Hessen: Grundlegende Reform der Lehrerausbildung
Im Rahmen des "dritten Gesetzes zur Qualitätssicherung in hessischen Schulen" will die hessische Landesregierung die Lehrerbildung von Grund auf reformieren. "Lehrerbildung aus einem Guss mit mehr Schulbezug im Studium und besserer schulischer Praxis" lauten die Ziele, die Kultusministerin Karin Wolff sich gesteckt hat. Mit dem Gesetzentwurf, der in der vergangenen Woche das Kabinett passiert hat, betritt die CDU-Landesregierung nach Wolffs Worten "bundesweit Neuland".
Veranstaltungen, die keinen Bezug zum späteren Beruf haben, Diskriminierung von Lehramtsstudenten, kein verbindliches Curriculum, zu wenig Fachdidaktiker und überfüllte Hörsäle: die Ergebnisse einer unlängst abgeschlossenen Evaluation der Frankfurter Goethe-Universität für ihre Lehramtsstudiengänge sind deutlich. "Unerfreulich, aber wenig überraschend", findet Andreas Gold, Vizepräsident der Universität die verheerende Bilanz. Die Ergebnisse seien aber keineswegs frankfurtspezifisch, sondern "exemplarisch" für ganz Hessen.
Mit solchen Defiziten soll nun Schluss sein. Damit künftige Grundschullehrer sich nicht länger in Veranstaltungen wie "Die politische Lyrik der ehemaligen DDR" auf den harten Schulalltag vorbereiten müssen, will die Ministerin klar festschreiben, was Studium und Fortbildung zu leisten haben. Die Ausbildung müsse viel praxisnäher werden. Es reiche nicht, an der Universität einfach "Scheine anzuhäufen und sich damit irgendwann zur Prüfung anzumelden", so die CDU-Politikerin. Vielmehr sollen verbindliche Leistungsstandards geschaffen werden, die festschreiben, welche Fähigkeiten ein künftiger Lehrer haben muss - etwa die Beherrschung unterschiedlicher Beurteilungsformen oder Kenntnisse über die kindliche Entwicklung.
Das Gesetz soll außerdem sicherstellen, dass die Lehrerbildung inhaltlich und organisatorisch vernetzt wird - vom ersten Studientag bis zur Pensionierung. Dabei sollen die beiden Phasen Studium und Referendariat zwar erhalten bleiben. Innerhalb des Studiums jedoch sollen sich die Strukturen gänzlich ändern.
"Die Lehramtsstudiengänge werden inhaltlich und organisatorisch in Module gegliedert", heißt es in dem Gesetzentwurf. Auf diesem Weg sollen "Vergleichbarkeit, Gleichwertigkeit und Überprüfbarkeit" der Studiengänge gesichert werden. Am Ende eines jeden Moduls, das Fachwissenschaft, Didaktik und Erziehungswissenschaft inhaltlich kombinieren soll, gibt es Noten und Leistungspunkte, mit denen man sich spätestens bis zum Ende des vierten Semesters zur - ebenfalls neuen - Zwischenprüfung melden muss.
Grundschullehrer müssen in Hessen künftig Deutsch und Mathematik als Hauptfächer, ein drittes Fach sowie eine musisch-kreative Grundausbildung absolvieren. "Lehramtsstudenten müssen von Anfang an in die Schule. Dort werden die schnell feststellen, ob das der richtige Beruf für sie ist", betont Wolff zudem. Verbindlich sollen deswegen vier statt bislang zwei Praktika werden: ein Orientierungspraktikum möglichst noch vor Studienbeginn, ein achtwöchiges Betriebspraktikum und zwei - jetzt schon verbindliche - sechswöchige schulpraktische Studien.
"Wir schaffen eine größere Verbindlichkeit", kündigt die Kultusministerin an. So sollen die Lehrer in einem Portfolio belegen, dass sie die nötigen Qualifizierungen und Weiterbildungen wahrgenommen haben. "Lehrkräfte sind verpflichtet, ihre lehramtsbezogene Grundqualifikation zu erhalten und weiterzuentwickeln", heißt es hierzu im Gesetzentwurf, der nun auch freien Trägern ermöglicht Fortbildungsangebote zu machen.
Das Portfolio muss auf Anforderung der Schulleitung vorgelegt werden, die ihre Lehrerinnen und Lahrer nach "Mitarbeitergesprächen" und notfalls auch gegen der Willen auch zur Fortbildung verdonnern können - und das in der unterrichtsfreien Zeit. Das Portfolio könne durchaus beeinflussen, ob ein Lehrer die nächste Dienstaltersstufe erreicht oder unter Umständen sogar zurück gestuft werde, erklärte die Politikerin und zeigte sich von möglichen Protesten der Betroffenen recht unbeeindruckt.
Die weitreichenden Umstrukturierungen stellen nun vor allem die Universitäten vor große Herausforderungen. "Die Hochschulpräsidenten sind grundsätzlich bereit, diesen Weg mit zu gehen", erklärt die Kultusministerin. Der Handlungsbedarf sei groß, räumt Vizepräsident Gold ein. Damit die Finanzströme nicht länger an der Lehrerbildung vorbei fließen, sollen die Zielvereinbarungen zwischen Hochschule und Wissenschaftsministerium künftig die Leistungen konkret ausweisen, die die Universität in ihre Lehramtsstudiengänge investieren müssen.
Innerhalb der Hochschulen will sie die so genannten Lehrerbildungszentren als Partner des Präsidiums "massiv aufwerten", wenn es um Zielvereinbarungen, Berufungen und die Verteilung der Gelder geht. Eine solche Stärkung der Zentren wie auch die Modularisierung des Studiums ist nach Golds Ansicht der richtige Weg: "Wir brauchen eine gemeinsame Verantwortung von Grundwissenschaften, Fachdidaktik und Fachwissenschaften."
SPD und Grüne bezeichnen das Lehrerbildungsgesetz als "längst überfällig". Trotz vieler Unklarheiten hält die schulpolitische Sprecherin der Grünen, Priska Hinz, die Modularisierung, die Stärkung von Didaktik und Diagnostik und die Lehrerbildungszentren insgesamt für sinnvoll. Das neue Gesetz soll Anfang 2005 in Kraft treten.