Hartz III und die Zukunft der Arbeitsagenturen
Es sind nicht nur die üblichen Besucher, nämlich Erwerbslose, die beim Betreten des Komplexes zunächst einmal "Guten Morgen" oder "Guten Tag" vernehmen. Bestaunt werden die Mitarbeiterinnen an der Pforte in diesen Wochen auch von Pilgergruppen, die aus allen Teilen der Republik eigens anreisen und hier in Heilbronn eine schöne neue Welt begutachten - die bald die eigene der Neugierigen sein wird, nämlich der 180 Arbeitsämter zwischen Alpen und Ostsee.
Das enorme Interesse, am vergangenen Donnerstag absolvierte sogar Bundeskanzler Gerhard Schröder eine Visite, gilt einem Novum, das derzeit unter verschiedenen Titeln gehandelt wird: Mal ist die Rede von der bundesweit ersten "Arbeitsagentur der Zukunft", mal vom "Kundenzentrum der Zukunft", mal, das Gewohnte verschwindet eben nicht so rasch, vom "Arbeitsamt der Zukunft". Sprecherin Andrea Rupp: "Der Andrang der Delegationen mit Kollegen aus anderen Städten ist so groß, dass wir ein detailliertes Besuchsprogramm organisieren müssen." Was den meisten Interessenten kaum bekannt sein dürfte: Der schicke weiße Tresen, an dem die Empfangsdamen postiert sind, ist eigentlich gar nicht so modern, wie er anmutet. Früher war das Stück eine ausrangierte Theke, die im Keller des alten Arbeitsamts vor sich hin verstaubt war - und nun renoviert eine ungeahnte Renaissance erlebt.
Aus alt mach neu: Das Ensemble aus Begrüßungsequipe und Info-Tresen in Heilbronn gilt inzwischen als kleines Symbol für die gesamte Umgestaltung der deutschen Arbeitsverwaltung von der Zentrale in Nürnberg bis zu den Ämtern fernab in der Provinz. Hartz III heißt die Überschrift über diesem internen Umbau. "Dienstleistung" lautet das Zauberwort der Performance: Es gehe darum, Arbeitsuchende und Arbeitgeber "gleichermaßen optimal zu bedienen", sagt Olaf Möller, Sprecher des Landesarbeitsamts Berlin-Brandenburg, das derzeit mit Hochdruck für März die Eröffnung der ersten Modellagentur in Eberswalde vorbereitet.
Wer sich in Konzeptpapiere vertieft oder sich mit den Machern der Zäsur unterhält, liest und hört konsequent von "Kunden": So nämlich werden fortan jene bezeichnet, die erwerbslos geworden sind und sich von den ehemaligen Arbeitsämtern und nunmehrigen Arbeitsagenturen einen Job erhoffen. Schnell, professionell, effizient: Das sind die Direktiven für die "Qualität des Kundenservice". Olaf Möller: "Wir wechseln nicht nur das Namensschild aus, wir machen etwas Neues". Behördenmief, Wartenummern, lange Wartezeiten, oft miese Stimmung zwischen Arbeitslosen und Beschäftigten: Diese Kainsmale des alten Arbeitsamts sollen der Vergangenheit angehören. Das Verschwinden der Warteschlangen ist denn auch das Augenfälligste, was ins Auge springt. Rainer Bomba als Projektleiter in Heilbronn sagt, man wolle "den Druck der Flure rausnehmen". Andrea Rupp: "Bei uns sind die Wartezeiten im Schnitt auf sieben Minuten gesunken."
Zu Hartz III zählt manches, etwa die Neujustierung der Hierarchiestrukturen oder die Umwandlung der Landesarbeitsämter zu Regionaldirektionen samt drastischer Personalreduzierung. Im Mittelpunkt aber steht der Umbau des Arbeitsamts vor Ort in ein "Kundenzentrum der Zukunft". Der große Testlauf findet momentan in Heilbronn statt. Bis April soll in jedem regionalen Bezirk eine weitere Modellagentur folgen, in Annaberg-Buchholz, Augsburg, Bremerhaven, Eberswalde, Essen, Halle, Mainz, Marburg und Schwerin. Und bis Anfang 2005, so die Planung, werden sich sämtliche 180 Arbeitsämter als Reform-Agenturen präsentieren.
Seit Oktober wurde das Pilotvorhaben in Heilbronn schrittweise umgesetzt, erst seit Februar ist das neue System vollständig in Kraft. Ein Dreh- und Angelpunkt sind die ersten Meter hinter der Eingangstür, für Bomba und seine Crew das "Kundenportal". Dort geschieht das, was in den Konzepten des Spiritus rector im kühlen McKinsey-Duktus als "Segmentierung von Kundenströmen" oder als "Kundenstrommanagement" definiert wird.
Bei mindestens 70 Prozent der Anliegen, mit denen Besucher anrücken, handelt es sich nämlich nach Analysen um kleinere Angelegenheiten, die ohne größeren Aufwand erledigt werden können - eben gleich im Eingangsbereich. So soll Zeit gewonnen werden für jene Angestellten, die im gründlichen persönlichen Gespräch bei der Jobvermittlung helfen sollen, die im Kontakt mit Arbeitgebern freie Stellen ausfindig machen wollen oder die in nicht einfachen Fällen bei der Berechnung des Arbeitslosengelds zusammen mit den Betroffenen die Unterlagen durchgehen. Beratung und Vermittlung einerseits sowie Leistungsgewährung andererseits werden strikt getrennt - wobei diese beiden Bereiche im Zuge des "Arbeitsamts 2000" erst zusammengelegt wurden.
Filtern und Steuern sind angesagt. Vielleicht vermögen in Heilbronn schon die Mitarbeiterinnen am Info-Tresen die Frage eines Erwerbslosen nach der korrekten Urlaubsmeldung oder nach dem Formular fürs Kindergeld zu beantworten. Gleich nebenan kann ein Besucher neben dem Schild "Neuer Service! Auskunftstelefone" den Hörer in die Hand nehmen, einen roten Knopf drücken und sich von der Stimme am anderen Ende der Leitung erläutern lassen, welche Papiere er fürs Arbeitslosengeld einreichen muss - die er dann mit der Post schickt. Oder er erhält, nach ausführlicher Begründung seines Begehrs, einen Termin bei einem Vermittler.
Die Strategen der "Kundenzentren" kalkulieren, dass die "Kunden" im Übrigen mehr und mehr Telefonanfragen von zu Hause aus erledigen. Und wenn einmal alle bisherigen Arbeitsämter als Agenturen funktionieren, können Anrufer aus Saarbrücken oder Cottbus schon mal in solchen "Call-Centern" in Hamburg oder München landen. Das ist effizient und rationell, aber schafft so etwas nicht auch Distanz und Anonymität? Andrea Rupp meint, das könne man "positiv und negativ sehen".
Grundsätzlich gilt: Fortan dringt ins Innere der Agentur nur noch vor, wer einen Gesprächstermin hat. Die Eingangszone fungiert auch als Hürde. So charakterisiert denn das Magazin "Focus" das Arbeitsamt der Zukunft als "freundliche Festung". Immerhin: Wer in Heilbronn einfach mal so vorbeischaut ("Nicht terminierter Zugang", so die offizielle Klassifizierung), schafft es mit seinem zwar kleinen, aber vielleicht nicht ganz so einfachen Anliegen möglicherweise noch eine Treppe höher zu einem kurzen Vis-à-Vis mit einem Bediensteten - um etwa zu klären, warum das Arbeitslosengeld seit ein paar Wochen überfällig ist.
Mit Wohlgefallen nimmt man in Heilbronn zur Kenntnis, dass bereits in der Testphase die 30 Computerterminals bestens frequentiert sind. Nicht ausgeschlossen, dass das mit einer weiteren freundlichen Dame zu tun hat. Unter "www.arbeitsagentur.de" lächelt sie den Neugierigen nach dem Einloggen mit strahlender Miene an ("Hallo, ich heiße Bea"): Klick für Klick weist sie allen Surfern, die im Netz nach einer neuen Stelle fahnden, den Weg. Oder Arbeitgeber können mit Beas Hilfe präzise nach neuen Beschäftigten mit ganz bestimmten Qualifikationen Ausschau halten.
Integriert in die Hartz III-Reform ist auch der Ausbau des "Virtuellen Arbeitsmarkts" (VAM). Das Novum an diesem Online-Angebot: Erwerbslose wie Unternehmer können eigenständig im Internet eine Anzeige eingeben - und ohne Einschaltung der Arbeitsagentur Kontakt aufnehmen. Die hat überdies einen "Job-Roboter" kreiert, der als Suchmaschine durchs Netz kreist und die Internetseiten von Firmen auf Stellenofferten hin durchforstet. VAM-Leiter Jürgen Koch in Nürnberg schätzt, dass bereits in zwei Jahren jede zweite Arbeitsvermittlung über das Internet abgewickelt wird. Olaf Möller vom Landesarbeitsamt Berlin-Brandenburg rechnet damit, dass auch die bislang noch zögerliche Zusammenarbeit mit kommerziellen Internet-Jobbörsen zunehmen wird.
Klärende Gespräche und Datenerhebung am Eingang, Anrufe per Telephon, Surfen im Internet: Die Verlagerung von Aktivitäten und Arbeit in diese Bereiche soll in der Agentur selbst Zeit freischaufeln für die persönliche Beratung. Nach einer Terminvereinbarung kann sich ein Vermittler gründlicher als bisher auf ein Gespräch mit einem Erwerbslosen vorbereiten und sich vorab mit dessen Qualifikationen und Bewerbungschancen befassen. Vor allem aber will das neue "Kundenzentrum" den Kontakt mit Arbeitgebern intensivieren. Die Maxime: Nicht mehr einfach in eine Firma 15 bis 20 Arbeitslose in der Erwartung schicken, einer werde vielleicht hängenbleiben. Nun sollen die Vorschläge genauer auf die Anforderungen eines Unternehmens abgestimmt werden: Die Zahl der Bewerber wird von vornherein begrenzt, doch die sollen "passen".
Bessere Erfolgsaussichten sollen die Arbeitgeber motivieren, mehr Jobs an die Agenturen zu melden. Olaf Möller: "Bisher ist nur ein Drittel aller offenen Stellen bei uns registriert." Künftig würden die Vermittler der "Kundenzentren" auch mal "bei einem Betrieb klingeln, mit dem Chef einen Kaffee trinken und fragen, wie es denn demnächst so mit Ausbildungsplätzen aussieht".
Die intensivere Betreuung der Arbeitgeber ist für die Gewerkschaften ein wichtiger Grund, die Hartz III-Reform zu unterstützen. Wilhelm Adamy, Leiter der Abteilung Arbeitsmarktpolitik beim DGB-Bundesvorstand: "Da ist noch viel zu tun." Und grundsätzlich sei es zu begrüßen, wenn nun in den Arbeitsagenturen "der Dienstleistungscharakter stärker betont wird". Adamy: "Die ersten Erfahrungen in Heilbronn sind ermutigend."
Von Rainer Bomba, dem Projektleiter im Württembergischen, stammt ein bemerkenswerter Satz: "Bei uns sollen sich die Kunden fühlen wie Privatpatienten." Aber setzt man Kunden und Privatpatienten unter Druck, droht man ihnen mit Sanktionen, und dies jetzt noch mehr als bisher ohnehin schon? Zwingt man Erwerbslosen noch schärfere Zumutbarkeitsregelungen bei der verpflichtenden Annahme von schlecht bezahlten Jobs auf? Zudem werden die Arbeitslosen in verschiedene Klassen eingruppiert: in "Marktkunden", die mit wenig Unterstützung selbst eine Stelle finden können, in "Beratungskunden", deren Situation schon etwas komplizierter ist, und in "Betreuungskunden", die als ganz schwierig gelten. Hartz III, mithin der weithin begrüßte interne Umbau der Bundesagentur, ist ja nur ein Teil dessen, was als "Reform des Arbeitsmarkts" in Gang gesetzt worden ist - da gibt es noch andere Aspekte, in deren Licht die Erwerbslosen freilich nicht unbedingt als hofierte "Kunden" erscheinen.
Werden in den neuen Zentren nun mehr Menschen einen Arbeitsplatz finden? Das sei, meint die Heilbronner Sprecherin Andrea Rupp, nach einer so kurzen Testphase noch nicht messbar. Effizientere Arbeitsagenturen, die ohne Zweifel notwendig seien, könnten nur einen flankierenden Beitrag bei der Entlastung des Arbeitsmarkts leisten, betont Wilhelm Adamy vom DGB: "Das zentrale Problem sind doch die fehlenden Stellen." Rainer Bomba, der Projektleiter in Schwaben, sagt es so: "Wir können nur die Vermittlung verbessern. Neue Arbeitsplätze zu schaffen, ist Sache von Wirtschaft und Politik."
Karl-Otto Sattler arbeitet als freier Journalist in Berlin.