden und investierenden Finanzkonzernen führe zur Aushöhlung der Partizipationsrechte der Bürgerinnen und Bürger. In Staaten ohne Entscheidungsspielräumen zählten auch die Interessen ihrer Bürgerinnen und Bürger nichts mehr.
Auf Dauer mindere oder zerstöre dieser Sieg des Marktes über die Politik aber auch die Verwertungsbedingungen des Kapitals. Betriebswirtschaftliche Investitionsentscheidungen würden immer unter der Voraussetzung getroffen, dass eine angemessene soziale, kulturelle und ökonomische Infrastruktur vorhanden sei. Wenn aber im Wettlauf der um Investitionsentscheidungen ringenden Staaten überall die Steuern auf Kapitalerträge gesenkt oder gar Bleibeprämien in Form von Subventionen gezahlt würden, diese Ausfälle wegen steigender Arbeitslosigkeit und sinkender Realeinkommen jedoch nicht bei den Arbeitnehmern kompensiert werden könne, zerbrösele diese Infrastruktur.
In zerfallenden Staaten (Beispiel Afrika) seien aber Investitionen sinnlos. Der Sieg des Marktes würde zum Pyrrhussieg mit verheerenden Folgen für die Menschheit. Diese aufzuzeigen und zumindest in Ansätzen Vorschläge zu einer besseren Weltwirtschaftsordnung vorzulegen ist ein Verdienst dieses in sich geschlossenen und sehr gut lesbar verfassten Buches.
Horst Afheldt
Wirtschaft, die arm macht.
Vom Sozialstaat zur gespaltenen Gesellschaft.
Verlag Antje Kunstmann, München 2003;
256 S., 19,90 Euro